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Mittwoch, 14. Oktober 2020

Filmempfehlung (1)

Daß der Film unter dem Genre "Horror" eingeordnet war hat der VdZ erst ganz am Schluß bemerkt. Denn dann hätte er ihn gar nicht angesehen. So ließ er sich lediglich von der Handlungsbeschreibung, dem "Teaser", verlocken, und er hat die zufällige Entscheidung nicht bereut. Denn nur, weil es um eine weitere (und immer interessante) Adaptierung der Faustlegende geht, in der natürlich der Teufel vorkommt, ist ein Drama noch kein "Horrorfilm." 

Daß es um den Faust geht hat auch Wikipedia nicht bemerkt. Das sich stattdessen in eine endlos lange Handlungsbeschreibung verliert, die aber kaum mehr als eine Aneinanderreihung dessen ist, "was passiert". Weil der Verfasser offenbar keinen Faden durch die vielschichtige Handlung fand. Der VdZ hat jedoch auch sonst keine brauchbare Rezension dieses Films gefunden, und das ist anderseits auch nicht überraschend. Denn die Kunstszene hat vielfach von dem, womit sie sich eigentlich befaßt, keine Ahnung mehr. 

Es geht hier um den Film "Angel Heart" (1987), der dem Leser nahegelegt werden soll. Mit Mickey Rourke, Charlotte Rampling und Robert DeNiro als Stars. (DeNiro wurde für seine Leistung sogar für den Oskar für die beste Nebenrolle vorgeschlagen.) Samt einer Reihe weiterer Darsteller, die in dem Film von Alan Parker, der geheimnisvoll und durchaus beängstigend, aber alles andere als ein Horrorfilm ist, glänzen. 

Glänzen, weil glänzen können. Das großartig "okkulte" (okkult=verborgen) Drama bietet in Bild und vor allem Drehbuch so schlüssige Rollenbilder und Charaktere, daß der Schauspieler wirklich seiner Kunst gewahr werden kann - und einfach jener Brillant sein darf, der vom Licht (nicht durch ein "Machen", das von ihm ausgeht) in die jeweilige Farbe versetzt wird. 

Leistung kann deshalb bei einem Schauspieler nur in der Arbeit ABSEITS der Bühne (bzw. des Films) gesehen werden. Im Leben, das seine Facetten prägt und schleift und schlägt und glättet. Max Reinhardt hat deshalb in seinen Gedanken zum Schauspieler immer gefordert, daß dieser je ein halbes Jahr "leben" solle, um dann ein halbes Jahr auf der Bühne zu stehen und "sich in einer Rolle sehen zu lassen".

Insgesamt bleibt der Akteur immer eingebettet in einen Archetyp, als Landschaft und Handlung, als Figur. Das alles ist in "Angel Heart" echt weil analog zu einem der sieben Archetypen, die in einem dramaturgischen Werk bzw. in jedem Kunstwerk nur möglich sind. Dann aber baut sich eine ganze Weltbühne auf, die fesselt und beängstigt, weil man tatsächlich das Nichts, vor dem jeder Mensch steht - und das sich als Hölle weltlicht, sozusagen - ahnt.  Das Wahre ist ja immer auch furchtbar, das vergißt man leider und gerade heute schon habituell. Man fordert heute sogar das Gegenteil: Die geglättete "Wahrheit", also die "Information", die man bereits besitzt, in der Gestalt der Richtigkeit.

Aber hier? Bilder, meine Herren, Bilder! Die gibt es jede Menge! Sie überwältigen sogar immer wieder, erinnern an die hohe Kunst der Holländer, an Caravaggio, an den safttriefenden, trankvollen amerikanischen Süden. Der seine Wurzeln im tiefsten katholischen Frankreich, in einer nirgendwo auf der Welt so dichten Verwobenheit von Afrika und Europa hat. 

Man wird dabei an die Herkunft des Filmes aus dem Theater ebenso wie von der bildenden Kunst, der Malerei erinnert. An eine Welt der Gestalt. Der VdZ, der den Film auf einer Streamingplattform gesehen hat, mußte sogar immer wieder die Pausetaste betätigen, um ein nächstes großartiges Gemälde in Ruhe auf sich wirken zu lassen, weil es ihn überwältigt hatte.

Die Handlung ist zwar komplex weil lange nicht recht durchschaubar, aber sie ist wie bei einem guten Drehbuch (Drama) doch so einfach. Denn sie ist eine Variante des Faust-Mythos, der so oft und oft in der Literatur gebraucht wird. Man findet die Fabel hier somit als nächste Emanation. Diesmal im Süden der USA situiert, namentlich in dem phantastischen, pittoresken New Orleans. Das dem VdZ wie so viele Orte der Welt wohl lieber in den Bildern ist, die er in der Realität gar nicht besuchen will. 

Denn bei diesem Universalismus der Gegenwart, der alles auf der Welt wie eine Dampfwalze niedergewalzt hat, was soll man aus Reisen noch lernen, was hilft es heute noch? Die wahren Fluchtpunkte heute liegen ganz woanders als in solchen Reisen, die früher noch so ein probates Mittel zur Bildung (im wahrsten Sinne) waren. Aber heute? Die x-te Variante universalistischen Konsumismus? Nein, danke. Als Geschichte ist ihm New Orleans aber sehr lieb und teuer.

Kurz und bündig nun die Tektonik des Dramas: Ein Mann verkauft Mitte der 1950er Jahre seine Seele an den Teufel, um Ruhm zu erlangen. Der nimmt den Pakt an, der Ruhm folgt auf den Fuß. Aber als eines Tages der Herr der Finsternis kommt, um die Bezahlung zu verlangen, will der arme Tropf, der nun in die Hölle fahren soll, den Meister der Lüge selbst belügen, und ihm eine fremde Seele unterjubeln. 

Das funktioniert aber nicht. Um aber trotzdem abzutauchen und sich dem Satan entziehen zu können, taucht der Sünder (der sich nun Angel Heart nennt) in Amnesie ab. 

Was eine kluge und intelligente Route der Dramaturgie ist! Denn tatsächlich ist das Menschsein vom Erinnern abhängig, von der Präsenz des Geschichtlichen. Wer sich nicht erinnert, verliert sein Persönlichkeitssein, seine Zurechnungsfähigkeit, und löst (oder versucht, das zu tun) die Verbindlichkeit seines Handelns auf. Man nimmt den Erinnerungslosen ja auch im Alltag nicht ernst, stellt ihn sogar in die Reihe der Kinder.

Der Drehbuchschreiber beweist damit erstaunliche Tiefe des Denkens. Und der Regisseur Alan Parker mindestens ebenso. (Bitte, wo hat man schon einen Drehbuchschreiber oder ein Filmset, das überhaupt eine Ahnung vom Katholischen hat, das weiß, wie man ein Kreuzzeichen macht, oder sogar Liturgie kennt, das Tantum Ergo kennt, usw. usf.! Man wird da schon so bescheiden ... Hier aber darf man im Symbolischen wühlen, richtig wühlen.)

Alan Parker wollen wir hier aber aus einem bestimmten Grund noch weiter herausheben. Denn es hängt von so vielen weiteren Dingen ab, ob die Idee des Drehbuchs (und ein Drehbuch kann wie jedes Kunstwerk nur EINE Idee haben) durch die Dramaturgie des endlichen Films auch herausgearbeitet wird. Sodaß der Film - als Ganzes, als Eines, und das ist eines der essentiellen Merkmale der Kunst - sie noch darstellt. 

Ob das aber so geschieht liegt dann tatsächlich und in erster Linie (so viele sonst noch bei einem Film mitreden wollen) in der Verantwortung des Regisseurs. Er entscheidet die Bilder, die dann aussagen (und den späteren Schnitt hilflos machen, wenn er der Linie der Regie nicht folgen will) - oder nicht. Er entscheidet die Farben, die Aspekte, die in den agierenden Schauspielern aufblitzen oder nicht, und muß während der oft extrem hektischen (und "praktischen", oft genug furchtbar banalen) Arbeit am Filmset doch immer und in allen den vielen Entscheidungen, die minütlich zu treffen sind, an dieser Idee haften bleiben, die als jenen Magnet bewahren, der letztlich alles ausrichtet, auch wenn man gar nicht "daran denkt".

Aber zurück zur Handlung von "Angel Heart": Als es ans Zahlen geht, will sich unser Angel Heart drücken. Natürlich findet der Teufel ihn. Der ihn aber nicht mehr kennt. Weil er sich eine andere Identität zugelegt hat, die er durch Amnesie "sichert". Doch in einer klugen Handlungsvariante  - er tritt als Kunde mit dem Namen Louis Cyphre (ausgesprochen wird es klarer: Lu-cifer!) - schickt der Teufel ihn, der sich als Detektiv mehr schlecht als recht in New York über Wasser hält, auf die Suche nach einem Verschwundenen. Aber nicht nur wo, sondern auch wer ist das überhaupt?

Die Suche führt ihn recht bald nach New Orleans. Dort taucht er dann tief in die Seelenlandschaft des Menschlichen ab, die teils wie Traum, teils wie ein Einblick in die Landschaften des Geistigen selbst wirken, die Ebenen verschwimmen. Verschwimmen, wie es doch auch im Leben ist! Was sich im Süden der USA offenbar besonders zeigt. Dessen Oberfläche lediglich wie eine Kruste über einer brodelnden Landschaft des Geistigen und Religiösen wirkt. 

Großartig etwa die Szene in einer Kirche (und unser Proponent fühlt sich seltsamerweise in Kirchen stets unwohl, na warum wohl? herrlich die Reaktion des Teufels alias Robert deNiro darauf!), als eine Choralsschola das Tantum Ergo (des Aquinaten) intoniert, während sich der Detektiv mit seinem rätselhaften Auftraggeber, der sich bis zum Schluß nicht identifiziert, in einer der hinteren Bänke bespricht. 

Ein Süden, in dem sich alles zeigt, was unter der Oberfläche des Menschseins wuchert und brodelt. Von Voodoo und allen Formen von Magie und Aberglauben bis zur wirklichen katholischen weil liturgischen Gestalt. Die sich hier - denn sie ist und wäre die einzige Gegenkraft, bitte schön! - so natürlich einfügt, wie es ihrer Natur entspricht. In der Welt, und doch nicht von ihr, doch als Brücke zwischen beidem, im Kampf mit dem Herren der Unterwelt, der ihr alles entreißen will.
Man ist aber noch aus einem Grund fast dankbar für diesen Film, der, wie man liest, 1987 entstanden, gerade einmal seine Herstellungskosten in den Kinos einspielte. Der zwar bestaunt und bewundert, aber nie so richtig einen Durchbruch erfuhr. Dabei bildet er sogar eine Analogie, zum Leben des damals noch recht jungen Mickey Rourke. Als hätte auch der seinen Pakt geschlossen. Und den Preis dafür bezahlt ...
"Angel Heart" läßt den Zuseher aber endlich wieder einmal richtig ins Wirkliche ein- und abtauchen. Und der Leser (als erst künftiger Seher dieses Films sei er jetzt noch so angesprochen) sei deshalb gewarnt, wie vor jeder richtigen Liturgie als Teilnahme an einem Kunstwerk: Er erlebt etwas ... Echtes. 
So, wie es Kunst eben tut, die Kunst ist und nicht so tut als ob. "Angel Heart" ist auch aus diesem Kriterium heraus tatsächlich ein Kunstwerk, und das ist beim Film die buchstäbliche Nadel im Heuhaufen.

 

Morgen Teil 2)


*290920*