Teil 3)
Ein Abendland gibt es nur noch, weil in seinem Inneren ein Skelett der Symbolik ruht
Viele
sind nämlich präsent, und immer noch Gegenwart, die wir gar nicht mehr
als christliche Symbole kennen! Manche sind einfach so liebgewonnen, daß
wir sie aufrechthalten, auch wenn wir sie "bewußt" bzw. im Denken von
christlichen Inhalten entblößen, wie das Weihnachtsfest, Ostern,
Namenstage (als Geburtstage für das Reich Gottes). Und immer noch wollen
viele heiraten, taufen lassen oder gefirmt werden, oder die Toten von
einem Priester begleitet begraben, die von den eigentlichen
Symbolgehalten nicht mehr den blassesten Schimmer haben. Und selbst der
"heilige Sonntag" hat noch seine Wertschätzung. Immer noch bieten viele Gasthäuser am Freitag ein Fischmenue an (eine ganz spezifisch katholische Symbolik, die die eines fast schon wieder banal-nützlichen "Opfers der Fleischlosigkeit" (früher aber noch wenigstens wirklich ein Verzicht für alle) weit übersteigt, denn Fisch ist das Symbol für Christus), und wenn in fast allen unseren Städten und Dörfern die Kirchenglocken läuten, so ist das weit weit mehr als Zeitansage oder Botschaft des Meßbeginns.
Die Glocke selbst ist ein Symbol für Christi Fleischwerdung, sie durchdringt mit ihrem Schall alles, buchstäblich, läßt alles im Glockengeläut in eine neue Dimension steigen, tatsächlich: "sich wandeln". Und was gibt es für Wesen und Wirklichkeit Christi an besserer Symbolik? Alles bleibt zwar es selbst, aber alles ist von einem neuen Schwingen - von der Kirche aus - verwandelt und IN diesem Klang geeint, geeint gerade in der Unterschiedlichkeit und Offenheit für den Anruf Gottes. Das ist die Wirklichkeit, die zur Einführung der Glocke geführt hat, kein pragmatischer Nutzen, der mag zufälliger Auslöser gewesen sein. Sie ist deshalb nicht einmal "Aufruf" zum Gebet, den ihr Klang IST bereits Gebet, und der der sie hört, der der sich von ihrem Klang erfassen und formen läßt, betet bereits.
Im Jubel bei den Festglocken, in der nüchternen Trauer der einsilbigen, akkordlosen Totenglocken, deren Ton ein bereits verhaltenes, letztes Abschiedsweinen ist, das den Leichnam auf seinem nun wirklich einsamen letzten Gang durchwirkt. Im erdaufbrechenden, alles erschütternden Triumph, wenn zu Ostern das volle Geläut gar nicht mehr enden will und in der Glocke das Licht aufbricht. In der mitleidigen Trauer des Läutens am Freitag um 3, der Todesstunde Christi. Im Flehen, in der scharfen Warnung, im Aufrütteln und im Sturm zu Gott, oder bei den Mittagsglocken, die zu Besinnung, zur stärkenden Rast, zum Heraustreten aus allen Weltstrudeln rufen. Man hört und fühlt bei jedem Läuten, was sie als Gestimmtheit über das Land werfen, was sie als durch das Schicksal geworfene Stimmung einen, damit dem Leben seine Ordnung zurückgeben und zur Zeit machen. Sollten wir das Glockengeläut der Kirchen eines Tages aufgeben (müssen), und es wirkt nicht mehr unmöglich, werden wir unserer Einheit in Stadt, Land und Staat einen letzten Todesstoß geben, wird das alltägliche Leben in unbarmherziger Fron versinken, weil nichts mehr das Leben selbst aufruft. Daß wir ausgerechnet mit der Einführung des Vergleichs der Lebensabäufe mit einem mechanischen Uhrwerk - was wir "Messen der Zeit" bezeichnen (als ließe sich Zeit überhaupt "messen"!) - die Zeit selbst (buchstäblich, nicht nur im übertragenen Sinn) zu verlieren begonnen haben, denn fortan ist sie nicht mehr von uns (in Gott) gesetzt und damit geschaffen, fortan bestimmt sie despotisch über uns und alles Heilige, reißt die Welt regelrecht in Stücke, ist eine der tragischesten Wendungen des Abendlandes - und Symbol, und welches noch dazu.
Oder man denke an die Gipfelkreuze, die Bezug auf die Wirklichkeit des Berges geben - denn es sind die Berge (!), die eine abstrakte Masse Land zum Raum machen, die also Raum und Landschaft schaffen. Sie sind die Schöpfer der Regionen, sie ordnen die Welt, und teilen dem Menschen in der Orientierung diesen Raum mit. Sie ragen zum Himmel, in ihnen ist man dem Geist näher, ja das Reich Gottes ist immer als "Stadt auf dem Berg" bezeichnet worden. Die heilige Verehrung der Berge ist so alt wie die Menschheit. Was kann dieses Symbol mehr überhöhen als das ihr eigentliches Geheimins - das Symbol des Kreuzes, das in der Hingabe (Voraussetzung, um den Berg zu erklimmen) diese Höhe und DAMIT Gottesnähe noch einmal zur wirklichen Gotteesnähe (in der Hingabe, im Selbstopfer) übersteigt?
Wenn der ehemalige Rekordbergsteiger Reinhold Messner die Abschaffung der Gipfelkreuze fordert, wie jüngst tatsächlich geschehen, dann beweist er, was für ein hohler Flachkopf er in Wahrheit ist- Der offenbar lange schon aufgehört hat (wenn er es je tat), die Symbolik seines eigenen Tuns noch zu begreifen und es als Methode einer Erfolgstechnik und -gier sieht (denn seine Rekorde in ihrer unvernünftigen Waghalsigkeit (der sein Bruder sogar zum Opfer fiel) muß man so begreifen - als wäre es ihm um viel und noch mehr gegangen), mit der er viel Geld verdienen kann, weil genug Menschen heute flach und hohlköpfig wie er sind. Aber die Berge gehören zu unserer Kultur nicht als Dekor im Zimmer, sondern als kulturprägende weil raumschaffende Gegebenheiten, die wir zu hören und zu verstehen und noch weiter auszudeuten wußten. Sie mit Kreuzen zu bestücken ist kein willkürliches Herrschaftssymbol, sondern Ausdruck abendländischer Geistigkeit. Wenn Muslime dagegen wettern dann zeigen sie nur - wieder: als Symbol weit verräterischer, als sie selbst es wissen - was an Europa sie in Wahrheit stört.
Denn ein Berg ist eben NICHT ein abstrakter, zufälliger "Berg". Er ist in sich ein Symbol, erst dann ist er überhaupt Berg. Sonst wäre er nur leerer, aussageloser Gesteinshaufen, den bestenfalls noch Bulemiker und Ehrgeizbesessene wie ein tecnisches Gerät besteigen. Wer aber einmal auf einem Gipfel stand - er muß gar nicht hoch sein, sollte nur aus einer Landschaft herausragen, sie dominieren, probiere es der Leser; der Sonntagberg im Mostviertel, oder Maria Taferl in der Wachau, beides in NÖ, genügt - wird etwas erleben, das ihm auf der Ebene versagt bleibt. Die Völker beweisen es, denn Religionen der Tiefebenen und Steppen sind völlig anders strukturiert als solche von Bergvölkern, deren "Gottesvorstellung" viel konkreter, fast dingverliebter ist.
Die Ebene neigt zu Pantheismus, weil das konkretisierbare Erlebnis als Gott "hinter den konkreten Dingen der Welt" fehlt. Die Tibeter aber haben sogar einen inkarnierten Gott (Buddha), den Dalai Lama, und eine Religion oft sogar barbarischer Ritualität. Während schamanisch-pantheistische Vorstellungen bei den Ungarn (die aus der Ebene des Ostens kommen) noch bis in die Neuzeit (lt. völkerkundl. Literatur) eine beachtliche Rolle spielten. Von den sibirischen Völkern gar nicht zu reden.
Vergleiche man damit die feinfeinste, bis ins kleinste Detail symbolschwere Religiosität der Schlesier der Grafschaft Glatz, der auch der VdZ letztlich entstammt. Er war immer wieder ob dieser allen gemeinsamen Eigenschaft erstaunt, wenn er mit (deutschen, also: "früheren") Glatzern konfrontiert wurde, wie erst vor wenigen Monaten bei seiner Reise dorthin. Die sich die Bewahrung des Katholizismus sogar gegen Friedrich II. erstritten, und wo noch das einfachste Volk ein wahres Märchenland des Symbols vor sich ausgebreitet fand, wo jeder größere Stein Bedeutung hatte. (Ganz so hat auch der VdZ seine Kindheit - allerdings schon in Österreich - durchlebt.) Was für eine reiche, übervolle Kultur!
Der Leser möge sich doch selber umsehen, in unseren Ländern - er möge sich selbst wieder erziehen, zu sehen, wie voll unsere Kultur mit Symbolen ist. Dann wird er erkennen, daß sie es sind, die die Welt aus dem banalen materialen, toten, stummen Funktonsablauf zu schöpferischer, geistiger Gestalt heben, die erst Leben überhaupt bedeuten. Das ist keine nette Fleißaufgabe nervöser, übersensibler Träumer, im Gegenteil: Es ist das eigentlich erst eine humane Welt Schaffende. Halte der Leser also inne, wie es sich auch der VdZ immer wieder mahnend vor Augen stellt, trete er heraus aus dem Fluß der Träume einer dumpfen Verlorenheit, diesem Reich des Todes, und hebe er die Welt ins Licht des Geistes des Lebens, aus dem sie stammt, und hauche er den Steinen wieder Leben ein.
Und das heißt: FORM, das heißt Ritus. Das heißt nicht Mühevermeidung und Bequemlichkeit, sondern Girlande und Umweg, Versagung, Gehorsam dem Gehörten gegenüber, heißt Heraussteigen aus aller Automatik - und plötzlich hebt sich ein Erleben, nein, Erleben überhaupt, das sonst vorenthalten bleibt und von dem man nicht mehr genug bekommen kann, weil sich Himmel und Erde küßt.
Selbst wenn sich das heutige Europa so viel auf seine "Menschlichkeit"
einbildet, auf seine "Liebe", wenn es sich in manchen Ideologien für
"die Unterdrückten" einsetzen möchte, so ist unübersehbar, daß es diese
Ideen ohne christlichen Untergrund gar nie gegeben hätte und nicht mehr
gäbe, so wenig es auf Dauer auch ausreichen wird, was sich ja längst
abzeichnet. Weil diese vom eigentlichen symbolischen Grund losgerissene "Menschlichkeit" allerorten bereits zerstörerische, abstoßend banale
Züge annimmt (wie im Gleichheitswahn, im Gendering, in der plumpen
"sozialen Forderung", etc. etc.)
Aber
immer noch wird Höflichkeit geschätzt, wenn auch immer seltener
praktiziert, weil als Spiel von Symbolen gar nicht mehr weitergegeben,
übernommen und gekannt, sondern durch einen tatsächlich neuen,
banalisierten, auf Funktionserledigung abzielenden, entsymbolisierten
mitmenschlichen Umgang ersetzt. Der etwa einen Wert darin sieht, dem
anderen brutal ins Gesicht zu kotzen, was man gerade von ihm dächte,
möchte oder nicht möchte - während wahre Mitmenschlichkeit, das Reich
der Poesie als Reich des gelungenen, schönen Lebens ohne Kreuztragen an
der Schwäche des anderen, ohne Haltung der Bereitschaft an ihm auch zu
leiden, gar nicht möglich ist.
Stattdessen
wird es fast schon zur Tugend, sich am anderen direkt schadlos zu
halten, sich zu rächen, ihn gleich gar zu bestrafen, wenn er einem -
vermeintlich - Unrecht getan hat. Hier zeigt sich am Augenfälligsten,
wie ohne Formenstrenge der Symbole menschliche Kultur völlig
zusammenbricht und zum primitiven vegetativen Überlebenskampf wird, in
dem sich als selbsterfüllende Prophetie die Evolutionsphantasien, die
bereits eine tote, entsymbolisierte Welt vorwerfen, "beweisen".
Niemand
achte aber das noch Bestehende, so schwach es auch schon oft sein möge,
einfach so gering, auch wenn es meist kaum noch artikulierbar - "bewußt
gewußt" - ist. Es ist das feste, geheimnisvolle, immanente
Symbol-Skelett unserer Kultur. Erst wenn diese Dinge ebenfalls fallen,
auch übrigens weil mancher Bischof oder Priester irrigerweise meint, er
müsse auf "volles, bewußtes Begreifen" Wert legen, oder wenn wir sie
durch Rituale aus anderen Kulturen und Religionen ersetzen, dann ist
auch diese Kultur wirklich tot. Denn es ist ohne jeden Zweifel eine
zutiefst christ-katholische Kultur.
Ja,
weil sie sich auf eine gewissermaßen "niedere", rein
menschlich-irdische, weltimmanente Ebene einer verzweifelten selbstevozierten Scheinwelt beziehen, sind sie einer gottweisenden, ihn erst erfahrbar machenden Symbolik nicht nur nicht angemessen, haben also in einer
Liturgie der Kirche rein gar nichts zu suchen, sondern bergen sogar eine
immense Gefahr. Daß nämlich die eigentliche Dimension der Symbolik, wie
sie nur und über eine meist lange, noch wichtiger aber: in der
historischen ersten Zeit, also in noch recht unmittelbarer historischer,
realer Anwesenheit Gottes selbst (bzw. die noch sehr originale
Erinnerung daran), wutzelnden Genese in einer immer weiter ausgearbeiten
(immer reiner! reiner! nicht verwaschener, unreiner! gewordenen)
Formenstrenge eingefangen ist, daß also diese eigentliche Dimension des
Symbolik gar nicht mehr erfahrbar wird, weil sie von rein
menschlich-weltimmanenten Gesten und Gefühlsinhalten überlagert wird.
Mit der sich viele Menschen oft sogar schon abfinden. Damit stirbt die
Liturgie, damit wird sie zur ein menschlichen Veranstaltung, die durch
jede Gruppentherapie (die ja auch bei den Teilnehmern eine gewisse
gebesserte Befindlichkeit erreichen will) oder jedes Rockkonzert (bewußt: Rockkonzert, denn der heutige Rock setzt nicht auf Musik, sondern auf Mechanismen der Erlebensformung; der Besucher von Rockkonzerten muß also nicht mehr selbst erleben, erlebt also gar nichts mehr, sondern konsumiert vorgesetztes Erleben, indem er sich dazu von 80.000 Watt Lautsprechern schon rein schalltechnisch-mechanisch überwältigen, ja freiwillig vergewaltigen läßt*) ersetzbar würde.
Morgen Teil 4)
*Die Gewalt an der Erlebensfähigkeit, der sich oftmalige Konsumenten lauter Rockmusik (Ohrhörer ersetzen dabei die Lautsprecherboxen problemlos) erkennt man u. a. an der seelichen Trägheit bzw. kommt die "Musik" jener entgegen. Zur Frage, wieweit Rockmusik in der Kirche konstruktiv sein kann, muß nicht mehr viel gesagt werden - sie ist aus ihrem Wesen heraus sogar nachgerade anti-religiös und lebensfeindlich. Daß Besucher solcher Veranstaltungen aber von "Erlebnis" sprechen ist kein Wunder. Nur ist es eben kein Erlebnis, sondern eine "reaktive, passiv hingenommene Zugestoßenheit" von Regungen, die aus dem schon rein physischen Geschehen hervorgehen, das über sie ergangen ist.
Jedes Hören aber ist ein aktives, schöpferisches Geschehen! Jedes Erleben der Sinninhalte von Musik ein eigenschöpferisches Formen! Jedes um Verstehen bemühte Zuhören ein aktives Selbstsprechen. Erst so kann man sich als "gehörter, objektivierter Inhalt" dazu verhalten.
*070916*