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Sonntag, 15. November 2015

Bedeutung muß begriffen werden (1)

Man kann, schreibt Major-General J. F. C. Fuller in seinem Monumentalwerk "The Decisive Battles of the Western World", mit Fug und Recht den Beginn des Abendlandes datieren - und zwar mit den beiden Schlachten von Salamis 480 und Plataia 479. Marathon* im Jahre 491 war dazu nur das Vorspiel. 

Aus diesen beiden Siegen der Griechen gegen die Perser und den ihnen assoziierten Völkern erwuchs den Athenern und Spartanern ein Selbstgefühl, das sie in jene Zeit beflügelte, die als "Goldenes Zeitalter'" Anfangspunkt der abendländischen Kultur genannt werden muß. Gleichzeitig teilte sich - erstmals - Orient und Okzident. Denn nun war es der Individualismus, der sich am Gegenteil herauskristallisierte, dem Massenmenschen der Steppe und Wüste bzw. des Orients, dessen Wohlstand alleine schon nur durch Kollektivierung möglich war (man denke nur an Bewässerungsanlagen!)

Der überwiegende Teil der großen Namen, die uns überliefert sind, und deren Werke, zu allererst in der Kunst, entstammt den Jahrzehnten zwischen 480/479 und 430 v. Chr. Allesamt Männer, die in diese Zeiten hineingeboren waren, und die von diesem Hochgefühl, das alle erfaßt hatte, den Mut, das Selbstvertrauen zu ihren Werken gefunden hatten, in der Sonne der Bedeutung, die das historische Geschehen, das Siegesgefühl auf alles warf.

In der Athen - aus einer einzigen folgenschweren richtigen Entscheidung heraus, der, eine Flotte zu bauen, während Sparta sich ans Land klammerte - sogar ein Imperium errichtete, das den gesamten ägäischen Raum umfaßte, sich über Kolonien und Handel übers ganze Mittelmeer erstreckte, und selbst die ionischen Völker mitriß. Weil es vor allem mit seiner Flotte den Grundstein zu einem wirtschaftlichen Aufschwung besaß, der in dem Reichtum, den er brachte, der Kunst und der Lebensführung so viele Möglichkeiten eröffnete. Dieses Licht hob die gesamte Vergangenheit wie auch die weitere Zukunft in den Horizont von Bedeutung. Und zeigt exemplarisch, was Kunst für ein Volk bedeuten kann. 

Die Griechen insgesamt begriffen erstmals, daß sie etwas getan hatten, das Bedeutung hatte - SIE hatten Bedeutung! Und das erfuhren sie aus ihrer nunmehr offenbaren, selbst errungenen Stellung innerhalb der Völker, die ihnen begegneten.

Und es war wiederum das Selbstverständnis aus der Sprache, der Literatur (!) heraus. Denn es war das Selbstverständnis aus der Erzählung ihres Soseins, wie es die homerischen Werke - ein viele Jahrhunderte alter Epos, der vor Homer selbst, der es dann redigiert hat*, im ganzen ägäischen Raum mündlich tradiert (und laufend verändert und angereichert und gereinigt) wurde - festhielten. Ein Selbstbegreifen, das den Initialschub zu jenem Mut brachte, der die Griechen angesichts einer so deutlichen Überlegenheit der Perser den Kampf aufnehmen und es jedem Angebot, sich durch Verlust der Freiheit ein friedliches Leben zu erkaufen, widerstehen ließ.

Aber es ist der Mensch, so Fuller, es ist seine nachvollziehbare Psychologie, die jedem Imperium ein zwar nicht schicksalhaftes, aber so wahrscheinliches Ende einschreibt, daß man an Unabwendbarkeit glauben könnte. Denn jedes Imperium scheitert eines Tages an seiner Überdehnung. Die in zwei Richtungen zu sehen ist. Einmal die, daß mit der Größe auch die Aufgaben wachsen, die Berührungspunkte mit der umgebenden Welt vielfältiger und größer werden, auch durch Entwicklungen angrenzender Völker. 

Dem steht anderseits aber ein inneres Schwinden, zumindest ein Innehalten gegenüber, ein Verlust des Schwungs also, der sich nach außen richtet. Mehr und mehr Kraft muß aber nun dafür verwendet werden, um den status quo zu erhalten. Und selbst Expansionen werden mehr und mehr zu Notwendigkeiten des Selbsterhalts. So steuert ein Imperium wie zwangsläufig auf seine Sollbruchstelle zu.

Der Reichtum Athens hatte den Neid der Spartaner, die in ihrer Landbeschränktheit deutlich zurückblieben, erregt. Und Athen wäre den daraus folgenden Auseinandersetzungen gewachsen gewesen, hätte es nicht 430 eine folgenschwere Fehlentscheidung getroffen. In der es aus der Verteidigung in die Offensive gegangen war.

Denn um Sparta ein für allemal als Konkurrenten zu besiegen, wählte man den offensiven Weg und faßte den Plan, es von seinen Nachschubquellen abzuschneiden - den Kolonien, allen voran Sizilien, Syrakus. Ohne Nachschub wäre Sparta binnen kurzem ein für allemal besiegt gewesen. Aber indem man für dieses Ziel alles riskierte, setzte man auch alles aufs Spiel. Und so kam es auch. Die Expedition endete in einem unfaßbaren Desaster, das Athen nicht nur seine Flotte, sondern auch seine Verteidigungskraft mit einem Schlag raubte. Damit brach auch sein Imperium zusammen, Athens Kraft als Ordnungsmacht war verspielt, und seine Schwäche endete definitiv mit dem Einmarsch der Makedonier keine 100 Jahre später.



Morgen Teil 2) Wie Psychologie auch den Konflikt Abendland-Orient entschied -  
Und: Ausufernde Anmerkungen
 





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