Wenn wir hier schon des öfteren davon gesprochen haben, daß das größte Problem der Gegenwart das der "Schuld" ist, daß es die Unfähigkeit ist, mit Schuld umzugehen, so bietet das doch Grund genug darüber nachzudenken, warum das denn so ist. Warum auch kein Angebot, Schuld NACHGELASSEN zu erhalten, angenommen wird, was alles einher geht mit der Unfähigkeit, zu verzeihen, einerseits, und noch mehr der Unfähigkeit, eigene Schuld einzugestehen (außer in kleinen Dekorhäppchen).
In jedem Fall wird fundamentalen Schuldproblemen ausgewichen. Solche Schulden werden in den meisten Fällen dann mit ungeheuer komplex aufgebauten, ja aufgetürmten Begründungen "wegdisputiert", in Gründe aufgelöst, warum doch der andere, die Umwelt die Schuld trägt, die daraufhin eine Schuld AN MIR wird, sodaß die Schuld sich überhaupt umdreht. Das gesamte Psychologen-Geschäft beruht ja darauf, Schuld aufzulösen. Meist wird überhaupt persönlicher Schuld jede Existenzberechtigung verweigert.
Aber wir wollen das nun gar nicht noch einmal vertiefen. Sondern einen Gedanken notieren, der einen ganz anderen Bogen spannt, und damit die Frage zu einer Antwort verbindet. Und dieser Bogen spannt sich in den ungeheuer aufgeblähten Bereich der SCHMERZVERMEIDUNG. Denn Schmerzvermeidung ist ja möglicherweise lediglich ein Synonym für die Unfähigkeit, Schuld zu verarbeiten.
Was nur in den Stufen ablaufen könnte, die von der Anerkenntnis der eigenen Imperfektheit aus über die Anerkenntnis läuft, von einem anderen - DEM ich schulde, dem ich also Unrecht getan habe, und das ist einmal der andere (mit allen Problemen, die mit dem "anderssein" zusammenhängen, womit man Bücher füllen kann), und das ist in jedem Fall auch noch (oder bei mancher Schuld sogar alleine) das Sein selbst (also Gott; alles übrige ist ja nur die Frage nach der Art der Begegnung damit) - abhängig zu sein (denn Vergebung ist kein Recht, sondern eine Huld, die mir von einem anderen entgegengebracht wird; oder nicht!). Ja, in dessen Hand zu sein, wie man an den handfesteren Geld-Schulden sogar ganz direkt erfahren kann. Aber es gibt darüber hinaus noch den Bereich der Strafe, die es erst ist, die erst dieses ZURÜCK ZUM ANFANG, diese völlige Restauration bedeutet. An der zu leiden jene Sühne ist, die den Eintrittspreis in die Unschuld eines wirklichen Neuanfangs darstellt.
Alles das kann man wegdiskutieren, und wird auch heute pausenlos wegdiskutiert. Sei es, daß man Sachverhalte verdreht, so darstellt, daß ihnen gemäß durch das eigene Verhalten keinerlei Defekt und Unrecht geschehen ist, denn das ist ja Sünde: Verstoß gegen die Sachlichkeit, die der Natur der Welt angemessen ist.
Doch in einem Gespräch über das Fegefeuer kam ein ganz anderer Gedanke. Einer, der wie gesagt diese Schuldunfähigkeit dem ganzen Bereich der Schmerzvermeidung zumißt. Und das ist ... die Schmerzvermeidung, die die Reue bedeutet. Jene Reue, die aus dem Erfahren des vollen Ausmaßes der eigenen Defiziösität aufsteigt, wo man sich in diesem Zurückbleiben hinter einem absoluten Sollen erlebt bzw. weiß.
Damit stehen wir auch im damit zusammenhängenden Bereich des Ungehorsams - einer anderen Dimension desselben Problems - der hinter einem der aus alledem folgenden Problem der Verweigerung eines Ortes steht. Der sich in diesen immensen Identitätsproblemen äußert, die uns heute so plagen. Auch damit hängen so viele Dinge zusammen, die scheinbar ganz andere Ursachen haben, oder die wir mangels Einsicht und Erkenntnis (und Wissen) gar nicht als "Schuld" isolieren können.
Und damit muß natürlich auch Fegefeuer und Hölle verleugnet werden, als Glaubensinhalt "fallen". Die Diskussionen um angebliche Widersprüche zur Barmherzigkeit und Liebe Gottes sind ja nur Scheindiskussionen, die einen ganz anderswo gefallenen Entschluß umdekorieren sollen. Der da einer Gesamthaltung entspricht, in der wir uns nach innen krümmen. Und alles, was von außen kommt, als unzulässige Gewalt ablehnen. Weil alles, was von außen kommt, Schmerz bedeutet.
Mehr noch: Dieser Schmerz entspricht einem Feuer, wenn man genau in sich hineinspürt.
Damit belassen wir es vorerst einmal. In der Eröffnung eines Denkweges, in dem die Unfähigkeit der Gegenwart, mit Schuld umzugehen, nicht von der zu einer kultivierten Gesamthaltung stammend gesehen wird, jenen Schmerz zu vermeiden, der aus der Reue stammt. Und in der jeder Schmerz in einem direkten Zusammenhang mit der Schuld steht, die durch falsches Verhalten, durch falsche (aber liebgewonnene) Haltungen eingegangen wurde.