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Mittwoch, 4. November 2015

Es langte folgender Brief ein (4)

Aber legen wir noch einen weiteren Zwischenschritt ein. Denn es hat mit dem, was sich als zu Sagendes allmählich herauskristallisiert, direkt zu tun. Und wir tun dies in Form einer Qualifizierung eines Buches, das in diesen Wochen für sich in Anspruch nimmt, der Forderung nach Einhalt gegenüber dem ungehemmten Zustrom von Migranten geistiges Feuer zu machen. Wobei sich "Keine Toleranz den Intoleranten" von Alexander Kissler eigentlich nur gegen muslimische*, ja noch präziser; islamistische Zuwanderer wendet. Denn die These, die Alexander Kissler hier vertritt, läßt sich wie folgt zusammenfassen: Wer in den Westen zuwandern will, muß seine Werte akzeptieren. Und diese sind Pluralität, Toleranz und Säkulargesellschaft. Wer diese Werte nicht akzeptiert, hat hier nichts zu suchen.

Vollmundig verkündet das der Autor im Untertitel also, daß es hier um Gründe dafür gehe, daß "der Westen seine Werte verteidigen" müsse. Um es gleich vorwegzunehmen - nichts tut er weniger. Vielmehr versucht er einen Westen zu verteidigen, der selbst das Problem ist. Und eigentlich hätte man das schon aus dem Titel schließen können (und der VdZ hat es auch gemacht; richtig, wie sich bei der Lektüre, die er fairerweise dem Werklein noch angedeihen lassen wollte, herausgestellt hat.) Denn Kissler reduziert das Abendland auf den Westen, das sagen wir an dieser Stelle sehr bewußt. 

Denn nur unter "Westen" läßt sich das noch so halbwegs subsummieren, das hier "verteidigt" wird. Oder soll dem Autor darin gefolgt werden, der allen Ernstes das Abendland auf die "Werte" der Pluralität, Aufklärung und Toleranz reduziert bzw. es daraus sogar noch hervorgehen läßt? Der Individualismus von Autonomismus nicht zu unterscheiden weiß, denn sonst würde er nicht diesen Begriff hier auch noch in die Schlacht werfen? Der tatsächlich den Rationalismus der Aufklärung zum Träger der frohen Botschaft und noch froherer Zukunft macht? Ja, der allen Ernstes Judentum und Christentum aus diesem Geist der Aufklärung entstammen läßt und nicht davor zurückscheut, es so umzudeuten?

Oder anders formuliert: Was muß man an Chuzpe haben, um Voltaire und Locke heranzuziehen, um das Abendland zu verteidigen? Oder sind es viel simplere Beweggründe, die Kissler bewegen, das Abendland zu einer Erfolgsgeschichte des Liberalismus umzudeuten?

Umzudeuten, wie er damit die gesamte Geschichte umdeutet, und sich nicht nur dabei gewaltig irrt. Denn nicht nur ist die Aufklärung, die er meint, genau diese Aufklärung (ja: Spengler!) stets Symptom eines Zerfalls gewesen. Sie ist alles andere als die Quelle europäischen Geistes!

Flott aber schreibt Kissler die Menschheitsgeschichte um, und läßt keinen Gemeinplatz des Rationalismus und Nominalismus aus, die im Wesentlichen ja höchst defiziöse, ja darin kontradiktisch werdende Simplifizierungen der Wahrheit sind. Da ist die Lustigkeit, die Kissler in jedem Esoterikladen und noch mehr in Stuhlreihen der "Versammlung der Loge zur humanen Schnapsnase" heftigsten Beifall finden wird lassen, in der er sich leistet, den Monotheismus aus dem Polytheismus abzuleiten (was sehr viele Rückschlüsse auf seine Gedankenlandschaft zuließe, die auszubreiten wir uns hier aber verkneifen wollen), schon gar nicht mehr ins Gewicht. Sie ist genauso falsch und vor allem oberflächlich wie so vieles andere in dem Buch, das sich freilich eifrig gemüht, genau diese Tatsache zu verschleiern. 

Indem sich Kissler redlich müht, viele Namen der Geistesgeschichte in die Suppe zu werfen. Aber sie wird dadurch nicht schmackhafter, nur noch undefinierbarer. Mit nichts läßt sich im übrigen leichter täuschen als mit Zitaten. Und noch leichter - mit Begriffen. Denn das wäre vor allem wohl zu leisten: Ein Durchleuchten der verwendeten Begriffe. Aber wo sollte man damit anfangen? Das hatte früher mal eine ordentliche philosophische Grundausbildung in einem ordentlichen katholischen Seminar über Jahre zu leisten. Früher. Als auf diesem Humus dann auch Wahrheit gedeihen konnte, die weit mehr ist als rationales Spiel, sondern persönliche Begegnung. Fehlt dieser Humus, dieses Erkennen des per inte-legere Erkannten, wird auch alle Folgeinterpretation falsch. Wer die Welt mit einem Waffeleisen breitschlägt, wird nur Waffelmuster erhalten.

Sogar die Wissenschaft macht Kissler der Aufklärung und ihrer Trennung von Welt und Religion zum Geschenk. Dabei ist genau das Gegenteil wahr. Die Wissenschaft ist - im Abendland belegbar, überall sonst analog nachzuvollziehen - aus dem Begreifen entstanden, daß die Schöpfung eine Analogie Gottes, des Seins ist, und daß deshalb der Weg der Erkenntnis Gottes (das heißt: des ihm in Annäherung ähnlich werden) auch über das Studium der Dinge der Welt geht, weil es nur eine Wahrheit geben kann. Gerade also, wenn man so will, das Erkennen, daß NICHTS von Gott zu trennen ist, hat die Wissenschaft aufblühen lassen, wie sie in der Scholastik die Neuzeit eigentlich begründete. Über die metaphysische Qualität der Logik zu reden, wollen wir dabei noch gar nicht unternehmen. Und ebenfalls falsch, weil umgekehrt, ist deshalb der Trugschluß über den Islam und seine Auswirkungen auf die Wissenschaft. 

Denn dem Islam fehlt mitnichten die "Aufklärung". Die war es vielmehr, die ihn umgebracht hat. Denn im Islam ist Gott und Welt ohnehin getrennt, der Islam hat also einen Gott der Willkür. Erst mit dem eigentlichen Aufstarken des Islam hat dieser die arabisch-persisch-antike Kultur dieses geographischen Raumes abwürgen können, weil diese Kluft zwischen Moral, Gottes Wort und Natur nicht zu schließen war, im Zweifelsfall aber natürlich Gott vorgeht. Über die vielen Parallelen zum Christentum, die sich schon daraus erklären, daß der Islam aus diesem herausstammt, wollen wir dabei gleichfalls nicht reden. Aus der nämlich so manche Sure, die Kissler anzitiert, sich in ganz anderem Licht darstellt, und einen seltsam ... katholischen Grundton erhält.

Ach, zwei, drei Seiten waren nur die Stichworte, die es anzuführen gäbe ... aber: lohnt das bei diesem schlechten Buch? Wer sich mit solchen Gedanken auseinandersetzen will, sollte der nicht gleich Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" lesen? Er wäre besser bedient.

Weil die Grundsteine der Kissler'schen Analyse nicht stimmen, bleibt also auch seine conclusio wirr und willkürlich. Die Grenzen der Toleranz des Westens enden deshalb einfach dort, wo sie halt enden sollten. Warum? Wo? Na - weil sie dort enden müssen. Es ist eben ein westlicher Wert, daß die Gesellschaften säkular sind, daß die Kleidung "normal" ist (nicht nackt, nicht mit Burka - ein amüsantes Detail ist in diesem Zusammenhang, wenn Kissler die Notwendigkeit eines Verschleierungsverbotes damit rechtfertigt, daß der Westen auf der von ihm so genannten "Antlitzfähigkeit" beruhe; sollte sich also nun auch noch jeder Bartträger in Acht nehmen? Und weiß Herr Kissler, daß persona das Wesen des Menschen als Maske so treffend erfaßt?) und kein religiöses Manifest, oder wo er sich gar zu der Behauptung versteigt, daß das Recht ohne Religion auskäme, ja gar dieser Trennung ihre Gestalt verdanke? Wo hat der Autor dieses Buches gefrühstückt? Bei Tiffany? Gibt es etwas, das ausschließlicher aus der Religion begründbar wäre, als das Recht? Das mehr sein Wesen verliert, wenn es diese Rückbindung verliert? "Menschenrechte" gar?

Entzückend kindlich wird es dann, wenn er etwa den Grund angibt, den Muezzin zur unerwünschten Erscheinung zu erklären, denn das sei Glaubensverkündigung, während die gewohnten Kirchenglocken hierzulande doch nur "Ankündigungscharakter" hätten. Und - tatsächlich, steht drin: - "Zeitansage" ... Wie bitte? Da hat einer aber so manches (am Abendland) nicht ganz verstanden. Schon Schillers Glocke hätte da mehr dazu zu sagen. Die Utilitarisierung der Welt ist eine Erfindung - der Aufklärung. Die aber der Wirklichkeit nicht gerecht wird, weil sie die Deutung der Wirklichkeit simplifiziert, Welt im Denken auf zwei Dimensionen reduziert, ja zum Geplapper banalisiert. Das ist der wahre Grund ihrer Unzulänglichkeit, und der Grund, warum sie kulturzerstörerisch wirkt, nicht -errichtend, und eben auch nicht -erhaltend.

Kissler scheint was er verkündet (und so manches andere) zu glauben, zumindest will er das vermitteln. Auch wenn er es da und dort zu verwischen versucht, indem er in den Begriffsschrank des Abendlandes greift, sonst könnte es zu offensichtlich doof ausgehen. Etwa wenn er den Begriff "Naturrecht" in die Schlacht wirft, um die Verwirrung zu erhöhen, sich doch Legitimität zu verschaffen. Er hat offenbar aber um einen kräftigen Schluck zu viel (und zu ausschließlich) Voltaire und Locke konsumiert, die er ja häufig zitiert.

Apropos Konsum und um es gleich vorwegzunehmen: Die Alternative zum Liberalismus, wie Kissler ihn offenbar vertritt, ist keineswegs Planwirtschaft und Kommunismus. Auf diesen Blog-Seiten unter anderem ist das ausführlichst dargestellt, und der VdZ war lange genug Unternehmer, um sich hier ein differenziertes und realitätsgeeichtes Urteil zu erlauben. Nachgerade im Gegenteil, findet sich dieser Liberalismus sogar meist in Reihen purer Schreibtischhengste, die Wirtschaft nur vom Hörensagen kennen und meinen, sie hätten etwas damit zu tun, weil sie für ihre Eigentumswohnung einen geschmalzenen Preis erzielen wollen und am Sonntag, weil ihnen Kult kein Bedürfnis ist, auch in den Supermarkt möchten, man sollte also gefälligst die Ladenöffnungszeiten freigeben. Wie es halt jedem mal so beliebt. Diese Fragen sind es auch, die ein verstehendes Interpretieren des antiken Rom ermöglichen, die als bunte Multikulti-Gesellschaft zu idealisieren, wie es hier geschieht, einem einmal einfallen muß.

Gerade in religiösen Dingen mußte in der Antike niemand viel Toleranz aufweisen, denn die Religionen waren im Wesentlichen noch sehr ähnlich. Darin mißversteht man freilich schon mal gerne die "römische Toleranz" als pragmatischen Synkretismus im heutigen Sinn, schon gar, wenn man viele Fakten ausblendet. Gerade die Christenverfolgung erzählt genau diese Geschichte. Denn das war anders, das war tatsächlich neu in der Menschheitsgeschichte. Und weil sich der Islam weitgehend aus dem Christentum (namentlich dem Arianismus) herausentwickelt hat, sind viele seiner Ansprüche auf Totalität aus dieser Wurzel sogar zu begreifen. Nur hat er eines nicht, wie eben der Arianismus: Jesus Christus, den Gottmenschen. Sondern nur Lehren.

Selbstverständlich ist Kisslers Geschichtsinterpretation als Erfolgsgeschichte des säkularen Liberalismus Unsinn, in der er das Wort Freiheit genauso mißbraucht, wie es heute eben üblich ist. Freiheit ist NICHT die Möglichkeit, zu tun, was beliebt, solange es keinen anderen stört. Ist auch NICHT einfach das, was ich auch möchte, daß mir geschieht. Gerade die sind oft sogar die Unfreiesten. Sie hat mit der Erfüllung der Natur zu tun, sie hat mit Wahrheit zu tun, und deshalb mit etwas Geistigem: Dem Erfassen des Wesens des Menschen. Zwar ist niemand zur Freiheit zu zwingen, ja, aber ein Staat muß sehr wohl darauf achten, daß sich die Freiheit entwickeln kann. Erst sie - Freiheit aus der Wahrheit - ermöglicht wirklichen Individualismus, nicht willkürlichen Eigenwillen, der damit auch in und aus seinen Dimensionen (also den Universalien) der Gemeinschaftlichkeiten lebt. Dazu muß er hier fordern, dort beschränken, manchmal hier und dort auch etwas ins Leben rufen. In aller Behutsamkeit, aber auch mit aller Deutlichkeit. Tut er das nicht, verliert sein Volk das, was es zum Staat macht, das sich im Staat in seine höchste Möglichkeit überhöht: Einheit. Wir wollen es aber vorerst bei diesen Andeutungen belassen.

Auch im Westen, im Abendland, beruht das alles sehr wohl und primär, ja wesentlich und wesensabhängig auf Religion. Sie bestimmt den Charakter der Beziehungen der Dinge zueinander, ja setzt diese Beziehungen - das ist dann überhaupt erst Kultur. Und aus der Haltung zu diesen Beziehungen ergibt sich dann alles andere, insbesondere das von Kissler gerne zitierte "Naturrecht". Ohne Religion wäre es nicht zu halten, denn es beruft sich darauf, daß sich in der Natur das erkennen läßt, weil in seiner Geschichtlichkeit darstellt, was Gott will. Imperative können eben nur aus dem Absoluten legitimiert werden. Überall war das so, und zu allen Zeiten. Daß wir heute so tun, es wäre nicht so, ändert nichts daran, es macht diesen Zusammenhang nur unerkennbar.²

Darin erst gründet auch der Schutz des Eigentums. Und auch beruht die römisch-abendländische Rechtstradition nicht einfach auf einer beliebigen "Gleichheit" aller vor dem Gesetz, sondern auf dem Recht auf Berücksichtigung des Individuellen angesichts objektiver Wesenseigenschaften des Ganzen. Der Geisteskranke wird für eine Tat, die als Mord klassifiziert werden müßte, nicht gleich bestraft, wenn überhaupt, wie ein gewisser Dr. Alexander Kissler. Beiden aber wird der Staat ihre Freiheit nehmen, bei dem einen weil er sie sowieso nicht hat, weil keine Vernunft, beim anderen aus jenen Gründen oder Haltungen, die ihn seine Vernunft für einen Mord einsetzen ließen und deshalb zur Unvernunft wurde. Ohne eine Verankerung des Moralischen in Gott aber wäre beides nicht einmal legitimierbar. Und war es auch bei den Römern nicht. Die Quasi-Göttlichkeit des Augustus ist aber mit heutigem - aufgeklärtem - Verstehensinventarium gar nicht mehr zu verstehen. (Und mit Gibbon und Winkler kommt man in solchen Fragen schon gar nicht weit.)

Wobei es mit den seine Aussagen belegen sollenden Ausflügen in die Geschichte in diesem Buch ohnehin so seine Eigentümlichkeiten hat. Daß Kissler sich allen Ernstes auf die "positive" amerikanische und französische Revolution beruft wäre da etwa zu nennen, deren letztere sich "leider" (Zitat) durch Robespierre auf falsche Wege begeben hätte. Daß es dabei wesentliche Zusammenhänge mit der Natur dieser "freiheitlichen" Bewegung der "Gleichheit" haben könnte, daß die Entwicklung Römische Republik - Cäsar/Augustus und französische Revolution - Robespierre/Napoleon eine gewisse Logik haben, weil der im "Liberalismus" sich auflösende "bunte" Staat anders nicht zu halten war, weil Liberalismus (wie jeder "Werte-Universalismus") möglicherweise mit gewisser Unausweichlichkeit in Autoritarismus (im günstigen Fall), ja Totalitarismus (im ungünstigen Fall) mündet, sind dem Autor offenbar genau so fremde Gedanken wie die, die sich mit dem (der Religion entstammenden) Wesen des "Imperiums" befassen. Geschenkt, wie so manches andere.

In dieser so verstandenen Natur, in dieser so verstandenen Freiheit als Fähigkeit zum Guten (in der also Vernunft dem Wahren nachzureihen ist) beginnt dann das, was man Gemeinwohl nennt (ein Wort, das im Buch Kisslers nicht einmal vorkommt, dabei wäre es erste Anspielstation, denkt man über Veränderungen oder nicht nach) und damit das, was Politik zu tun hat. Auch die Frage nach der Zuwanderung von Muslimen, nach Bewahrung des Abendlandes, ist eine solche Frage des Gemeinwohls. Das nicht mehr beachtet zu haben und zu beachten ist der eigentliche Vorwurf, den man der Politik machen muß. Und dem Liberalismus um nichts weniger. Man könnte sogar meinen, daß der Grund, daß viele Liberale relativ "harte" Haltungen der Einwanderungsproblematik entgegenbringen, etwas von der Panik jener hat, die den Geist, den sie aus der Flasche ließen, wieder einfangen und zurückstopfen wollen). Gemeinwohl mit gewissen Wohlstandsparametern und Befindlichkeiten verwechselt zu haben, das ist die Wurzel des Übels. Die Zuwanderer gar nach diesem formellen Wohlstand nützlichen Aspekten, dem Erhalt des eigenen faktischen status quo also absucht und einteilt.

Das ändert sich auch dann nicht, weil es wie heute niemand (und auch Alexander Kissler nicht) mehr weiß. So, wie der westliche Mensch von heute nicht mehr weiß, welcher Religion er anhängt, und deshalb meint, er hänge gar keiner an. Sodaß er tatsächlich zu dem Irrglauben kommt, daß Geschichte nichts mit dem Weg der Menschen mit Gott zu tun habe, sein Seelenheil sei nur eine Frage paralleler "Werte". Weshalb sich Welt immer säkular vorzustellen habe, sonst werde aus ihr nichts.

Auch Kisslers Buch ist vor allem eines: Es ist ein Affekt gegen Religion überhaupt. Der Antiislamismus ist zu weiten Strecken tatsächlich nämlich genau dasselbe: Ein antireligiöser Affekt. Und Kissler bedient ihn hier, natürlich: unter viel Applaus. Und versucht, dieser Tatsache ein Mäntelchen aus vielen zitierten Namen umzuhängen, ganz so, als hätten wir es hier mit einem "Konsens" des Abendlandes zu tun. Mit ebenso vielen Namen und Zitaten um sich zu werfen, erspart sich der VdZ aber, und zwar mit Grund. Verstehen ist nämlich mehr als Ratio. Wissen entstammt zuerst (!) dem Geglaubten, ja primär sogar: dem Geoffenbarten. Der Hinweis Kisslers auf die unterschiedliche Anthropologie des Islam und des Westens betrifft nicht einen solchen zwischen diesen, sondern ist (auch) der Unterschied zwischen Aufklärung und christlich-abendländischer, aristotelisch-thomistischer Anthropologie.

Daß auch katholische Kreise dieses Buch feiern, ist deshalb lediglich Symptom der Geistesleere, die diese wirkliche Quelle des Abendlandes im Faktischen bereits ereilt hat. In der eine weithin entgeistete Herde leider zum Hirten paßt. Schnapsnasen unter sich, wo immer man hinschaut.

Oder sollten wir besser mit Kissler bei der "Gleichheit der Menschen" (und Geschlechter) fortsetzen? Die magna charta, die amerikanische, die Französische Revolution als Bahnbrecher der Freiheit - Freiheit! - und Blüten der Kultur des Abendlandes deklinieren?

Lassen wir es. Denn es würde nur noch grotesker. Genau das, was Kissler als Rezept empfiehlt, ist ja auch das, was Europa so entstaltet und entleert hat, daß so viele Außenstehende (und nicht einmal ganz zu Unrecht!) glauben, es wäre nun Platz für sie. Hier mit einem bisserl Liberalismus, Aufklärung und schon gar (wie ein viertklassiger KA-Funktionär) mit "Werten" herumzufuchteln wird nicht nur nichts besser machen, und schon gar nicht wieder befüllen oder stärken, sondern das Tor zu willkürlichen "-ismen" nur noch weiter aufstoßen. Das ohnehin bereits weit offen steht.

Denn der Liberalismus, dem wir das verdanken, kann nicht nur nichts verankern, im Gegenteil, er verflüssigt generell sämtliche Fundamente des Menschseins. Das was das Abendland groß und stark gemacht hat, ist deshalb NICHT der Liberalismus und die Aufklärung, die Kissler da so eigenartig freimütig vertritt (denn so hätte ihn der VdZ aus dem bisherigen Ferneindruck gar nicht eingeschätzt). Sogar ganz im Gegenteil. Europa steht heute vor ganz anderen und sehr sehr grundsätzlichen Fragen. Unter anderem vor der, den Liberalismus zu entsorgen.

Der Autor von "Keine Toleranz den Intoleranten" muß sich deshalb einen Vorwurf gefallen lassen: Daß er mit diesem Buch lediglich versucht hat, sich sein angenehmes, gut ins Allgemeinleben eingebettetes Leben insofern abzusichern, als er zufrieden ist, wenn ihn diese Islamisten in Ruhe lassen, sodaß er weiter seinen Sonnecker Frühlingsriesling vom Gut Hornwechsler genießen kann, während die Callas die Tosca am Grammophon jammert, und er die tolle Innovation von Twitter, die der Westen wie so vieles andere, ja alles angeblich Konkurrenz, Wettkampf und Liberalismus verdankt, ins Volle setzt.

Das Buch paßt deshalb zum hier eigentlich abzuhandelnden Generalthema. Weil es zeigt, daß im Fall, daß Europa, der Westen (meinetwegen), wenn er seiner bereits sehr manifesten immanenten Systemlogik folgt, diese weiterspinnt, wenn man daran also die Tangenten legt, im Niemandsland und geistiger Leere endet. Über "Maßnahmen, um den Bestand zu retten" braucht deshalb nicht diskutiert werden. 

Die restlichen vier Fünftel an Notizen entsorgt der VdZ deshalb. Sie waren verschwendet. Vom öden Gequatsche von der "Gleichheit aller Menschen, der Gleichheit der Geschlechter" - bei gleichzeitigem embarrassment gegen Gendering noch dazu! - lohnt sowieso nicht zu reden. Bei Menschen, die sich so explizit auf "Vernunft" berufen.


Wird fortgesetzt!


²Nur wenn man Kant unterzuschieben bereit ist, daß seine auf den ersten Blick nur positivistisch zu begründende, auf einer von ihm selbst nicht näher ausgeführten "Eingießung des Gesetzes (des Himmels)" beruhenden Moralsicht auf dem "inte-legere" beruht, auf dem Erkennen des "intuitiv" aus der Natur Erkannten, auf das erst Vernunft gründen kann, kann man ihm deshalb auch in seinem "Handle so, daß die Maxime deines Handelns allgemein werden könnte" bzw. dem Spruch "Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem anderen zu" wirklich folgen.

*'Wahrscheinlich würde sich der Alexander Kissler wehren, wenn man ihm vorwürfe, er würde sich "gegen muslimische" Zuwanderer stellen. Aber der VdZ bleibt bei dieser Formulierung. Denn das sich im hier genannten Buch offenbarende Nicht-Verständnis des Islam, ja überhaupt jeder Religion, ist nicht eingrenzbar auf "nur jene, die den Islam islamistisch auslegen".



*041115*