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Donnerstag, 14. Juli 2011

Um seiner selbst willen

Leopold Ziegler weist auf ein Denkproblem hin, das, wie er meint, das gesamte 19. Jahrhundert regelrecht eingenebelt, verblendet hat - es ist der Gedanke, daß  sich mit zeitlichem Ablauf auch "Fortschritt" im Sinne einer "Verbesserung" verbinde.

Nicht nur, daß dieser Gedanke von der höchst bedenklichen, ja lächerlich kindischen Prämisse ausgehe, daß der heutige Zustand nur aufgrund seiner Aktualität einen jeweiligen Höchststand der Entwicklung darstelle. Sondern weil er den Kosmos einer heimlichen Zielgerichtetheit unterwirft, der als Denkprämisse die gesamte Forschung unreflektiert duchdrungen hat.

Er verhindere damit, daß das Leben sich als spielhafter Ablauf von Varianten, in einem unendlich komplexen Zueinander, darstelle - wie es Goethe sah! Als "Ondulation" gewisser Grundtypen und -arten, wo sich niemals sagen ließe, was "weiter" oder "weniger weit" entwickelt sei - seil es jeweils nur Ausformungen des je selben Potenzenpools sind.

Das Leben, schreibt er, hat in seinem Wandel, seiner Morphologie aber vielleicht kein anderes Ziel - als sich selbst! Und in seiner jeweiligen Form ist es vollendet, so gut es ging, und steigert sich im Menschen zum wahren Selbstbesitz, im ewigen Leben: einem unentwegten, unendlichen Formenwandel.

Darein fände sich der Gedanke von Georg Cantor, der Unendlichkeit gleichfalls als unendliche Aneinanderreihung unendlicher Unendlichkeiten sah.

So aber, schreibt Ziegler, wird eine anspruchslosen, aber unanfechtbaren Morphologie eine anspruchsvolle aber anfechtbare Metaphysik hingefälscht. Damit überschreite sich die Naturwissenschaft kategorisch!

Dafür spräche auch das Bestreben der Arten, sie selbst zu bleiben - zwar nach wie vor unterscheidbar, von einzellig zu vielzellig, etc., aber nicht mehr unter dem Gesichtspunkt, daß das Moos eine Weiterentwicklung der Alge wäre, der Farn eine Vorstufe zum Lindenbaum etc., was in sich bereits eine Wertung trägt, die sich zweifellos in der Ehrfurcht allem Lebendigen gegenüber auswirkt. Damit erst entsteht auch das Element des (prinzipiellen) Kampfes der Arten, entstehen die Kategorien von Sieg und Niederlage, von minder- und höherwertigem Leben, je nach "Fortschritt". Erst unter dieser Prämisse ist das jeweils Aktuelle zum "Besseren" geworden, weil es mehr dem Leitsatz Darwins "Survival of the fittest" entspricht. In Wahrheit würde doch eine jeweilige Formveränderung als Weiterentwicklung das Überleben der jeweiligen Art - unter dieser Prämisse - eher voraussetzen, als erklären!

"Das Leben ist offenbar nirgends schöpferisch in Hinblick auf eine stets fragwürdige Vervollkommnung, sondern schöpferisch lediglich in Hinblick auf den Wandel seiner Erscheinungen und Verkörperungen." Sinnentsprechender wäre also von einem "élan formal" oder gar "élan figurel" zu sprechen, als von einem "élan vital".

Immerhin - und alleine dieser Gedanke hat doch noch kaum Eingang in die heutige Naturwissenschaft gefundne, nein: er wurde wieder ausgeschieden, "Feldtheorien" gab es längst zuhauf, doch wurden sie wegen ihrer zunehmenden Nähe zur Metaphysik als "unwissenschaftlich" ausgeschieden - haben wir es in der Natur mit jeweils abgeschlossenen, für sich seienden  Einheiten zu tun, ob Teich, dieser oder jener Teich, Wald, Wiese, Insel, etc. etc. , die in sich Regel- und Erhaltungsmechanismen - wie ganzheitliche Entitäten, Seins-Einheiten, ja Organismen - aufweisen!*

Unter diesem Gesichtspunkt brennt der Gedanke, daß auch die seltsame Verschränkung, von der die Quantentheorie berichtet (Zeilinger), in dieser Richtung eine fruchtbare Erklärung finden könnte. Denn so, schriebt Ziegler, würde sich auch erklären, daß sich so viele Entwicklungsmerkmale in den paläontoogischen Zeugnissen finden, die gleichzeitig, nicht linear-kausal entstanden sein müssen: wenn jedes Lebewesen (ja jede Dingheit) in engster Verbindung mit einer "Lebewesen-Welt" begriffen würde.

Damit würde die Welt zu einer Gegenwart sich immer wieder bedingender wie wiederholender Grundtypen - von den Pflanzen, Tieren, bis zu den menschlichen Charakteren - zum immer wiederkehrenden, sich wiederholenden Spiel derselben Typen in je anderen Konstellationen. Weil es um anderes geht, als um scheinbare Form, und doch genau um die Gestalt einer jeweiligen Form, in Bescheidenheit auszufalten, in die Mit-Welt einzufalten, zu korrespondieren. Womit auch Kultur in diesen Spiralreigen der Form sich einfügt, in ihren jeweiligen Formen - der Pubertät (dem Primitiven), dem ersten Mannesalter (Klassik), dem zweiten (Barock), dem Greisenalter, der Dekadenz - und würde doch, in dieser (Goetheanischen) Art es zu sehen dem unseligen Fatalismus entkommen: das Element des handelnden Menschen würde nicht entschwinden!

Aber die Welt würde als ein Spiel der Form gedacht sein, um ihrer selbst willen da, in ihrer Ausgestalt zur puren Fülle des Hervorquellens der nie endenden Gedanken Gottes.



*Ein Hinweis auf die Arbeiten von u. a. Gurjew, Wernadse's etc. sei gestattet, aber auch wurde hier bereits ausführlich über die Arbeiten von Woltereck hingewiesen, die ähnliche Fragen aufwerfen.


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