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Montag, 26. Oktober 2020

Die Zwillinge Sozialstaat und Kapitalismus brauchen nur Geld (1)


Markt St. Gallen in der Obersteiermark
Markt Sankt Gallen (Obersteiermark)
Eine der täglichen Nachrichten über Unternehmenskonkurse und/oder Entlassungen (pardon, "Freistellungen", oder "Kurzarbeit") in den Zeitungen machte den VdZ betroffen. Denn hier geht es um einen kleinen Ort, der von einer großartigen Burg dominiert wird, um Sankt Gallen in der Obersteiermark. Zwei, drei Kilometer vor dem Ort, wenn man vom Ennstal kommend ins Tal der Laussa einfädelt (buchstäblich, es geht zwischen zwei Bergrücken durch ein Nadelöhr), befand sich diese Fabrik, die nun geschlossen wird. Und genau vor der befindet sich die Abzweigung hin zu jener Alm, zu der man sich vom Tal aus auf einer schmalen, aber stets erstaunlich gut asphaltierten Straße in die Höhe schraubte. 

St. Gallen (Stmk.) - Hauptplatz
Vor siebzig Jahren stand auf genau diesen Gründen sogar mal eine richtige Papierfabrik. Die Gebäude hat man in den späten 1980ern dem Erdboden gleich gemacht, und auf diesen Gründen hat man eine neue Fabrik gebaut. Die als Zweigbetrieb eines Verpackungsunternehmens (also gewissermaßen branchengleich) geführt wurde. Ich meine mich erinnern zu können, daß viel Subventionsgeld geflossen ist, weil es in dieser Gegend nicht nur kaum Firmen gab, also keine Arbeitsplätze, sondern weil man die enorme Abwanderung stoppen zu wollen begann. 

Eisenerz ist ja auch nicht weit. Diese alte Stadt, die ich in der Kindheit noch als "große", vor allem wichtige und prosperierende Stadt der "Erzfurche" erlebt hatte, die über den Alpenpaß zu den Eisenstädten Leoben und Kapfenberg verlief. Eisenerz hatte damals fünfzehntausend Einwohner. Und ist heute, nachdem der Eisenabbau durch Maschinen erledigt wird, auf fünftausend geschrumpft ist. 

Wir hatten sogar einen der Dachstühle der alten, wunderbar atmosphärischen Gebäude der Papierfabrik - alte Gewerbebetriebe haben einen ganz eigenen Flair - abmontiert und mit Traktor auf die Alm geschleppt. Als Bauholz wer weiß wofür. Naja, was nimmt man nicht alles geschenkt.

Ehem. Vogtei v. Stift Admont - Ruine Gallenstein
Und nun das Ende dieser Fabrik, die zu einem Verpackungsunternehmen gehörte. Unrentabel. Vermutlich hat man aber ohnehin schon lange gekämpft, weil der Nutzen dieser Produktionsstätte nur nach anderen (aber für eine Kultur, für einen Staat, für das Gemeinwohl weit substantielleren) Kriterien zu bewerten war, nicht nur in Geld. Nicht zuletzt vermutlich wegen Corona, das ja - ei, wie nützlich! - "Zombieunternehmen" geräuschlos (mit)ausputzt.

Was für das soziale Gefüge dieser kleinen Marktgemeinde, deren Bestand seit dem 12. Jahrhundert nachgewiesen ist, enorme Auswirkungen haben muß. Sankt Gallen hat heute nur noch knapp tausendsiebenhundert Einwohner. 

Sankt Gallen ist eben eines der Opfer der "Rentabilitätssteigerung" der Stahlproduktion in der steirischen Erzfurche, die Jahrtausende (!) von Holz und Eisenerz gelebt hat. Auch dieser uralte Ort hat seit den 1960er Jahren nahezu die Hälfte seiner Bevölkerung verloren. Die Metallverarbeitung ist weg, Holz spielt immer weniger Rolle, und nun auch Papier, das wenigstens noch weiterverarbeitet worden ist. Weil aber die gesamte übrige Wirtschaft im Grunde von der Grundproduktion abhängt, gibt es kaum noch schöpferische Arbeitsplätze. Soweit überhaupt noch geboren, sind die Jungen in die Ballungszentren, Graz, Wien, Linz abgewandert. 

Auch der Tourismus ist eher eine Phantasie von Politikern in Wahlreden denn Realität. Touristen haben ein todsicheres Gespür für Orte, über denen Leichengeruch hängt, und meiden sie. Hundert entlassene Leute machen aber gut vier- bis fünfhundert Betroffene. Das sind zwanzig bis dreißig Prozent der Bewohner des Ortes, die für unbestimmte Zeit das Brot des wahren Betriebsmittels der heutigen Sozialstaaten essen werden. Das aus der einzigen Produktion stammt, die in Krisenzeiten sogar besser denn je floriert: Die Produktion von Geld. Aber Geld hält keine sozialen Gefüge! Das tut nur Einheit im Lebensvollzug.

Und die gab es früher, in jedem Tal, in jedem Kleinraum, und damit im gesamten Alpenvorland, das eine verwurzelte Bevölkerung aufwies. Die Rede ist von jenem Landstrich am nördlichen Rand der Alpen, wo das Flachland ins Gebirgige übergeht. Also nicht Fisch, nicht Fleisch, sozusagen, aber entzückend in den Kleinigkeiten und Details. In so gut wie jedem jedem der zur Donau entwässernden Flüsse, in deren Tälern bestanden viele Jahrhunderte lang blühende Sozio- und Biotope, und unter anderem gab es Papierfabriken. Neben dem Eisen eine der Lokomotivenbranchen, die einen ganzen Zug an Waggons einer Folge- und Zulieferwirtschaft angehängt hatten. Und einen je ganz eigenen Menschenschlag hervorbrachte, den man sogar an der Dialektfärbung erkennen konnte. 

Es gab ja alles, als Gottesgeschenk. Denn Gott schenkt dem Menschen immer und überall alles. Er setzt ihn immer in ein Gewebe der wechselseitigen Ernährung, wie es der Schöpfung eben entspricht. Sodaß er immer an seinem Geburtsort findet, was er zum Überleben braucht. Auch wenn es nicht immer ganz leicht zu finden ist. Aber alles, selbst das Schwierige hat ja auch seinen Sinn.

So fanden die Menschen auch im Laussatal, wo Sankt Gallen liegt, was sie zum Überleben brauchten. Holz, Wasser, damit mechanischen Antrieb und später Elektrizität. Für Eisenhämmer und Pressen, für Schleifmühlen, Walzen und Kalander, für Rüttelsiebe für die Büttenpapiere, und die Reißwölfe des jahrhunddertelang hervorragend funktionierende Recyclingsystem, das der Altextilien und des daraus gefertigten Lumpenpapiers. 

Geschaffen wurde immer viel. Denn vor allem gab es hier arbeitsfreudige weil sozial verwobene, mit dem Land und seiner Topographie verwurzelte weil davon geprägte, darauf zu geformte Menschen. Die ihr Tagewerk nicht "wegen des Geldes" erledigen, sondern weil sie dort leben, ihre Kinder großziehen und ihr Haus bauen wollen, wie es jeder Mensch eben will. Und dazu gehört Arbeit und die Aufgabe, die man vorfindet. Auf jeder Ebene des Daseins geht es ums Ewige, sozusagen, und dessen irdischem Schatten, der Nachhaltigkeit, von der heute so viel geredet wird. Wen wundert es da, daß man in diesen Tälern sogar heute noch viel Frömmigkeit antrifft?

Ein Heute, in dem man staunend sieht, wie viele solche kleinen "Industrie"betriebe es noch bis vor siebzig, neunzig Jahren hier gegeben hat. Sodaß man noch eine Vorstellung davon erhalten kann, wie eng Arbeit, Sinn, Verwurzelung, Innovation und Produktivität zusammenhängen. An diesen und um diese Betriebe hat sich das Gemeinwohl unserer Heimat aufgerichtet, von dem wir heute zehren. Aber eben - NUR noch zehren. 

So weit weg ist diese Aura des Aufbauens, der wirklichen Produktivität, so weit entfernt stehen wir zum wirklich Sozialen, so entfernt ist jeder Bezug zu Substanz, daß der Normalbürger sich heute eine solche kleinteilige und verwurzelte Wirtschaft gar nicht mehr vorstellen kann. 
Er kann sie nur noch "erträumen". Und in utopistischen und ideologisierten Phantasien "ausmalen". Aber dieses Ausmalen ist schon verräterisch. Es verrät sich in Zusätzen wie "jaaa, früher schon, aaaber ...", in denen man auswählt. Denn wir wissen es heute ja besser. Alles wissen wir besser, denn wir sind so mündig geworden. Eben. Mündig. Losgetrennt von den Pfründen, aus denen Wissen stammt - das übernommen werden muß, will es überhaupt Wissen sein. 
Aber in diesem sinnentleerten Gerede, in dem wir uns heute bewegen, in dem wir "denken", "meinen", alles "frei", fällt nicht auf, daß genau das, was Gemeinwohl gedeihen und solche Soziotope, ja "Heimat" entstehen läßt längst abgelehnt wird. 
Die wesentlich ein Gewebe aus zwischenmenschlichen, persönlichen Verbindlichkeiten und einer darauf wie daraus bezogenen Verhaltensregel, also Moral sind. Denn der Preis dafür ist den heutigen Menschen zu hoch: Hingebende Bindung, die wiederum Gehorsam bedeutet. Mit "Wasch mich, aber mach mich nicht naß!" läßt sich aber nichts aufbauen. Nur formlos phantasieren.

Das Papiergeschäft erledigen heute (und da ist diese Branche nur symptomatisch, gleich wie alle übrigen) ganz wenige, dafür riesige, globale Konzerne. In Europa sind es zwei oder drei, die die Branche abdecken. Die aber nicht nur so groß sind, daß sie Staatsbedeutung haben, sondern selbst wiederum riesigen globalen Finanztrusts gehören, die über der Erde schweben weil nirgendwo mehr zu Hause sind. 

Alle sie gehören wiederum Gold- und Diamantenriesen, wie de Beers* einer ist. Dem (über den Mondi-Konzern) auch die Neusiedler gehört, in deren einer Tochtergesellschaft der VdZ vor siebenundzwanzig Jahren als Quality Assurance Manager und Controller gearbeitet hatte. Die selber der Grund dafür war, daß eine der kleinen Papierfabriken nach der anderen mangels Rentabilität (die irgendwann nur noch als spezifische Geldproduktion gesehen wurde) aufgegeben werden mußte.

Man kann aber nicht zwei Herren dienen, Gott UND dem Mammon. Man muß sich für einen von den beiden entscheiden, sie sind nicht vereinbar. Und wir haben uns entschieden.

 

Teil 2) Wirtschaft und Politik brauchen nur noch eines: Geld


*Der VdZ meint sich an eine Zeitungsnotiz zu erinnern, daß sich das schon wieder geändert, Neusiedler schon weitergewanderet ist. Aber was spielt "Eigentum an bestimmten Unternehmen", was spielt Arbeit, Verwurzelung, Sinn in der Sphäre der Giganto-Finanzen noch für eine Rolle, außer daß es ... alles letztlich denn doch trägt. Und die Welt der Hochfinanz unermüdlich an jenem Ast sägt, auf dem sie sitzt. Warum kann sie das? Weil sie ohnehin von den Staaten, nein, von der Politik getragen wird.



*081020*