Was, so fragt Michel Henry, kann eine Universität (und der
von ihr heraus abgestufte Lehrbetrieb einer Gesellschaft) überhaupt noch
bedeuten, wenn die Grundfaktoren einer Kultur, ihre Grundformen – Kunst,
Religion, Ethik – von der Universität verkannt werden? Sie benennt heute zwar
Prioritäten, Werte – Objektivität, Unparteilichkeit und folglich „Strenge“,
Neutralität – aber wie sollen sich diese Werte legitimieren lassen, wenn sie
nicht aus dieser Ethik heraus geboren und hinterfragt werden? Die Wahlentscheidungen
der Universität werden außerhalb aller Ethik und alles Lebens getroffen, ja
nachgerade dieses Außerhalbstehen ist ihr Kriterium (was an sich ja bereits
eine ethische Entscheidung ist!) Damit sind diese Wahlentscheidungen solche
ohne Wahl, in unmenschlicher Radikalität und Gewalt. Sie werden getroffen in
einem galileischen Raum des „Wissens“, einem radikalen Postulat.
Sie läßt die im Ursprung radikale Trennung Universität –
Welt fallen. Der technische Gehalt der Welt wird (und wurde) zum Gehalt der
Universität, sodaß diese in einem langen Prozeß gleichfalls begann bzw.
beginnt, Kultur bewußt und systematisch aus ihr auszuschließen. Dieses Prinzip
hat mittlerweile die gesamte Erde verheert, alle Kulturen, ausnahmslos, erfaßt
und zerstört.
In ihrem Ursprung erfaßte die Universität Theologie und
Philosophie. In ihrer Mitte aber treten die Galileischen Prinzipien auf, und
nun treten die modernen Wissenschaften auf den Plan, und verändern radikal die
Wissenschaften: sie schließen das Subjekt aus, und objektivieren (im
galileisch-mathematischen Postulat) das Naturseiende, das von allen sinnlichen
Qualitäten entblößt wird. Die Humanwissenschaften hören auf, vom Menschen zu
sprechen – sie sprechen nur noch vom „Anderen seiner selbst“, der Mensch wird
zum statistischen „Objekt“, seine Lebensäußerungen an seiner Statt zum Objekt
des Forschens. Der Mensch läst sich auf in Neuronen und Atome, Moleküle und
Prozesse.
Die
Geisteswissenschaften, die noch vom Menschen sprachen, ihn suchten, werden
zugunsten der Naturwissenschaften verdrängt. An allen Höheren Schulen passiert
genau dasselbe. Pädagogik wird vom Inhalt getrennt, Lernen vom Inhalt unabhängig,
der Lehrende wird vom Identifikationssubjekt, der repräsentiert und
repräsentieren muß, was er lehrt, zum Ingenieur der Inhaltsvermittlung. Während
aber „Lernen“ das imitative Nachvollziehen eines Inhalt bedeutet, ein
personaler, persönlicher Akt ist!
Somit wird an den
Schulen etwas gelehrt, das gar nicht mehr abzugrenzen ist, weil es aufgrund der
Natur des Menschen vom identifikationsprozeß „natürlich“ auch weiterhin gar
nicht zu lösen ist.
Mit der
Marginalisierung der Philosophie in den Höheren Schulen aber wird jene Instanz
ausgeschaltet, die das zu Wissende einer subjektiven Beurteilung unterzieht –
Wissensinhalt entzieht sich der Kritik einer von ihm verschiedenen Instanz!
Morgen 2. Teil) Der Totalitarismus des Wissens statt Erkenntnis
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