Paolo Uccello (15.Jhd.) - St. Georgs Kampf mit dem Drachen |
Die Ansicht Erich Neumanns erscheint auch mir glaubwürdiger als die Freuds, daß die Inzestangst des Sohnes NICHT aus der Angst vor dem Vater stammt, der Kastrationsangst aus Eifersucht also - sie stammt vielmehr aus der direkten Angst vor der Mutter.
Es ist nämlich das Nicht-Mann-Sein mit der Kastration gleichzusetzen: anders als das Mädchen muß der Junge sich vom "Dunkelen" der Mutter wegheben, sonst ist er nicht er selbst - er ist "anders" als die Nährmutter, das Unbewußte des frühen Lebens.
Mit ihr identifiziert (weil: eins) zu bleiben, wie im Kleinkindstadium, bedeutet ja Nicht-Individuum und damit Nicht-Leben (das immer in seiner höchsten Möglichkeit zu sehen ist - im Geist), also Ent-Ichung, Tod. Ja, Neumann zieht sogar die Linie Mutter - Schooß - Loch - Dunkel - Hölle: die Angst des Mannes vor der Frau.
Um zu sich zu kommen, muß der Sohn die Mutter überwinden, sie bekämpfen, sie besiegen. Der Kampf des Helden mit dem Drachen also ist es, an dessen Ende ein Schatz wartet. Daß dieser Schritt vielfach in den Mythen mit Inzest einhergeht hat keinen direkten personalen Sinn, sondern ins Allgemeine, ist der überpersönliche Bestand der Überwindung der Mutter, der mit einer symbolischen Besitznahme (im Geschlechtsakt) einhergeht: Das Böse, Dämonische ist überwunden, die fruchtbare Seite der Frau, das Leben, freigelegt.
Im Sieg über den Drachen aber folgt der Jüngling dem Höheren, dem Geist, Gott (Vater) - er überwindet die Ebene des Phallischen. Der Priester lebt also zölibatär, ab nun kann er nur noch auf höherer Ebene kastriert werden, beispielsweise in der Blendung oder dem Köpfen ("den Kopf verlieren").**
Der Kampf gegen den Drachen wird aber gerne auf ein Ersatzfeld verlegt - einem Bereich, der die Überwindung der Frau als Ersatzhandlung ermöglicht. Dort sind alle Ambivalenzen, die damit einhergehen, auszuleben. Und es ist häufig ein Kampf gegen Gemeinschaften, denen man angehört, je vorbewußter (der Herkunft näher oder ihr ident), desto besser* ...
Nicht Vaterangst nämlich kann es sein, die beim Homosexuellen die Selbstidentifikation nicht gelingen läßt - es ist der vermiedene Kampf mit dem Drachen. Die Mutter ist zu übermächtig, das Mannsein (beim Vater) wirkt zu schwach, ein Kampf aussichtslos - so, wie eben der Homosexuelle seine Eltern in ihrer geschlechtlichen Identität erlebt. Darin liegt auch die besondere, fast fetischhafte (und doch so ambivalente) Beziehung des Homosexuellen zu seiner Mutter gegründet, wie sie zu beobachten ist. Der Sohn kastriert sich vorauseilend selbst, im androgynen, femininen Gehaben. (Ödipus scheitert!) Umgekehrt kastriert die Mutter den Sohn - auch durch Bindung, den Muttersohn.
Denn also erlebt er den Mann als unerreicht, und verändert den Anspruch, das Leitbild, um seine Schwäche zu verbergen. Neumann schreibt völlig richtig, daß das keine Regression ist, sondern ein Verzicht auf ein Entwicklungsstadium, der Verlust eines Entwicklungsansatzes.
Ohngeachtet der Angst jedes Sohnes, dem Vater nicht zu genügen. Diese Angst hat keine anhaltend identitätsstiftende (bzw. fernhaltende) Kraft. Zumal der Vater Initiationsmomente (Kultur!) bietet, denen auch er sich unterwirft, in denen der Sohn sich durch Überwindung seiner selbst auf dessen Stufe, zum Mann, erhebt. (Übrigens häufig war bzw. ist das der Militär- oder gar Kriegsdienst.)
* Natürlich, die Kirche, die große Frau! Ähnliches passiert heute, im Zeitalter des unterlegenen Mannes,
vielfach generell als Ersatzhandlung der Menschen, auf je ihre Weise, ich schrieb bereits
davon: als unterdrückter Haß auf die Mutter bzw. die Frau, der man
unterliegt einerseits, als Versuch der Frauen den Mann zu binden und den Sohn eifersüchtig zu kastrieren anderseits - der sich in der Kirchenfeindschaft ein Ersatzfeld sucht.
** Neumann weist darauf hin, daß es folgerichtig "obere" Kastraten geben kann, bei Phallusbesessenen, und "untere" Kastraten, bei Kopfbesessenen. Man beachte dazu die Geschichte des Samson aus dem AT. Samson dreht nach der symbolischen Kastration - dem Verlust der Haare, der Blendung - die Mühlsteine im Heiligtum der Dagon, dem Gott des Korns, der unter Herrschaft der Großen Mutter steht. Das Männliche findet sich besiegt bei der Großen Mutter. Ähnlich: Herkules bei Omphale, in Frauenkleidern. Samson kommt wieder zu Kraft, und Gott Jahwe siegt über die Heidengötter: das geistig-männliche Eigenprinzp siegt. Dazu auch: der Sonnenaufgang, der aus dem Dunkelen steigt: der Held überwindet um Mitternacht das Dunkel. siehe dazu: die Metten der katholischen Liturgie.
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