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Montag, 1. Februar 2010

Da sagte mir M

Die Zeitungen sind wieder einmal voll mit Berichten über die Zustände bei Jugendlichen: Österreich ist im europäischen Spitzenfeld beim Rauchen, beim Alkohol und beim frühen Sex. Es ist im Spitzenfeld bei Selbstmorden und psychischen Problemen.

Auffällig, mehr als auffällig dabei: während die objektiven Parameter verheerende Zustände signalisieren, liegt das subjektive Wohlgefühl hoch! Subjektives Wohlgefühl - ohne objektive Entsprechung also? Es wäre nicht so auffällig, würde es nicht genau den Entwicklungen der Pädagogik in diesem Land entsprechen: der Entwirklichung; würde es nicht den Intentionen der Psychotherapie (mit der Psychologie als maßgeblicher Einflußkraft bei der Meinungsbildung) entsprechen: der Entobjektivierung des Sachlichen.

(Leitthema sämtlicher Maßnahmen offizieller Pädagogik, ja nachgerade deren Ziel: Verhaltensdressur über existentiell implementierte Ressentiments, also: über die erste Angst, in Wahrheit: den Tod, die Nichtung; und Persönlichkeitsauflösung und Entspannung anstelle objektiver Problemattacke und Spannungsintegration.)

Und: würde es nicht den Aussagen zeitgeistiger philosophischer Strömungen entsprechen: der Relativierung der Sichtweisen der Welt, der Entkoppelung von subjektivem "Gefühl" und Welt - der Schaffung einer Zweitwirklichkeit also, auf die als Zeitkrankheit und typische Krankheit des Österreichers bereits ein H. v. Doderer so eindringlich hingewiesen hat. In Wahrheit also: eine Form des Manichäismus, eine Entkörperlichung des Selbst (siehe u. a. in "Helena oder: Das Gute ist was bleibt", Passagen-Verlag) als Flucht und Ausweg mangels wirklichem Eigenbesitz.

Die Presse schreibt also:

Der Patient ist die Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich – und seine Lage ist kritisch. Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter „Lebensstilerkrankungen“ wie Hyperaktivität, Stress oder Fettleibigkeit. Mehr Jugendliche im Alter von 15 rauchen und trinken in Österreich als in anderen EU-Ländern, mehr entwickeln ein Problem mit Aggression oder leiden unter täglichem Mobbing in der Schule. Die Sterblichkeitsrate der 15- bis 19-Jährigen liegt vergleichsweise hoch.

[...]

Fast jeder dritte 15-jährige Österreicher raucht – mehr als in jedem anderen OECD-Staat –, jeder fünfte trinkt regelmäßig Alkohol, die Selbsttötungsrate liegt mit 9,5 pro 100.000 in der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen im negativen Spitzenfeld. Dazu kommen 100.000 Kinder, die laut Klaus Vavrik „in manifester Armut“ leben.

M (damals 18) sagte mir vor einiger Zeit, in einem erschütternden Tonfall:

"Wir erleben, daß das, was wir als Ursache dieses Wahnsinns, als den wir alles rundum empfinden, sehen, oder mehr noch: ahnen, daß also genau das als Gegenrezept diskutiert wird, sobald solche Verzweiflungsschreie auftauchen. Kann man sich eine noch hoffnungslosere Situation für uns Junge vorstellen? Wir haben so das Gefühl, daß es doch was anderes geben müßte, und wir wollen daran festhalten, aber es wird immer schwieriger ...

Das, was ich und so viele meiner Freunde sich als gute Gegenwelt empfinden, ist immer weiter von dem entfernt, was uns die Lehrer und Medien als gute, lohnenswerte Welt vorstellen und wofür sie kämpfen. Ich habe sogar oft so ein dumpfes Gefühl, daß das, was als moralisch erstrebenswerte Ziele dargestellt werden, diesen geahnten, ersehnten Lebenszielen völlig widerspricht. Und am ärgsten sind oft genau die, die mir erzählen, daß sie mich verstehen - es ist wie ein Horrorfilm, der mitten drin verspricht, daß er nie endet. Aber dann fühle ich mich so schuldig, wenn ich das denke ... Aber es ist schrecklich - man ist rundum wie einbetoniert, ausweglos, so wie es in den Städten auch aussieht. Da frage ich mich dann, warum ich überhaupt noch weiterlebe. Man hofft halt trotzdem immer noch auf irgendetwas. Nur so ein Gefühl."