Zur Stärkung seiner Forderung auf Eingliederung von Lothringen in sein französisches Reich hatte dessen legendärer König Heinrich IV. den Plan, seinen Sohn Ludwig (den späteren König Ludwig XIII.) mit der ältesten Tochter des damaligen Herzogs Heinrich von Lothringen zu verheiraten. Nach einem Jahrhundert, in welchem die Hausmacht der Habsburger durch Heirat ohnehin bereits in schwindelerregendem Tempo gestiegen war, sah er die Notwendigkeit, auch seinen Machtbereich durch Allianzen zu stärken, und Frankreich befand sich mit dem Deutschen Reich ohnehin schon jahrhundertelang im Dauerstreit.
Der Plan scheiterte. Aber nicht, weil das Objekt der Pläne, die lothringische Herzogstochter Nicole, zum Zeitpunkt der Heiratsverhandlungen ... erst ein (!), der Sohn Heinrichs, Ludwig, auch noch recht zarte acht Jahre alt war, sondern weil Heinrich IV. einem Attentat zum Opfer fiel. Und seine Witwe, Maria de Medici, dynastisch Habsburgerin, anschließend sofort die Heiratsallianz mit Spanien suchte.
Da trat Franz II. von Vaudémont auf, um Nicole für seinen Sohn Karl, geboren 1603, also damals sieben Jahre älter als das fürstliche Kleinkind, der spätere Karl IV. von Lothringen, zu erhalten. Doch Heinrich lehnte ab, Nicole sollte nach den Plänen ihres Vaters, Herzogs Heinrich II., dem Baron von Ancerville, mit dem Sohn des 1588 ermordeten Kardinals von Guise, vermählt werden, einem Mann von dreißig Jahren. Worauf es im Adel und im Volk zu einem Aufbegehren kam - Anceville wäre zu ... französisch, Lothringen immerhin (damals noch) dem deutschen Kaiser sowie dem Bischof von Trier untergeordnet. Also gab Heinrich nach, und das Kind wurde die Frau des Sohnes von Franz II. von Vaudémont, mit dem sie dann auch nach dem Tode des Vaters 1624 die Regierung übernahm. Da war Nicole zwölf, ihr Gemahl neunzehn Jahre alt.
Die Ehe wurde sehr unglücklich. Heinrich II. sagte über seinen (ihm aufgezwungenen) Schwiegersohn: "Ihr werdet sehen, daß dieser Tölpel alles verlieren wird." Und er ließ im Ehevertrag festhalten, daß Nicole nicht nur gemeinsam mit Karl regieren würde, sondern dieser verblieb in seinem (geringeren) Adelsrang.
Das Lothringen Heinrich II. beschrieb der französische Memoirenschreiber Nicolas Coulas als kleines Paradies: "Stellen Sie sich große dichtbevölkerte Marktstädte am Ufer schöner Flüsse vor, fette Viehherden aller Art, mit Reben bedeckte Hügel und Täler, die so fruchtbar sind, daß man das Getreide kaum zu ernten vermag; da leben Bauern, an deren Häusern es überall mit Glasscheiben versehene Fenster gibt, und diese Landleute verwahren in ihren Truhen große silberne Becher. Stellen Sie sich all dies vor, und Sie werden nur eine ungefähre Ahnung vom Glück dieser Gegend haben, so wie es herrschte, bevor der Krieg ausbrach. Nie mehr sah ich wie einstmals dort den wahren Überfluß und nie mehr das Bild solcher Harmonie."
Die Voraussage Heinrich II. ist eingetroffen, auch wenn Karl IV. von Zeitgenossen als schlagfertiger, witziger und körperlich sehr gewandter Fürst mit kühnem Temperament geschildert wurde. Aber er war im Lavieren zwischen Frankreich und Deutschem Reich, in dem der Dreißigjährige Krieg tobte, überfordert, und überschätzte sich in seinen politischen Fähigkeiten noch dazu lächerlich maßlos.
1625 brach ein schwerer Ehestreit zwischen Nicole und ihrem Gatten Karl IV. aus. Karl war formal ja nicht Herzog, sondern seiner Frau untergeben. Das wollte er nicht mehr dulden.
So griff er zu einer List: ein (vermutlich gefälschtes) Testament eines Vorfahren seines Schwiegervaters Heinrich II. tauchte plötzlich auf, das Frauen die Regierungsgeschäfte nur dann zusprach, wenn die Linie keinen Nachfolge habe. Er ließ deshalb seinen Vater erheben - und der ... verzichtete wenige Tage nach der Inauguration zugunsten seines Sohnes - Nicole war entmachtet.
Aber von nun an ging's bergab: Erst brachte Karl IV. ins eigene Land Unruhe, indem er die langjährig bewährte Harmonie der Stände zerstörte. Und schließlich gelang es ihm, als labilem Charakter, durch ungeschicktes und widersprüchliches Lavieren nicht, Frankreich gegenüber neutral zu bleiben, ja dieses mußte annehmen, er stünde auf der Seite auch innerer Feinde. Karl IV. suchte und fand Schutz bei Kaiser Friedrich III., der garantierte ihm Beistand - und so wurde 1630 der erste zentraleuropäische Friedensschluß, der aus dem Dreißigjährigen einen Zwölfjährigen Krieg gemacht hätte, verhindert: Richelieu zerriß den unterschriftsreifen Vertrag wegen der Garantien für Lothringen.
Während aber der Kaiser militärisch bereits zu schwach war, Lothringen wirklich zu schützen, wurde die Souveränität Lothringens nach und nach vom "bedrohten" Frankreich ausgehöhlt, und als die Schweden München einnahmen, nützte Richelieu die zweifelhafte Legitimität Karls, nannte Nicole die rechtmäßige Regentin, und marschierte unter fadenscheinigen Gründen in Lothringen ein.
Verzweifelt wandte sich Karl an Habsburg und Wallenstein - doch der ließ seine Truppen unter General Aldringer wieder umkehren ...
Karl wurde von Ludwig XIII. 1633 schließlich abgesetzt, soll heißen: er verzichtete zugunsten seines Bruders, eines Bischofs, auf die Regierung, und trat Lothringen vorerst zeitlich begrenzt an den französischen König ab. Anschließend floh er nach Deutschland und wartete auf den Tag der Wiederkehr - als Herzog.
Richelieu freilich holte konsequent Nicole nach Paris, als Gefangene, und rechtmäßige Thronfolgerin. Dort starb sie auch - völlig vereinsamt. Während Karl IV. sogar ... eine offizielle Parallelehe führte.
Und während Richelieu "nachweisen" ließ, daß Lothringen historisch belegt seit 1285 französisches Eigentum sei.
Die Bevölkerung freilich hielt zu "ihrem" Herzog, ja verehrte ihn wie einen mittelalterlichen Heiligen, der für sie die Freiheit erkämpfte ... Sie sollte es bitterlich büßen: Karl kehrte tatsächlich zurück und führte bis 1675 Krieg gegen die Franzosen, die die Taktik der verbrannten Erde anwandten, Lothringen letztlich völlig verwüsteten, und die Bevölkerung auf brutalste Weise dezimierten.
*080210*