Was man vielfach vergißt ist, daß die Missionierung der Heiden fast immer darauf beruhte, daß diesen in den Christen eine Vernunfthelle entgegentrat, die sich nicht einfach in Selbstlosigkeit und Nächstenliebe ausdrückte, sondern sich vor allem auch durch einen enorme sachliche Intelligenz auszeichnete. Solches gilt auch für den Hl. Kilian aus dem späten 7. Jhd., auch er ein iroschottischer Mönch, denen Europa seine Re-Christianisierung nach dem Zusammenbruch der Völkerwanderung verdankt. Und dessen Gedenktag die Kirche dieser Tage beging.
Kilian zog mit zwei (anderen Quellen nach: elf) Gefährten nach Franken in die Gegend von Würzburg, wo ein heidnischer Herzog über ein heidnisches Volk herrschte. Das in geistiger Dunkelheit, unter recht primitiven Verhältnissen und mehr oder weniger vom Zufall - vom Sammeln und Jagen - lebte, geführt von ebensolchen Fürsten. Der Kult im Lande galt dabei der Göttin Freia.
Die Geschichte erzählt eigentlich gar nichts (oder nur wenig bzw. allgemein) von Taten abstrakter Nächstenliebe. Aber es wird geschildert, daß die Iren die Einheimischen in Ackerbau, Viehzucht und Waldwirtschaft anleiteten. Sodaß sich der Wohlstand im Volk auf bemerkenswerte Weise hob. Das machte die Fürsten immer neugieriger, ja begierig, an diesem Licht, an dieser Fähigkeit, objektiv zu denken, teilzuhaben. Ein neuer Begriff von Freiheit leuchtete aus diesen Iren, und dieses Leuchten verbreitete sich über das ganze Land. Nach und nach wollten alle Adeligen getauft werden, auch der Herzog. Und mit diesen folgte das Volk.* Wer so klar denken konnte, dessen Geist mußte an einem Gott teilhaben, der nicht nur tatsächlich weltmächtig war, sondern an dessen Wissen und Wesen man im Kult teilhaben konnte.
Man kann dies als kalt berechnende Pragmatik sehen, aber das war sie damals sicher nicht. Denn die Menschen sahen Weltschicksal und göttliches Wirken untrennbar verbunden. Ihnen war klar, daß nichts in der Welt gelingen konnte, wenn es nicht von Gott so eingerichtet wurde. Deshalb wurde Gott zum einen als Wirkkraft in der Welt begriffen, und zum anderen wirkte sich ein Verlust seiner Huld auch in einem realen Verlust aus. Das Volk erwartete deshalb, daß der Fürst gottgefällig lebte, und Mißgeschick und gar Unglück als Strafe durch Sühne vor Gott wendete. (Historisch findet sich dieser Gedanke weltweit und sogar bis zu König-als-Opfergabe vertieft.) Tat er das nicht, sah es sich im Recht, ihm nicht mehr zu gehorchen und einen neuen Fürsten zu verlangen. Gott war der, der alles bewirkte! Wenn ein Gott mehr bewirkte, war er größer und man mußte nun ihn verehren. Diese Geschichte wiederholt sich in der gesamten Germanenmission immer wieder. Was aber hat mehr Macht als ein Gott, der helle, befreiende Vernunft verhieß, in dem sich Weltlogik und göttlicher Wille nicht in zwei Wahrheiten aufspalteten?
Kilian fiel einer Intrige der vom getauften Fürsten geschaßten (angeblich blutschänderisch angetrauten**) Schwägerin und Ehefrau zum Opfer, auf welchen Umstand ihn Kilian hingewiesen hatte. Der Fürst entließ nun seine Frau. Die sich aber an Kilian rächte und ihn erschlagen ließ. Die Mörder starben daraufhin gräßlicher Tode, und sie selbst verfiel in Raserei, wie es heißt.
Ob Kilian wirklich in Rom beim Papst und von diesem zum Bischof erhoben worden war ist freilich umstritten. Es könnte auch ein später hinzugefügtes Detail sein, um die Legitimität des Bistums zu kräftigen.
*Es ist für uns heute meist unverständlich, daß sich die Religion des Volkes nach seinem Fürsten richtete. Aber dahinter steht weit mehr als "tumber und blinder Gehorsam" blöder Menschen, sondern im Gegenteil: Ein Volk, das noch verstand, daß sein Schicksal aus ihrer Eingefügtheit eine Ordnung bestimmt wurde, in der sich über den Fürsten die göttliche Ordnung über die Welt ausbreitete. Denn er war der (irdische) Mittler zwischen Volk und Gott. Ein Volk, das noch verstand, daß die je untere hierarchische Stufe nur über die konkrete nächst übergeordnete Stufe - in persönlicher Weitergabe in der Hierarchie wie in der Traditionstreue - am Geist teilhaben konnte, sodaß Gott nur von oben her vermittelt und offenbart mitten unter ihnen wohnte. Dieses Prinzip ist übrigens auch das Prinzip der Kirche.
**Was rein sachlich - der VdZ hat auch
andere Legendenbücher beigezogen, überall steht die gleiche Geschichte - ein wenig
seltsam klingt, denn eigentlich ist die Schwägerin zu heiraten, wenn
deren Gatte, also der Bruder, tot ist, was der Fall war, wie auch der
Herzog Witwer war, keine Blutschande. Es muß also entweder etwas
anderes gegeben haben, was die Legende aber nicht erzählt, oder das
damalige Kirchenrecht sah es aus bestimmten historischen Gründen so, was aber auch nicht ganz plausibel ist, weil sich gerade im Kirchenrecht ja das Naturrecht direkt wiederfindet und von Jesus selbst sogar berichtet wird, daß er in solchem Umstand (eine der berühmten Fangfrage: ein Bruder stirbt und hinterläßt eine Frau, woraufhin sie der nächste Bruder heiratet, der wieder stirbt, usw.) offenbar kein Skandalon erblickt hat sondern sogar durchaus von Ehe sprach.
Ferner ist aus der alten deutschen Fürsten- und Rechtsgeschichte zwar die zeitweilige Stellvertretungsfunktion der Frau nach dem Tode des Mannes bekannt, sie muß also dem Haus des verstorbenen Mannes angehört haben, aber es ist auch bekannt, daß ihre Wiederverheiratung dieses Haus dem Mann übergab, der es fürderhin führte. Selbst noch Karl VI. wußte darum, und ließ sich für seine Tochter Maria Theresia in der "Pragmatischen Sanktion" diesen eigentlich gar nicht sauberen, aber historisch immer wieder vorkommenden Sonderfall deutschen Rechts von den deurtschen Fürsten (die sonst sofort nach der Krone gegriffen hätten) zur Allianzmonarchie Habsburg-Lothringen absegnen, denn sonst hätte das Haus Habsburg mit ihm geendet und wäre fortan schlicht lothringisch gewesen. Denn die Frau gehört(e) mit Heirat dem "Blute" des Mannes an, konnte nach dessen Tod aber wieder heiraten. Verlor sie doch sonst des ersten Mannes Blut und Haus (meist zumindest) wieder, wenn sie keinen Sohn bzw. legitimen Hauserben geboren hatte, um wieder ans Vaterblut zurückzufallen.
*080616*