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Mittwoch, 25. November 2015

Von der Kürze des einen Wortes

Apropos Gefühl: Wenn man davon spricht, daß Angst "ein Gefühl" ist, so schwingt immer mit, daß Gefühle irrational seien, und Menschlichkeit gebiete, sie zu respektieren. Aber das stimmt nicht. Die meisten Gefühle sind nämlich prärational, bergen eine spätere Rationalität (die es nur in der Sprache gibt) bereits in sich. Denn es ist gerade die Logik der sachlichen Urteile als Konstellationen von Bildern und Dynamismen, auch wenn sie nicht ausartikuliert sind, die Gefühle hervorrufen. In ihrer höchsten Logik löst sich menschlichen Denken sogar überhaupt in Intuitionen und Gefühle weil in Bilder auf.

Übrigens führt von hier direkt der Weg zu jener Entwicklung, in der sich die Zeitvollzüge mehr und mehr komprimieren, wo sich viele Inhalte mehr und mehr in Symbole, in "cluster" verschmelzen. Wo ein einziges Wort ein langes Gebet, eine einzige Geste eine ganze Handlung zusammenfassen und aktualisieren kann. Wo sich die Macht der Gefühle als gesetzte Wirklichkeit zusammenballt. Bis nur noch ein Wort genügt ...

Niemand achte deshalb jene Augenblicke gering, in denen sich ganze Gefühls- und Gedankenwelten in einzelnen Ausrufen komprimieren. Sie zeigen diese Bestimmung! Wenn etwa jemand in Gefahr "Jesus!" ruft. Das gern gering geachtete "Jössas" zeigt das Beschriebene also vor, ja ist es. Ganze Gebetsketten und Haltungen komprimieren sich darin, und je mehr sie es tun, desto wirkmächtiger sind diese Anrufungen. Freilich brauchen sie den zuvor gegangenen, oft genug mühsamen Weg durch die Einzelheiten, denn diese müssen bereits zu Haltungen geworden sein. Um sich so zu neuen Stufen zusammenzuballen, die immer universaler werden, bis sie alles in einem Wort enthalten, die ganze Welt in einem Wort in den Himmel getragen wird.*

So wie in dem einen Namen des Menschen der ganze Mensch enthalten ist. Je mehr man ihn kennt, desto mehr, und desto mehr ist er in diesem einem Punkt amalgamiert, in diesem Namen aufgerufen. Über die Gräber wird dereinst der Name wehen, vom Allwissen gerufen, der einen ganz umfaßt. In ihm werden wir ganz enthalten sein.

Die erste Sprache des Menschen war die Lyrik. "Nur" Gefühl ...?





*Wer das Rosenkranzgebet pflegt, wird deshalb diese Erfahrung machen: wo über die ursprüngliche Betrachtung jedes Wortes das Gebet selbst nur noch zum Zeitmaß im Leiern wird, weil sich alle seine Inhalte in einem Punkt aktualisieren, der eine gewisse Zeit zum neuen Blickpunkt der Betrachtung wird. Die Zeit die ein Psalter braucht wird dabei immer kürzer. Wenn Zeit ein Auseinanderfalten der Tiefe ist, so komprimiert Tiefe die (menschliche) Zeit, bis zur Zeitlosigkeit der Ewigkeit.




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