Morgen 3. Teil) Warum van Riekenburg diesmal wach blieb
Ganz einfach, setzte Wassmann fort, ganz einfach: Windkraft kann nur in Verbindung mit Speicherkraft überhaupt eingesetzt werden. Wenn Wind bläst - Bild 4, bitte! (Niemann suchte den Diaprojektor, schaltete vorwärts, bis das gesuchte Bild erschien: ein riesiger Rotor, der hundert Meter über einer Wellblechhüttensiedlung in Bangalore an einem Mast befestigt war) - nicht regelmäßig, und daran wird sich auch nichts ändern. ABER das ist eine große Chance. Wer ist derzeitunser stärkster Konkurrent?
Na diese Wasserkraft, ich habe es ja immer gesagt, wir sollten ... Wassmann ließ van Riekenburg diesmal nicht ausreden.
Wasserkraft. Genauer: Speicherkraft. Aber wie verdrängen? Die ist ja auch sehr (Wassmann zeichnete mit seinen Fingern die berühmten Krähenfüße in die Luft) ökologisch, der gehört also auch die Zukunft. Wir nützen das aber. Windkraft braucht nämlich unbedingt Speicherkraft! Na, klingelt es?
Doktor Knoch schien langsam immer größere Augen zu bekommen: Ich ahne etwas ... murmelte er, ich habe es ja immer gesagt! Ich ahne etwas ...
Wenn wir die Windkraft forcieren, verdrängen wir die Speicherkraftwerke vollständig aus dem Netz, meine Herren! Die Windkraft braucht im selben Ausmaß ihrer Kapazität Speicherkraft, und nicht nur das, sie ist eine Grundlast, sie kann nicht für Spitzenlast verwendet werden! Was passiert? Die Atomkraft, könnte man denken, wird verdrängt? Nein, im Gegenteil: Sie wird so wichtig wie noch nie! Denn es braucht zuverlässige Grundstromlieferanten! Speicherkraftwerke können nur kurzfristig liefern und bei Überproduktion - bei Windkraft die zweite Schwachstelle - aufnehmen. Dann braucht es Atomstrom.
Na, und die kalorischen Werke?
Nun kommt Punkt drei unserer Strategie: kalorische Kraftwerke verpesten unsere Umwelt. Wir haben in fünf Stufen ein PR-Szenario vorbereitet, wo wir die Öffentlichkeit darüber informieren werden (Niemann kicherte), daß wenn wir so weitertun unsere Umelt kollabieren wird. Wir haben Verbindung mit amerikanischen Freunden in der PR-Branche, und die sind uns uns um jahrzehnte voraus, meine Herren, Jahrzehnte: man wird die Stimmung in der Öffentlichkeit dahingehend beeinflussen, daß eine weitere Verschmutzung unserer Luft im Namen eines drohenden Klimakollapses nicht hinnehmbar ist. Das muß sehr solide und langfristig aufgebaut werden, meine Herren, aber wir haben - Ihr Einverständnis vorausgesetzt - bereits die ersten Schritte eingeleitet. Hier sehen Sie Forschungsstationen in Grönland, hier (die Dia schnappten nun in rascher Folge) in Ruanda, hier in Atlantic City, hier in Hawaii ...
Wassmann schwieg, ein Dia nach dem anderen schnappte. Wir sind längst dabei, weltweit Forschungsstationen zu finanzieren, die allesamt nur eines tun werden: Daten liefern, die die Notwendigkeit einer energietechnischen Wende beweisen werden. Die beweisen werden, daß ein Klimawandel schlimmsten Ausmaßes bevorsteht, der die Menschheit ausrotten wird, wenn er nciht bekämpft wird - und der mit dem Ausstoß von CO2 zu tun hat. Damit schlagen wir die kalorischen Kraftwerke endgültig aus dem Feld, meien Herren!
Wir bauen also Windräder und Solarzellen, die gleichzeitig Atomkraftwerke forcieren, die weil sie von öffentlichem, elementaren, lebensnotwendigem Interesse sind, auch staatliche Gelder ansaugen werden wie die ersten Industriestaubsauger, die wir in Mainz damals gebaut haben.
Wir schlagen die Speicherkraft aus dem Feld, und wir schlagen die kalorischen Kraftwerke aus dem Feld. Gleichzeitig bauen wir rund um die Welt ein Atomkraftwerk nach dem anderen, weil der Energieverbrauch das einzige sein wird, das in den nächsten Jahren steigen wird.
Wir bauen dazu auf einer langfristigen PR-Strategie auf, die wir durch eine Aufstockung unserer Gelder für die freie Wissenschaft vorbereiten, und setzen in unserer PR voll auf die Karte "Klimawandel". In einem ersten Schritt werden wir über einen professionell angefertigen abendfüllenden Film erstmals mit einem Paukenschlag die Alarmglocke schlagen.
Na, nickte nun van Riekenburg, und was werden da unsere Freunde in der Ölindustrie sagen?
Wri haben Exxon und Texas-Oil bereits eine Kapitalverflechtung angeboten, und es sieht alles danach aus, daß es dazu kommen wird. Denn wri werden nciht wenig Geld in die Hand nehmen müssen, meine Herren. Aber aktiv gestaltet - gehört uns die Zukunft. Es wird nur darum gehen, wer die Dinge als erster in dei hand nimmt. Sie werden sehen: der Rest der Welt wird nur noch reagieren können. Und man wird - das können Sie mir glauben, so wahr ich Wassmann heiße (Niemann wurde blaß, das war doch sein Redeteil!?), daß sie so reagieren werden, wie WIR das wollen.
Noch Stunden später - Wassmann saß mit Niemann in dieser schmierigen Gigolo-Bar am Kranzelplatz, wo man noch den letzten Absacker konsumieren wollte - klang ihnen der Applaus im Ohr.
Hast Du den ollen Zausel gesehen, prustete Wassmann? Diesen ...
... van Riekenburg, na sicher! Du, auf uns!
Auf uns!Aber eine Frage habe ich noch ...
Niemann blickte auf: Ja?
Was macht die E-Wirtschaft wirklich nun bei Spitzenlaststrom? Ich meine, dann ist ja sagen wir 2000, 2020 der bisherige Ausgleichsstrom - die Speicherkraft - durch die Windkraft gebunden. Wer liefert dann den Spitzenlaststrom?
Niemann zuckte mit den Achseln. Ach, meinte er, und deutete dem Barmann, ihm noch ein Bier zu bringen, das weiß ich auch nicht, aber deas ist ja noch so weit. Und außerdem: sollen sich doch auch die anderen etwas einfallen lassen? Notfalls ...
... importieren?
Genau, notfalls importieren.
Wissmann lächelte, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. Prost!
Prost!
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