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Donnerstag, 19. August 2021

Der Lebensweg der klaffenden Wunde

Man kann nicht genug über die überlieferte Aussage des Hl. Laurentius nachdenken. Dieser, als Diakon für organisatorische Belange, im besonderen aber auch für die (heute so genannte) Sozialarbeit zuständig, ließ sich von den römischen Oppressoren der Kirche Wagen geben. Darauf wolle er die Schätze der Kirche, die herauszugeben er bei Androhung schwerster Folter aufgefordert worden war, aufladen und herbeischaffen. Man übergab ihm die Gefährte. Die der Heilige daraufhin mit den Armen und Notleidenden belud, für die er zu sorgen hatte. Damit fuhr er zu den Römern. 

Das, rief er, das sind unsere Schätze, die Armen und Notleidenden! Was darauf folgte, ist überliefert, und in einem seiner Wahrzeichen ausgedrückt, einem Rost: Er wurde auf einen eisernen Rost geschnallt, und über Kohlenglut "geröstet". Laurentius ertrug die uns unvorstellbare Marter angeblich fröhlich und im Gebet, ja er soll mittendrin sogar gerufen haben: Dreht mich um, auf der einen Seite bin ich schon durch!

Worum aber geht es eigentlich bei diesem Sinnbild, das Laurentius hier lieferte? Geht es um die soziale Arbeit, an der sich ein gestandener Christ beweisen kann, um Schätze im Himmel zu sammeln, indem er sein gutes Herz demonstriert? Wohl eher nicht. Ja, sogar sicher nicht. 

Vielmehr braucht es eine nächste Definition der Armut, die vor vielen Jahren an dieser Stelle bereits ausgearbeitet, nun aber noch einmal aufgegriffen und noch spezifischer gemacht werden soll. Denn in der Armut (so hier bereits zu lesen) - die vom Elend, die einer sittlichen Verwahrlosung entspricht, und die hat mit Sünde und Geistes- und damit Seelenverwirrung, mit Gebundenheit an leere Weltlichkeit, nicht mit lebensnotwendigen materiellen Gütern zu tun - geht es um eine Lebensführung, die sogar bewußt auf sich genommen wird, und die einem sozialen Tod gleichkommt. Ganz ähnlich dem, den der Sklave wählt, auch wenn diesem noch weiteres genommen ist, wir werden in Bälde darüber handeln. 

Warum wohl aber haben so viele Menschen diesen Weg eingeschlagen? Nicht nur die Mönchsorden (die damit den Spuren jener gefolgt sind, die die Besitzlosigkeit die mehr noch eine soziale Entsagung ist, als für die Heiligkeit fast - fast - notwendigen Weg erkannt haben) als diese Lebensform gewählt? Ja so sehr gewählt, daß sie sich sogar per Eid daran gebunden haben. Der sie in den Augenblicken hält, wenn der Leib lieber doch ausbrechen möchte, und das geschieht, zweifellos, weil man immer wieder vor der Frage steht, ob man nicht doch lieber "normal leben" möchte - und dann muß man ihn unter Umständen mit Riemenzeug in den Weg der Wüste zurückpeitschen).

Unser Leben muß eine "klaffende Wunde" sein, darum geht es. 

In einem frommen Büchlein, der VdZ hat vergessen wie sein Titel war, stand eine Anekdote zu lesen. Zwei Freunde, die bislang alles geteilt hatten und hohe geistige Ziele verfolgt hatten, standen eines Tages vor einer schier aussichtslosen Situation, in der sie sich entscheiden mußten, wie es weitergehen sollte. Da hatte der eine der beiden eine Idee. Er wollte eine ihm bekannte Frau konsultieren. Die in der Lage war, den Stand der Gestirne so zu deuten, daß daraus ein "Zeitcharakter" erkennbar würde. Die äußersten, feinsten (sozusagen) Ebenen des Kosmos, da, wo sie an das eigentlichste Wesen Gottes bereits anstießen und sich in gewisser Weise mit diesen göttlichen Gedanken bereits vermischten, die also die urtümlichste, fast schon amorphe göttliche Grammatik noch am ungeformtesten, aber grundlegendsten in sich trugen, diese Ebene also war im Stand der Gestirne erkennbar. 

Das ist die Astrologie, wie sie sich in früheren Zeiten zumeist (man lese Kopernikus, der vom Kaiser sogar unter gewissen Androhungen zum Erstellen von Horoskopen genötigt wurde, was der Kaiser wiederum von Wallenstein wußte, der vom Krakauer Astronomen immer wieder dasselbe gefordert hatte) mit der Astronomie vermischt hatte. Denn nur die Sterngucker, nur die "Weisen des Morgenlandes" sozusagen, waren dazu in der Lage, nur sie hatten den Stand der Gestirne im Über- weil im Anblick.

Diese Sicht der Dinge, also des Kosmos, geht nicht zuletzt auf die alten Griechen zurück. Und wer die kosmologischen Ausführungen des Aristoteles eingehender studiert wird dieses Bild der Schöpfung sogar darauf nicht nur erleben können, sondern hervorragend ausgearbeitet finden. 

Nun, unser Freund - um ins Konkrete zurückzukommen - besuchte also diese ihm Bekannte, und die las ihm aus seinen Geburts- und den aktuellen Sternenständen, worin er sich momentan befände, und wohin es sich entwickele. Nicht nur das, sie berieten, wie er sich darin verhalten könne, um bestmöglich die Herausforderungen dieser schweren Zeit, die er (wie sein Freund und Kumpan) durchzustehen hatte zu überstehen. Mit diesen Erkenntnissen kehrte unser junger Mann also zu seinem Wiegenfreund zurück, um ihn einzuweihen, um ihm die gute Botschaft zu überbringen, denn es würden ja in so und so viel Jahren wieder besser Zeiten anbrechen. Und dann, ja dann ... 

Doch der wies ihn schroff zurück. Ja nicht nur das, er machte Anstalten, ihn zu verlassen, und hinkünftig sein Leben alleine fortzusetzen. Der Freund war ihm, so seine Sage, nunmehr verdorben. Was immer er sagen, womit immer er die Gespräche bereichern würde, war fortan in den Vorbehalt eines "Wissens" getaucht, das - und wenn er das auch noch so wünschte! - nicht mehr der wahren Situation des begegnenden Wirklichen entsprach, sondern dieses unter die Anführungszeichen einer "höheren Sicht" stellte.

Nur - diese "höhere Sicht" gibt es nicht. Denn was Gott den Menschen zu sagen hat, ist nicht nur eine Begegnung von Gestalten in einer immer zeitlosen immer ewigen Gegenwart, nämlich der Gegenwart, die sich durch das Tor des Kreuzes als Tor zur göttlichen Vorsehung und Weisheit entpuppte. Denn "worauf" wollte man sich "einstellen", womit "rechnen", was wäre dabei der Vorteil, wenn man nunmehr wüßte, "was" in der Grundgrammatik der Welt enthalten war? Nicht nur das, es war auf eine Weise enthalten, der eine Dimension fehlte: Die des Ortes. Die der persönlichen Begegnung, die jene Grenzen und jene Weiten hat, die nur dieser persönlichen Zuständlichkeit entsprach. Dem Stand, den Lebensbereichen und -zuständigkeiten. Man guckte auf eine Weise Gott in die Karten, und auf eine andere Weise war das nicht nur nicht ziemlich, sondern es verdarb eines, was der Freund immer wieder ausrief, als er seine Koffer packte und das Lebewohl auf den Tisch kritzelte.

Es nahm dem Leben jenen Charakter, den es haben muß, will man es wirklich mit Gott leben. Und das ist der Charakter der "klaffenden Wunde." 

Ganz genauso auch hatte es der Heilige Laurentius gemeint. Und deshalb ist die Armut der Reichtum der Kirche, der Ecclesia, des Weltkreises, der der eigentliche Weltkreis ist. Die Armen, das sind nicht unbedingt nur die, die "wenig oder nichts" haben", sondern das sind die, denen das Leben immer und täglich und stündlich eine offene, eine klaffende Wunde bleibt. Die nie heilt, solange dieses Leben andauert. Sondern die erst heilt, wenn die Ewigkeit anbricht. Und die, die wird nur dann gewonnen, wenn diese Wunde offenbleibt. 

Wer von den beiden Freunden, werter Leser, ist also nun der "Reichere"? Und dazu gehört eine Ausgeliefertheit, die keinen Augenblick durch höheres Wissen" gemildert wird. Deren wirkliche Wirklichkeit nie weniger werden kann. DAS ist er dann, der Höhenweg, und das ist der Weg in die Seligkeit. Auf dem wir dann rufen: Dreht uns um, auf dieser Seite sind wir schon durch!