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Montag, 22. Februar 2010

Wie alles kam (5)

Versuch einer Zwischenbilanz:


Die "Konfliktkultur", die in Österreich von 1945 an und bis heute vorherrschend kultiviert wurde, ist im Grunde ein Kriegsstrategie: Zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die prinzipiellen politischen Strukturen in diesem Lande ausformten, die im Wesentlichen seither unverändert herrschen, ja sich geradezu perpetuiert, hermetisiert haben, und das liegt in ihrer Natur, zum Zeitpunkt nach 1945 ging es um das bloße Überleben als selbständiger Staat den Machtblöcken des Kalten Krieges gegenüber. Schon deshalb mußten ideologische Prinzipien hintangestellt werden, denn über allem regierte ein einziges Kriterium: der Bestand Österreichs.

Nichts vereint so sehr, wie ein gemeinsamer Feind. Ja, manches Ding auf dieser Welt hat überhaupt nur dann Bestand, wenn es ein Gegenüber hat. Und: solange es dieses hat. Die Lage zwischen den Machtblöcken, immer in Wahrheit nur von den Kommunisten bedroht - so empfand man es in diesem Land, so handelte die Politik, in Wahrheit waren die Kommunisten im Parlament nie eine wirklich ernstzunehmende Größe - hat hierzulande ein Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen, das nicht unwesentlich zur Schaffung eines Proporzsystems führte, demgemäß die Parteien, und somit die Gewerkschaften anteilig gesehen am meisten, das Leben in diesem Land völlig durchwirkt haben.

Speziell die Gewerkschaften werden als Prinzip meist völlig unterschätzt. Denn ihr Einfluß ist nicht "quantitativ" - er ist ein prinzipieller. Mit der Streikdrohung, mit der Drohung, das ganze tägliche Leben und Wesen eines Staates zu kippen, und das ist eine Streikdrohung, sind sie in Wahrheit die Träger der gesamten Macht. In Österreich hat die starke Konzentration der gewerkschaftlichen Macht, die mehrere Gründe hat, die hier bereits nachvollziehbar gemacht wurde, zu einem lebenspraktischen Pragmatismus geführt, der auch nach 1955 nicht mehr zu beseitigen war. Dazu hätte es einer regelrechten Neugründung des Staates bedurft, der vielzitierten "Dritten Republik" - befänden wir uns nach Ansicht mancher seit 1971 nicht längst in einer solchen - dazu aber später.

Jenes Lebensprinzip aber, das nur noch den pragmatischen Wohlstandsvorteil als maßgebendes Kriterium der Politik sieht, wird zurecht als "sozialistisches Prinzip" gesehen - als Ausformung des puren Materialismus. In dieser Lebensprägung haben sich nicht nur die Nachkriegsmenschen bewegt, sondern sie haben die nächsten Generationen großgezogen.

Nun hat der Materialismus - quantitativer Wohlstand als alleiniges Kriterium - eine bemerkenswerte und widersprüchliche Folge, er schafft Angst. Denn er verhängt zunehmend Identität und Persönlichkeit mit irdischen, aber vergänglichen (!) und gefährdeten Gütern. Damit wird deren Wandel und Krisenhaftigkeit zunehmend zum taktgebenden Zentrum des Lebens.

So verändert sich die Sichtweise der Menschen. Materielle Sicherheit steht über allem, ihr wird ideologische Ausrichtung - und hier hat sie insofern Sinn, als sie NICHT materialistische Lebenshaltung anzeigt, wo also Identität und Lebensmotiv "krisenresistenter", von irdischem Geschehen unabhängiger, in überzeitlichen Werten ankert - völlig untergeordnet. Diese Prinzipienlosigkeit, die viele ja sehr wohl auch heute feststellen und an den Parteien kritisieren, wird umgekehrt subjektiv gerechtfertigt, und somit selbst zum ideologischen Prinzip, das auch aggressiv verteidigt wird.

Dieser "Liberalismus", als Folge immer verengterem Materialismus, schafft also zwar nach außen "Ruhe", scheinbar Konfliktlosigkeit, ist aber in Wahrheit nur ein Verbot von Konflikten, dessen Einhaltung auch strikt überwacht wird.

Ausgehend also von der immer tieferen Angst, das gesamte System unseres Lebens bräche zusammen, werden die Lebensäußerungen zunehmend reduziert, und wo sie gerade aus diesem unterdrückten Vitaltrieb heraus zu einer sogar übertriebenen Exaltiertheit führen, sind sie in Wahrheit Ersatz für die unausgelebte Eigentlichkeit der Antriebe. Man tut viel - um nicht das tun zu müssen, was man tun sollte - um denn die Angst vor dem Scheitern, dessen Konsequenzen dunkel bleiben müssen, die ein Herausfallen aus dem System prinzipiell verlangen (!), überwiegt. Denn wer SEINEN Weg geht - der muß auf jeden Fall aller Konvention entsagen. Seinen Weg kann nur er gehen, hier ist jeder im letzten ohne Archetyp.

Das ist dann der Moment, wo sich Parteien von "Bewegungen" abgelöst sehen. Hier sucht sich vitaler Trieb, der in vorgefundenen Strukturen keine Entsprechung mehr fühlt, eine konkrete Form. Weshalb jede Bewegung unweigerlich in eine Partei mündet ... Die FPÖ, die ideologisch keinen wirklichen Boden hatte, war die einzige Partei, die somit diesen "Bodensatz" der Unzufriedenheit aufnehmen konnte. (Ihre Spaltungen der letzten Jahre sind im Grunde für diese Thesen irrelevant, ja bestätigen sie: Die Kärntner BZÖ unter Jörg Haider war eigentlich eine Rückkehr zum Wohlstandspragmatismus, wie ihn die SPÖ und schließlich das ganze Land vollzogen hat.)

Scheinbar werden dann alle Aufgaben der Politik zu reinen Sachproblemen - man übersieht dabei aber, daß schon die Definition dessen, was die Sache eines Problems ist, ideologische, weltanschauliche Grundfragen geklärt haben muß! Sonst wird Problemlösung zum bloßen ... und hier wieder eine Ursache der heutigen Blöcke! ... Technizismus. Weil sich die Lösung eines Problems immer nur auf die Erhaltung eines Status quo beziehen KANN.

Jedes Heraustreten aus dem mehr oder weniger engen Rahmen eines "Sachproblems" verlangt sofort weltanschauliche Positionierung, und damit Geist.

Die Festlegung der realen Lebensstrukturen in diesem Land aber - wo alles sich letztlich in einer Form von Gewerkschaft aufgelöst hat, einer Verbrüderung in der Forderung nach Wohlstand "gegen" den Staat - ist nicht nur ein Verbot solcher Überlegungen, sondern eine ideologische Entscheidung selbst: die des Materialismus.

Der in diesem Land durch seine politischen Strukturen zum Lebensprinzip einzementiert wurde. Damit - und hier muß man Marx in gewisser (nämlich: faktischer) Hinsicht recht geben - wird das Weltprinzip tragend, daß sich das "Sein" das Bewußtsein schafft.

Nahezu jeder Lebens-, vor allem aber: Denkbereich in diesem Land ist somit materialistisch und in einer meist höchst widersprüchlichen Mischung von Ideologien, deren einziger Nenner: subjektiver Pragmatismus ist, geprägt. Aufruhend auf einem gesättigten Dasein, in dem natürlich nur das Mittelmaß, ja: das untere Maß, "alles" findet. An dem aber vor allem das Überdurchschnittliche, das immer (!) ein Geistiges ist, selbst wenn es sich auf körperliche Fähigkeiten (Sport) beruft, scheitern MUSZ, weil es mit dem Strukturkonservativismus des Zufriedenen konfrontiert ist, das aber die Entscheidungen trägt,

Nicht zufällig deshalb werden in den letzten Jahren die Rufe nach Überdurchschnittlichem laut! Aber diese Rufe werden zwangsläufig scheitern, werden keinen Wiederhall finden können. Die Lebenshaltung in diesem Land ist zerstört - und sie ist es aufgrund politischer Entscheidungen und Wege der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Man muß, um das zu belegen, nur ein ganz klein wenig die Augen öffnen, denn die Indizien sind mehr als erdrückend: die Lebensgeschichten der Menschen mit außergewöhnlichen Leistungen sind auch heute noch Geschichten von oft unmenschlichen Überwindungen von Schwierigkeiten - keine Produkte von Fördertöpfen oder -wegen. Schon deshalb übrigens ist von den meist überversorgten Migranten ... nur wenig zu erwarten. Viele kommen nicht, um hier zu wirklichen, wozu sie in ihrer Heimat nicht in der Lage sind, sondern um sich ebenfalls hier an den scheinbar unerschöpflichen allgemeinen, verrechteten Töpfen bedienen zu können.

Nur - nur! - dort werden sich aber noch Überdurchschnittliche erheben können, weil als ultimo ratio zu sich selbst finden, wo sich Bevölkerungsgruppen finden, die Systemverlierer sind. Zwar hat der Sozialstaat auch deshalb nämlich die Tendenz entwickelt, "alle" zu integrieren - denn nur Unzufriedene gefährden ihn (scheinbar, nur scheinbar!) - aber er produziert eine kleine Schicht an "Todfeinden", die er niemals wird integrieren können.

Dieses tatsächlich kleine, vielleicht sogar: winzige!, Reservoir an Menschen ist die einzige Zukunftshoffnung Österreichs ...