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Mittwoch, 6. Juli 2011

Den Gefallen tun, und die Lüge glauben

In Karl Kraus' "Dritte Walpurgisnacht" - einem scharfgeistigen Kommentar zum Nationalsozialismus, den er 1933 längst durchschaut hatte, weshalb Kraus ja zum überzeugten Anhänger der Vaterländischen Front von Dollfuß wurde, dem einzigen Widerstand gegen Hitler, dem er traute - findet sich folgende Passage, die Kraus einer Zeitung entnimmt:

"Auf dem Kurfürstendamm drangen dieser Tage in ein bekanntes Geschäft SA-Leute ein. Sie benahmen sich äußerst gefahrdrohend und der Sohn des Besitzers lief, während sein Vater im Laden festgehalten wurde, um Polizeischutz. Er rief der Schupo-Streife zu, in seinen Laden seien Kommunisten eingedrungen. Vor den SA-Leuten wiederholte er, er halte sie für verkleidete Kommunisten und Provokateure, da sich, wie aus den amtlichen Berichten hervorgehe, die SA gesittet und gesetzmäßig benehme. Nach längeren Verhandlungen blieb der Schupo nichts anders übrig, als die SA-Leute aufs Revier zu bringen."

Noch nie, schreibt Kraus, gab es bessere Geistesgegenwart. Dieser unbekannte Zivilist hat inmitten körperlicher Bedrohung wahren Widerpart geboten. Darauf aber zu bestehen, daß Lüge Wahrheit ist - diese Waffe hätte vieles verändert, vor allem würde sie den Deutschen die niederschmetternde Enthüllung ersparen, daß ihre Wahrheit Lüge war.

Und Kraus ficht mit dieser Waffe meisterlich! Als die Zeitungen schreiben, es seien bei der nationalsozialistischen Revolution keine zwanzig Menschen ums Leben gekommen, fordert er ein, daß die Marschliedparolen der SA reines Maulheldentum wären, wenn es da heiße: "Wenn's Judenblut vom Messer spritzt, geht's uns noch Mal so gut". Wenn das nicht stimme - was also solle das Volk aus der Notlage, in der es sich befinde, und die zu beseitigen die Nazis angetreten seien, endlich retten?

Warum, klagt Kraus, geht man auf so viel nicht ein, das die Nazis doch so freimütig anbieten - indem man sie einfach beim Wort nimmt! Nicht antizipiert, daß sie lügen, was sie fraglos tun - aber einen Schritt der Tat setze und sie zwingt, ihre lächelnde Fratze zu beweisen, oder sie vom Gesicht zu nehmen.


*060711*