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Freitag, 26. Februar 2010

Parameter sinnvollen Freiheitsentzugs

Wahrscheinlich Dr. Josef Goebbels schrieb 1930 in einem von der historischen Wissenschaft kaum rezipierten, weil ob seiner Urheberschaft strittigen Artikel ("Utilitarismus und unsere Bewegung") im "Hochberliner Achtelsblatt" folgende Sätze:

"In Zeiten der Krise zählt nicht mehr die Integrität der einzelnen Teile eines Organismus. Vielmehr zeigt uns die Natur, daß nur noch jene Eigenschaften der Organe eines Ganzen zum Tragen kommen und abrufbar sein müssen, die einem einzigen Ziele - der Beseitigung der Lebensgefahr - dienen.

Entsprechend muß ein Volkskörper sich Mitleid verbieten, das er sich in Notzeiten nicht leisten kann, weil ihm Ballastexistenzen jene Lebenskraft abziehen, die er an der Front, dem Entscheidungspunkt seiner Existenz, benötigt. Es mag in Friedenszeiten, in Zeiten der Üppigkeiten, ausreichend Raum für solchen Luxus der mitmenschlichen Werte wie Barmherzigkeit und Liebe geben. 

Aber die große, alles umfassende Liebe fordert eine Situation, in der es um das Überleben aller geht, das nur im Organismus des Ganzen möglich ist, herrisch ihr Recht, und sie verlangt die Unterordnung geringerer Interessen, des Einzelnen, auch wenn es ihn das Leben kostet. 

Es muß deshalb verlangt werden können, wenn ein Staat, wie es heute der Fall ist, um seine Existenz ringt, belastende Existenzen selbst ihre Eliminierung betreiben. Wir haben keinen Platz für halbe, Viertel- oder Achtelkräfte, wie der Humanwissenschaftler Karl Binding es ausdrückt. Es braucht auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen, um diesen menschlichen Hülsen eine Erlösung von ihrem Leiden, das sie für ein Volk sind zu ermöglichen. Denn unser Volk braucht das Ganze, oder es wird im Kampf ums Überleben untergehen! Wir dürfen unsere Arbeitskraft, unsere Geduld, unser Vermögen nicht mehr länger verschwenden.

In diesem Sinne muß es der Staat als seinen Auftrag sehen, sich selbst zu reinigen. Ja, jede Familie muß es als Ruf zur Pflicht fühlen, sich vom Ballast zu befreien, um mit von alten bürgerlichen Maßstäben der Schwäche befreitem Herzen und mit ganzer vitaler Kraft dem Staate und ihrem Glücke zu dienen. Denn die Kraft eines Staates steht im Verhältnis zum Glück seiner Menschen!"

Lüdger Beer weist in seiner Schrift "De animae terrorismae" die simple Mechanik auf, die das technische Zeitalter zu einer Apparatur macht, die aber einen identifizierbaren Gesamtzweck benötigt - und den schafft eine Gesamtbedrohung, die die Unterordnung aller Partikularinteressen unter die Interessen des Gesamtüberlebens nötig macht. Kennzeichen eines entuferten Gesellschaftssystems sei es deshalb, daß sich solche Ziele häuften, die eine Bedrohung des Gesamten voraussähen, die die Beseitigung individueller Freiheiten notwendig und vertretbar machten. Während das Bedienpersonal des Technizismus sich aus Spezialanwendern zusammensetzt, zu dem vor allem jene wissenschaftlich vorgebildeten Figuren neigen, die sich in der Technik der Stoffbeherrschung verlieren können.

(Es war auffällig, mit welch biederem Enthusiasmus, zugleich mit welchem moralischen Pathos, die Techniker nationalsozialistischer Eugenik und Euthanasie ihr Handwerk betrieben; während ihre Gewissen durch die "Notwendigkeitssituation" entlastet war, die ihrem Handeln den Charakter einer  Befehlserfüllung gab, sofern dieser nicht ohnehin vorlag.)

Gradmesser der Fortgeschrittenheit solcher Gesellschaften sei, so Beer, die Tatsache, daß je näher solche Systeme dem Kollaps stünden, der Wert der Freiheit diffundiert, für den Einzelnen als Maß politischen Handelns nicht mehr vorhanden und relevant ist. Vielmehr schreite die Vermassung voran, die den Einzelnen von der Pflicht, die Freiheit nämlich in Wahrheit bedeute, enthebe. Der Einzelne fühlt immer deutlicher den Zwang, sich einer Norm anzupassen.

Zugleich werde das Denken, schon gar das der Öffentlichkeit und der Medien, zu einem reinen Mechanismus degradiert, so daß Entscheidungen immer ausschließlicher "nicht anders fallen können", zu simplen mathematischen Ergebnissen führten.

Totalitarismen haben immer also zwei Hebel: den einer zwingenden Moral, der den zweiten Hebel, des notgedrungenen Entscheidens gegen die Freiheit des anderen, nach sich zieht. Und sie sind immer der Verlust des Bewußtseins, daß sich das Leben immer auf Gott bezieht und ein Dialog ist, dessen Wert nicht innerweltlich-technisch beschränkbar ist.

Der politisch entscheidende Punkt dabei aber ist, daß längst zuvor der Humanitätsmaßstab zu einem Zweck- und Nützlichkeitsdenken reduziert wurde.