Im spanischen König Philipp IV. (1605-1655) zeigt sich ein Charakterbild, das Carl J. Burckhardt als so typisch für Verfallszeiten - Spanien als Weltmacht verfiel binnen weniger Jahrzehnte - und das in seiner knappen Analyse völlig typisch für den Zustand des heutigen Charakters ist: man spürt und weiß um die Unfähigkeit, den Anforderungen zu genügen, weil man von den Leidenschaften gepackt nicht mehr Herr seiner selbst ist.
Burckhardt schreibt: "Verfallsepochen sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß der sexuelle Trieb in allen seinen Abarten nicht nur überhand nimmt, sondern auch Mittelpunkt des Interesses, der Begutachtung und der Darstellung wird. Dieser Zustand hatte in Spanien nach dem asketischen Streben des 16. Jahrhunderts einen besonderen Höhepunkt erreicht. Eine Art von erotischer Raserei zwischen sadistischem Blutrausch und passivem Lechzen nach Lusterneuerung wird von allen Berichterstattern der Epoche überliefert; schwere soziale Folgen durch die Unterdrückung dieser Zustände, die massenhaften Praktiken der Abtreibung, die organisierte und lukrative Kuppelei, die mit Todesstrafen geahndete Entstehung gleichgeschlechtlicher Bünde, werden noch gesteigert nicht durch zerlegende Begutachtung wie heute, sondern durch die ungeheure Vorstellung von Sünde, Strafe und Reue."
Philipp IV. war noch dazu von einem kindlich-plappernden Mitteilungsbedürfnis erfüllt, weshalb über seine Zustände heute genaueste Kenntnis herrscht: "Neben unzähligen Zeugnissen zeigt diese Korrespondenz, in welchem Maß der spanische Herrscher, der das Geschick seines großen Volkes in einer der schwersten Epochen seiner Geschichte in die Hand nehmen hätte sollen, um es zu wenden, an einer lähmenden Schwäche des Charakters litt. Sie hatten schon den Sechzehnjährigen daran gehindert, sich ganz einer Sache hinzugeben, um jene Kraft zu gewinnen, die alle Fähigkeiten des Individuums zusammenreißt und es in den Stand setzt, sich selbst dem Aussichtslosen zu stellen."
*130210*