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Sonntag, 10. Juli 2011

Und wofür sind sie da?

Die Neue Zürcher bringt in einem Bericht über die Autorentheatertage in Berlin (Thalia-Theater) eine Einschau in das dramatische Schaffen der Gegenwart. Und schreibt zugleich, daß man das nicht mehr so eng sehen dürfe, die Autoren würden es auch nicht tun. Was immer, und in egal welcher Form immer bühnentauglich ist, ist legitim. Leider schreibt die NZZ nicht, was das dann denn sei: "bühnentauglich". „Können“ müsse man es halt, schreibt sie, so wie die Jelinek. Wobei: was die NZZ schreibt, war auch schon konziser. Was soll man solch einem Geschwurbele halten?

Das fällt auf: Es ist dem Gegenwartsstück in Sachen Form alles möglich, aber die Form steht fast immer in strengen Diensten inhaltlicher Ausdrucksabsichten. Nicht selten wirken die formalen Mittel austauschbar. Ausser bei Elfriede Jelinek, der Ausnahmedichterin. In «Winterreise», eingeladen in Johan Simons' Münchner Uraufführung, verbandelt sie fast alle ihre Dauerthemen von der Mutterangst bis zur Dummheit der Menschen zu dem einen grossen Text-Fries. Man kann alles machen im Gegenwartsdrama – wenn man es kann.

Denn durchaus gibt es also Gelingen, nach Meinung der NZZ, und durchaus gibt es Mißlingen. Wobei eine Beobachtung geschildert wird, die auch den Autor dieser Zeilen längst schon beunruhigt: Es fällt auf, daß die (so die NZZ) "jungen Autoren es mit der Sprache nicht so genau nehmen". Die Fähigkleit, sich präzise auszudrücken, schwindet von Jahr zu Jahr. Beobachtbar. Und man kann häufig den Eindruck gewinnen, daß es an inner Kraft fehlt, sich so an die Dinge anzupressen, bis sie ihr Geheimnis preisgeben, bis sie im Wort erfaßt sind. Vielmehr wird häufig "irgendetwas" geschrieben, weil alles nur noch einem Zweck dient: daß alles so aussieht wie. Texte wie ein Drama, Szenen wie ein Drehbuch, Schreiben wie die Arbeit eines Künstlers.

Es ist aber das Wort, auf dem alles aufgebaut ist, es ist das Wort, aus dem heraus Welt geschaffen wird, es ist das Wort, das den Geist atmet und trägt. Es ist die Wahrheit, es bedeutet die Befreiung.

Auch wenn als Text nur noch „Irgendwas“ erscheint. Dann bleibt immer noch der Hinweis, daß es ja so gewollt war, ein freier Ausdruck, vielleicht ist ja überhaupt Poesie genau das: das Unverständliche, das Ungefähre? Mutti und Onkel Ferdinand loben ja trotzdem, was rauskommt. Und für Facebook ist der Schein ebenfalls genug. Anti-Drama also als Dramatik?

Der Verfasser dieser Zeilen hat so seine Erfahrungen mit den Schreibversuchen junger Schriftsteller – deren Webseiten und Facebook-Konten in der Regel schneller erscheinen, als ihre Bücher. Nicht selten geht es wie bei Facebook, so beim Schreiben nur noch darum, daß da ein Stoß Papier liegt, irgendwie beschrieben, und eine grobe Vorstellung, „wie“ die Geschichte aussehen soll. Aber niemand hat diese grobe Vorstellung konkret gemacht. Es bleibt bei Bojen – DA wäre ein Buch, da könnte eines sein, das dies und das das bewirken soll. Poesie ist alles andere als unpräzise. Es ist höchste Präzision, weil erstaunlicherweise in dieser Präzision die Dinge ganzheitlich erscheinen, nicht auf technische Alltagssprache reduziert. Poesie ist keine Vertuschung der Wirklichkeit – sie ist ihre höchstmögliche Präzision der Erscheinung!

Ernsthaftigkeit, Entschiedenheit. Vielleicht ist es das, was die Gegenwartsdramatik derzeit eint: ihr Bemühen, einer Wirklichkeit habhaft zu werden, die sich den herkömmlichen Denk-Ordnungen entzieht. Wenn es eine gemeinsame Botschaft gibt, dann das Bekenntnis: Wir kennen uns nicht aus in dieser unserer Welt! Wir wissen nicht (besser), wie Überleben in Zeiten der Unsicherheit, des Übergangs gehen könnte. Das Drama arbeitet darum an Inbildern der Gegenwärtigkeit, an Versuchen, der Wirklichkeit ein Gesicht zu geben, um sie erkennen zu können.

Wäre es nicht Aufgabe der Künstler, dieses Neblichte, das uns umgibt, eben zu klären? Auf daß wir eben wieder gerade stehen können? Kann es genug sein, wenn die Kunst nur noch das allgemeine Unbehagen darstellt? Kann es ausreichen, wenn auch die Dichter und Dramatiker sich nicht mehr auskennen? Ich meine – wofür werden sie denn bezahlt?

Vielleicht bestehen zwischen der subjektiven Unfähigkeit, die Sprache zu bändigen, nein, sich überhaupt ihrer zu bedienen, und der allgemeinen Orientierungslosigkeit ganz direkte Verbindungen? Kann es sein, daß ein grobes Mißverständnis hinsichtlich dessen vorherrscht, was denn ein Künstler sei? Nämlich: der Vor-Leber, der Vollzieher der Lebenssteigerung in einer ihrer höchsten Formen. Oder, wie es eine geschätzte Kollegin einmal ausdrückte: Kunst? Das ist das Ergebnis von Lebenskunst. Nicht Lebenskonsum.

Was aber die Ergebnisse des zeitgenössischen Dramas zeigen, ist nicht mehr Lebenskunst, sondern Überwältigtheit. Dazu braucht es keinen Künstler.



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