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Samstag, 6. Februar 2010

Eine deutsche Eigenart

Es scheint keine Ausnahme, wenn man heute beobachtet, wie alles, was doch schon da war, versinkt, wenn sich so vieles, das sich neu gebärdet, heute, in Wahrheit Kindergebrabbele ist, lautstark angekündigt vom gerade Bekehrten, der einen nächsten Schritt erstmals entdeckt hat, und nun meint, er sei am Ziele.

Schon Rudolf Borchardt schreibt gegen 1910 in seinem Vorwort zu "Die großen Trobadors": "Alle hundert Jahr muß die Leidenschaft einer stolzen Poesie einem geknechteten Deutschland von neuem zeigen, daß es eine Vorzeit besitzt, an deren Gefhülserwerb mindestens aller echte Begriff des Vaterlandes sich erst anknüpft, und ihre wieder längst verratenen und verlachten Denkmäler erneuern."

Das Alte neu entdecken, wie hier die Trobadors der Provence, die die deutsche Literatur aus der Taufe hoben, wo das Romanische endete, wo das Germanische begann. Ja, hier begann die gesamte westeuropäische Literatur. Es bedeutet nicht aber pflichtschuldigst abgespulte Schuldandacht, sondern bedeutet, daß im Wiederaufleben der Gefühle der wirkliche Schatz der Tradition erst wieder neu zu leben beginnt, sich erst beleuchtet und entdeckt. Sodaß auf den Schultern der Vorfahren, auf den Leistungen der Literatur der Vergangenheit, weiter - und jetzt erst: neu! - gebaut werden kann.

Damit wir nicht entdecken müssen, daß wir trunken vom Enthusiasmus ... alte Hüte in unseren Händen drehen, deren Form voreinst bestenfalls belacht worden wäre.

Die Anfänge wieder hören ist wie das Wiederhören des Zieles, jener Melodie, die neu zu gebären Sinn und Aufgabe jedes Dichtens ist, das von der immer gleichen Kraft nur beseelt werden kann - weil es dieselbe Seele ist, deren jeweilige historische Gestalt wir doch nur sind, weil wir Historie sind als Tänzer, um eine Mitte herum, und kraftlos und bleich werden, je weiter wir von dieser Mitte uns entfernen. Wie leicht vergessen wir sie dann, die Quelle, und meinen, wir könnten auch ohne sie leben, ja seien uns selbst Quelle.

Wir scheinen heute also genau dort wieder zu stehen, wo wir schon so oft gewesen sind, und verachten das Alte, weil wir meinen, es sei überholt. Dabei sind wir, von den Greisen, überholt ...

Ist uns das Gestern zu schwer? Sind damit wir selbst uns zu schwer? Haben wir nicht nur einfach zu wenig Kraft, das Erbe anzunehmen?




*060210*