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Dienstag, 31. August 2021

Deutsche Verwirrung vs. afghanische Tatsachen (1)

QR Afghanistan
Wer sich den insgesamt einstündigen Vortrag von Peter Scholl-Latour ansieht, den er schon im Jahre 2009 gehalten hat, muß sich ernsthaft fragen, von welchem Haufen Verwirrter - allesamt (aber sicher nicht ausschließlich, zumal heute, denn daß wir vor der Situation stehen, in der "Verweiblichung als Schicksal" unabwendbar scheint, hat bereits Gerd-Klaus Kaltenbrunner vor fünfzig Jahren aufgegriffen, denn schon damals war es hellen Geistern erkennbar) weiblichen Geschlechts - diese unsere Völker "geführt" werden. 

Man sieht förmlich, hört man den Schilderungen des wunderbaren Erzählers alter Schule zu, die Bilder aufgescheuchter Frauen vor sich, die in den deutschen Ministerien und Kanzlerämtern herumgeistern, und halblaut irgendwelche Anweisungen geben, die sie aus irgendeinem Zuruf herausgegriffen haben, es hätte auch ein anderer sein können, und verwirrt und mit gestreßtem Blick Berge von Papieren durcheinanderwühlen.
 
 
Deutschland war von Anfang an Teil einer unseligen westlichen Militärallianz, die nach Afghanistan einfiel und nicht nur kein taugliches Konzept hatte, was sie denn dort überhaupt solle, sondern auch nicht den Funken von Ahnung, mit wem und mit welchen Umständen sie dort zu tun hätte. Aus den Schilderungen wird klar, daß die wirkliche Lage in Afghanistan eine komplett andere Beurteilung aufdrängt, als den faktischen politischen Maximen zugrunde zu liegen scheint. So unklar Sinn und Zweck dieser "Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" war, so verworren verlief der Rest. Der immerhin einige gefallene Soldaten als Ernte eingefahren hat, um von den sinnlos verbratenen Milliarden nicht zu reden. Nichts wurde verteidigt, nichts gerettet, alles verspielt. Nicht nur von den USA, sondern auch von Deutschland.

Sogar die Ausrüstung der Bundeswehr war für diese Aufgaben nicht ausgelegt. Das deutsche Militär war in Afghanistan stattdessen mit Bedingungen konfrontiert, mit denen offensichtlich niemand gerechnet hatte. Man hätte, forderte der endlich weil (als ausgebildeter Gebirgsjäger) wenigstens fachlich gut orientierte und 2009 frisch eingesetzte Minister Guttenberg, die militärischen Einheiten somit völlig umstrukturieren müssen. Die deutschen Hubschrauber etwa konnten die eigenen Außenposten oft gar nicht beliefern, weil sie für diese Höhen (3000 Meter) gar nicht tauglich waren. Selbst die eingesetzten Fahrzeuge waren mit der Kampfweise und den Waffen der Taliban überfordert. Nicht einmal die Panzerungsstärke reichte aus, um die Soldaten zu schützen. Im Rahmen eines asymmetrischen Krieges, der den Feind hinter jeder Ecke und eine Bombe unter jedem Stein annehmen muß. All das hat Peter Scholl-Latour aus seinen Begegnungen vor Ort erkennen müssen. 

Samt dem seltsamen Befund, daß sich psychologische Probleme bei den Soldaten zeigten, die einigermaßen verwundern. Der Journalist verwies dabei auf einige seiner Freunde, die 1943 mit Erfrierungen noch mit letzten Flugzeugen aus Stalingrad ausgeflogen waren, die Hunger und Tod und Kälte und Verstümmelung, also wirklichen Kriegsschrecken erlebt hatten. Dennoch waren sie nie aus ihrem seelischen Gleichgewicht gekommen. Und erfreuen sich noch im hohen Alter ihres Lebens. 

In Afghanistan aber sind viele Soldaten schon nach kurzer Zeit in einem psychischen Ausnahmezustand und so ramponiert, daß sie Horden von Psychologen beschäftigen. Was die Führungsstellen aber völlig überrascht hat. Was da los ist hat aber auch danach, nachdem es aufgetreten ist, nie jemand ernsthaft untersucht.

Schon gar aber versagt einmal mehr diese arrogante, realitätsferne, elitistische Sicht der Amerikaner und ihres Amerikanismus, in dem die Welt an ihrem Wesen genesen könne weil solle. Das afghanische Volk hingegen ist gar nicht so "undurchschaubar", wie der mittlerweile totalen Niederlage des Westens als Erklärungsmantel umgehängt wird, die sich am Buffet labt und small talk führt, während die fein gezierten Fingerhäppchen von Bildern afghanischen Flughafenwirrwarrs und panischer Menschenmassen vernascht werden. Aus denen doch klar hervorgeht, daß jede Alternative zu den ursprünglichen Zielen nur Hölle und Unmenschlichkeit heißen könne. 

Dabei haben die Bilder der Ausreisegierigen oder die Interviews mit "Betroffenen" einen seltsamen Tenor. Sie wirken gar nicht wie Entsetzensschreie wirklicher "Opfer", sondern sind von jenen, die einfach nach Europa kommen wollen, um sich dort an der Sozialschüssel zu laben, die so verheißungsvoll in der Tischmitte aufgestellt ist, während die Löffel dafür in einem für jeden zugängigen Bastkörbchen daneben liegen - Hauptsache Westen, Hauptsache Hollywood und amazon, Hauptsache deprogrammierte Lebensumgebung und Hauptsache Geld, um den Kreisel am Laufen zu halten. 

Der Schwarze Peter des Allbösen hängt ohnehin "den Taliban" um. Die da nie an eine mühelose Organisation eines Staates und eines Volkes und einer Kultur glaubten, sich davon auch nichts versprachen, sondern nun die sittenlosen Schmarotzer, die sich um das Volk einen Scheißdreck scherten - und Afghanistan zum weltgrößten Opium- und Heroinexporteur machten, der 95 % des weltweiten Handels damit einnimmt - und ganz offensichtlich eine leere Hülle eines Scheinstaates errichteten, der nur ihrem Vorzeigegewissen, aber nicht den Afghanen nützte. 

Und so nebenbei eine Schichte einer in die Zehntausenden gehender Systemschmarotzer erzeugte, die mit den aktuellen Entwicklungen völlig überfordert sind, weil die normale afghanische Lebensweise, die sie mit ihrem westlichen Geld so herrlich ausnützen konnten, keine Verwendung mehr für sie hat. 

QR Afghanistanbericht
Diese Menschengruppen sind aber nicht Afghanistan-spezifisch, sie sind nirgendwo weil überall, aber nie am Boden. Und untrennbar mit dem Westizismus verbunden, dem sie wo auch immer auf dem Fuß folgen. Als "Intelligentsia" ist es die "Mittelschicht" (wie sie sich gerne nennt) aus Bildung und aufgeklärtem Liberalismus, die jetzt die lautesten (nein, die einzigen) Stimmen aus dem Land bei uns* repräsentieren und die öffentliche Meinung prägen. Und die in Bussen von der Journaille in die Redaktions- und Fernsehstudios gekarrt wird. Denn sie haben jetzt Angst. Mit Recht, weil sie von einer traditionalistischen Welthaltung als Landesverräter empfunden werden müssen. Entsprechend fordern Afghanen, die bereits vor zwanzig Jahren das Land Richtung Westen verlassen haben, "internationalen Druck", um das Land noch im Westizismus zu halten.


*In diesem Studiogespräch, auf das hier exemplarisch Bezug genommen wird (siehe QR und Link) gibt eine Afghanin eine Lageeinschätzung in ihrem Heimatland, das sie im Alter von fünf Jahren mit ihrer Familie verlassen hat, die hier laut Redakteurin "Jus" (Recht) studiert. Und "sehr gut" deutsch spricht. Was beides als Merkmal der "gelungenen Integration" gilt. Solche Beurteilungen sind zum Fürchten. Denn der VdZ hat zuhauf Erfahrungen mit nicht in Österreich Geborenen, die "sehr gut" Deutsch sprechen. Sie führen zu der erschütternden Feststellung, daß die gleiche Sprache keineswegs ein "Verstehen" gewährleistet. Ein solches kann höchstens auf dieser Ebene verbessert werden. 
Aber das Verständnis von Wirklichkeiten und damit der wirklichen Bedeutungen sprachlicher Konstrukte hängt von ganz anderen Dingen ab, nicht von der Kenntnis der Grammatikregeln und eines gewissen Vokabulars. Tatsache ist, daß jemand, der Deutsch "gelernt" hat, noch meilenweit davon entfernt ist, "einen Deutschen" oder "das Deutsche" wirklich zu verstehen. Auf das alleine bezieht sich aber ein Rechtssystem! Bei dem es nicht reicht, nur "verstanden" zu werden. Sprache muß, um zum Verstehen zu führen, interpretiert werden, und dazu braucht es das unaussprechbare Rechtsverständnis des Volkes, das sich ein Rechtssystem gegeben hat. 
Wenn also solch ein formalistisches Sprachverständnis nun auch noch in die Rechtsprechung, die in höchstem Maß eine Sprachdeutung ist, einfließt, indem "Juristen" ausgebildet werden (und als mehr als Ausbildung betrachtet es die Dame im Bild ganz sicher nicht: Als Technik des Wohlstandserwerbs durch berufliche Tätigkeit) - dann Gute Nacht. Dann ist noch weniger Recht im eigentlichen Sinn zu erwarten, sondern immer mehr stahlharter Formalismus. Von dem der profitiert, der das Rechtssystem in seiner sprachlichen Verhaftetheit über Formeln und bewußte Mißdeutungen aushebeln und mißbrauchen will.

Morgen Teil 2) Was Stalingrad nicht schaffte, schafft der Hindukusch. Der Wahnsinn greift um sich. Und allen geht es ums Öl. Den Taliban aber um ihre Familien. Und manchen ums Opium.