Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 23. Juli 2016

Ein neuer Typus von Verbrechertum

Hannah Arendt sagt in einem weiteren legendären Gespräch, diesmal mit Joachim C. Fest (den nach wie vor scharfsinnigsten Analysten des Hitlerismus und Hitlers selbst), daß das Interesse der jungen israelisch-jüdischen Generation gegenüber dem Holocaust kaum noch gegeben ist. Man betrachtet es als Problem der Elten, ganz ähnlicj wie auch in der "Täter-Gesellschaft". Deren Aufarbeitungsversuche man gewähren läßt, die einen selbst aber kaum noch etwas angehen.

Das vielleicht Interessanteste an Arendts Einschätzungen ist die Aussage, daß im Nationalsozialismus ein "neuer Typ von Verbrechern"  erkennbar wird.  Es soind ncith di egroßen, individuellen Einzeltäter, sondern es sind die Mitschwimmer, die Vollzieher, die in der Erzählung der "Alternativlosigkeit" angesichts moralisch absoluter Probleme eintauchen und daraus ihre Rechtfertigung beziehen.

Arendt ist auf eine beklemmende Weise aktuell, Sie beschreibt exakt das, was sich als Elite heute darstellt, und genau diese neue Art des Verbrechertums ist, die Arendt im Nationalsozialismus - den der VdZ schon immer an diesem Ort als ersten wirklich modernen Staat bezeichnete -  identifiziert. Nein, nicht das was man gwöhnlich als Verbrechertum (diese berühmte kriminelle Energie) klassifizeirt kam hier zum Tragen (wenn es sie auch gab). Hier waren es vielmehr Systeminfizierte, Täter die von ihrem höchsten moralischen Anspruch der Weltrettung getragen waren. Und das hat sie entfesselt, gerechtfertigt und entmenscht.

Eichmann etwa wollte einfach "wir" sagen, wollte dazugehören. Im Mitmachen entsteht Macht. Das selbst ist nicht böse, es ist einfach allgemein menschlich (neutral).  Die Perversion des Handelns ist das "Funktioneren". DARIN wird inviduelle Verantwortung ausgeschaltet. Eichmann hatte (im Gegensatz zu Auschwitz-Kommandant Höß) nicht einmal Machtgelüste. Er war einfach Funktionär. Ihm fiel es sogar schwer, zu tun, was er tat. Was für ihn ein Gefühl besonderer Bewährung bedeutete. Gut und Böse haben aber mit "gern tun" oder "nicht gern tun" nichts zu tun. (Wie aktuell ist das doch!) "Böse" wie Eichmann haben dem "Guten" (das sie durchaus fühlten und wollten) widerstanden, eben WEIL es darum ging, dieser Versuchung zum Unrichtigen zu widerstehen.

Die Verteufelung Hitlers ist nach Arendt viel mehr Angelegenheit der Deutschen selbst gewesen. Die Alliierten sahen ihn zuerst als politischen Gegner, nicht als Dämon. Die Deutschen konnten sich dadurch aber von sich selbst distanzieren, indem sie Hitler und alle "Täter" suchten und dämonisierten.  Damit schreibt man sich eine Tiefe zu, die andere nicht haben.

Eichmann war zutiefst banal. Was in totalem Gegensatz zur Bedeutung stand, die man den Nazi-Verbrechen zuschreiben wollte. Seine Dummheit, die sehr weit verbreitet war, war ein Unwille sich vorzustellen, was im anderen vorgeht.

Hitler war nicht typisch deutsch. Das gehört nicht zum Charakter der Deutschen. Aber dieses Unvermögen, an der Stelle eines anderen zu denken- die aber ist deutsch. Samt einer Idealisierung des Gehorsams. (Hierauf müßte man näher eingehen, Arendt also widersprechen. Denn real ist es der Gehorsam, der ein Ganzes konstituiert, auch im Judentum.) Immerhin hat sie darin natürlich recht: Im Gehorsam steckt auch das mißverständliche Potential, sich der persönlichen Verantwortung zu entziehen.  Nur ist damit das Wesen des Gehorsams verfehlt. Man unterschätzt also den revolutionären - linken! protestantischen! - Impetus des Nationalsozialismus.

Typisch für die Funktionärsclique, auch der sogenannten Gegner Hitlers: Sie hätten angeblich Schlechteres verhindern wollen und deshalb scheinbar "mitgemacht" - und nachher argumentiert, sie hätten zu wenig Macht gehabt, das Schlechte zu verhindern. Damit aber haben sie nur den Schuldigen gedeckt. Aber so war es eben: Alle waren vereinzelt, sie gehörten nirgends zusammen, niemand konnte jemandem trauen, und alle fielen deshalb dem Phänomen der Ohnmacht zum Opfer. Innerhalb Deutschlands war aber ... kein Widerstand möglich. Es gab keinen Rückhalt, nirgendwo.

Kein "großer Nazi" hat bereut, niemand wollte für die Verbrechen der Nazi-Zeit gerade stehen! Niemand! In einer angeblichen Ideologie des Herrenmenschen! (Das widerspricht übrigens auch jeder Nietzeanischen Intention direkt.)

Auch dieses Gespräch des klaren Kopfes Hannah Arendt: Höchst hörenswert!










*050616*