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Freitag, 8. Juli 2011

Wenn es der Papa nimmer richtet

So realitätsfern wie manche vor allem junge Menschen Lebenszusammenhängen gegenüber stehen, überrascht doch immer wieder. So gab es unlängst Umfrageergebnisse zu lesen, aus denen hervorging, daß vor allem junge Menschen glauben, daß bei einem Staatsbankrott gar nichts passiere. Ihr Leben würde weitergehen wie bisher, zumindest im wesentlichen, Banken würden pleitegehen, gewiß, aber das wäre auch gut für Schuldner, und nach einigen wenigen Jahren wäre alles wieder normal.

Die Tatsachen liegen natürlich etwas anders. Und man kann die Folgen eines Staatsbankrotts anhand eines Beispiel jüngster Geschichte studieren - Argentinien im Jahre 2001/2002. Ein Land, das in der ersten Hälfte des 20. Jhds. zu den reichsten Ländern der Erde gezählt hatte!

Auch dort war die Währung zusammengebrochen´- und wie zu erwarten finden sich ausreichend Parallelen zu aktuellen Fällen in Europa.  Politische Instabilität hatte (nach Perron) jeweils Regierungen an die Macht gebracht, die den einzigen Hebel bedienten, über den sich - scheinbar! - kurzfristig Politik machen läßt: hohe Staatsausgaben.

Zum einen für Sozialausgaben, auch wegen der immer wieder ausgelösten Wirtschaftskrisen, auch durch staatliche Defizitbetriebe, zum anderen, um die Wirtschaft anzukurbeln (um die Sozialausgaben durch Steuereinnahmen zu decken), war die Inflation gestiegen. Zwar kam die politische Situation seit 1983 wieder zur Ruhe, aber das Finanzsystem war seither angekränkelt, das Land im Ausland sehr hoch verschuldet.

Um diese Probleme einzudämmen, wurden immer wieder die Zinsen erhöht. Das bewirkte einen enormen Zustrom ausländischen Kapitals, während die Landeswährung im Kurs stieg, was den Export noch weiter erschwerte, aber Importe erhöhte. Obwohl viele Argentinier längst begonnen hatten, ihr Geld ins Ausland zu transferieren, denn die Inflation betrug phasenweise mehr als 100 Prozent - im Monat.

Gleichzeitig wurden, um gegenzusteuern, Sparprogramme gefahren. So wurde aber die Wirtschaft im Lande, die bereits in hohem Maß vom Staat abhing, abgewürgt. Um die Inflation zu stoppen, wurde schließlich die Währung 1991 an den Dollar gebunden. Die Inflation sank, das war richtig. Aber damit wurden die Exporte noch schwieriger, die Produkte am Weltmarkt noch teurer.

Die Verschuldung des Landes stieg schließlich auf die kritische Marke von 90 % - ein Wert, ab dem der Staat bereits als Konkurrent der Privatwirtschaft am Geldmarkt auftritt, ein tödlicher Kreislauf beginnt. Bereits 1998/99 begann die entscheidende Rezession, in deren Zuge die Steuereinnahmen sanken, die Arbeitslosenzahlen immer dramatischer stiegen, die Immobilienpreise ins Bodenlose fielen. Das BIP sank um 25 %. Der Staat begann nun definitiv, Staatsbetriebe zu verkaufen - die meisten fielen an ausländische Eigentümer, das Land war noch weiter vom Ausland abhängig, konnte die Dollarbindung nicht ablegen, die seine Exporte ruinierte. Längst vertraute niemand im Land mehr der eigenen Währung.

Schließlich brach das Kreditwesen zusammen. Argentinien bekam nirgendwo mehr Kredit, mußte die Zahlungen einstellen, und im Februar 2002 einen Währungsschnitt machte, eine neue Währung einführte, und die Bindugn an den Dollar aufgab.

Viele sagen: zu spät. 27 % der Bevölkerung waren bereits arbeitslos, 57 % der Bevölkerung rutschte unter die Armutsgrenze, 20 % sogar unter die Elendsgrenze. Die verloren ihre Wohnungen und Häuser, täglich ging es ums nackte Überleben. Bisherige Versorgungs- und Handelswege waren zusammengebrochen, die Landwirtschaft konnte ihre Produkte nicht mehr absetzen, die Lebensmittelproduktion fiel. Es gab nichts mehr zu kaufen, bzw. konnte niemand mehr etwas kaufen, obwohl die Preise damit sanken, was aber z. B. Bewohner der Nachbarstaaten zu Einkaufstouren ins Land bewog.

Viele Landbewohner flüchteten in die Städte, Slums entstanden, aber schon seit Jahren waren dort Tauschringe gewachsen, in denen sich die Menschen ihren alltäglichsten Bedarf organisierten. Die Arbeitslosenquote weiter, aber bald bildeten sich ungeregelte Bedarfsarbeitsplätze, bis 40 % der Arbeitnehmer in sogenannten "informellen" Arbeitsplätzen, stundenweise bezahlt, oder als Tagelöhner, ihr Leben fristeten. Das kulturelle Leben, das Bildungssystem litt schwer.

Es dauerte mehrere Jahre, bis sich die Wirtschaft des Landes - auch durch kräftige Auslandshilfe - wieder halbwegs erholt hatte. Dabei aber viel seiner Souveränität abgeben mußte: die Auflagen des IWF, der Argentinien wieder Geld lieh, sind bekannt hart. Aber die Erholung Argentiniens profitierte auch davon, daß nun viele Argentinier ihre Gelder aus dem Ausland wieder zurückholten.

Mit dem Neubeginn wurden auch die informellen Beschäftigungsverhältnisse wieder formell. Noch heute aber, 10 Jahre später, schätzt man die ungeregelten Dienstverhältnisse auf 20 Prozent der Beschäftigten. Bis das Land seinen Standard wieder erreicht hat, den es bis zur Krise hatte, werden noch viele Jahre vergehen, nach wie vor ist der Aufschwung, der seit 2002, seit der dramatischen Abwertung des Peso, Jahre mit hohen Wachstumsragen kennt, fragil, immer wieder droht Inflation. Vor allem kämpfen die Bewohner mit dem Trauma, das diese Erfahrung - wenn plötzlich alles zusammenbricht - bewirkt hatte, in der das Grundvertrauen in Staat und Wirklichkeit nachhaltig gestört wurde.


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