Teil 2) Von der Sühne unserer eigenen Taten,
die wir im Leiden an der Gegenwart zu tragen haben
- Man steht immer in einer Generationenkette
Der VdZ würde das nicht hier darstellen,
wenn er es nicht als typisches, ja allzu typisches und so viel
erhellendes Schema begriffen hätte. Das erst aus seinen
Gesamtverhängungen verstehbar wird, aber nun unsere Gegenwart so prägt.
Denn die Geister, die wir damals riefen, wozu auch der VdZ sein Teil
beitrug - wir werden sie nicht mehr los. Und sie sitzen uns heute im
Genick und plagen uns. Denn alles, wirklich alles, was man im Leben
anstrebt, wird eines Tages Wirklichkeit. Nur erkennt man die
Zusammenhänge dann oft nicht mehr, weil man eingespannt ins Geflecht des
täglichen Treibens, gestützt von der Angst um die Existenz, das
Wirkliche nicht sieht, das man in Wahrheit etabliert. Was der VdZ damals
getan hat war nur möglich, weil er selbst überzählig war (sogar doppelt
- als elftes von zwölf Kindern war er auch in der Familie
marginalisiert und ungebraucht.) Damit hatte er keine Bindungen, keine
übernommenen Grenzen zu berücksichtigen, sondern im Gegenteil: Er mußte
sich überlegen, wie er diese Grenzen überschreiten konnte, um "neue
Welten" zu gründen.
Diese
Generation der Überzähligen, als Generation der "geburtenstarken
Jahrgänge" der späten 1950er, frühen 1960er Jahre, die geprägt ist vom
Gefühl nicht gebraucht zu werden, hat ihre Strategien natürlich auch an
ihre Kinder weitergegeben. Denn Kinder werden nicht durch irgendwelche
Theorien "erzogen" oder geformt, sondern sie übernehmen ganz
selbstverständlich und zu allererst einmal die Art, in der die Eltern
der Welt begegnen. Und darin ist die Art der Mutter absolut
entscheidend. Ja, die Art der Welt zu begegnen, ist die Art der Mutter
dem Vater zu begegnen, und geht von dort aus, im Maß der Objektwerdung
der Welt (die väterlich, als im Wort ist), in die immer weitere Umgebung
hinaus. In dieser vom Einssein mit der Mutter zuerst übernommenen, weil
in ihre Identifikation übergegangene Art also, begegnen sie dann der Welt
der äußeren Kultur und Gesellschaften, dem Staat alsohin und natürlich
auch allem zu Lernenden.
Es
hat als Stimmung der Zeit alle erfaßt, so wie immer eine Zeitstimmung
alle erfaßt. Denn man muß eine Generation immer als Ganzes - und als
Glied in einer Generationenkette - begreifen. Die Generation der
Überzähligen hätte in ihren Strategien niemals so leichtes Spiel gehabt,
wenn ihr nicht eine Generation vorangegangen wäre, die (nach dem Krieg)
auf jeden Fall gebraucht wurde, deren Position gar nie in Frage stand,
die also unvorsichtig und unaufmerksam und damit leicht zu überraschen,
auf das Neue nicht vorbereitet war. So hat der VdZ auch seine Lehrer
erlebt - sie konnten die neuen Fragen nicht beantworten; heute weiß er,
warum das gar nicht geht, weil die Art des Neuen eine andere ...
inhumane ... Kategorie des Verhaltens ist.
Auch
die, die damals "gebraucht" wurden, also etabliert waren, waren und
sind ja vom selben geprägt, im Gegenteil: sie sind noch verkrampfter am
Erhalten ihrer Position interessiert, denn sie wissen um eine Lawine in
ihrem Rücken, die sie zurückzuhalten haben, die ihnen bei jedem
Nachgeben, Raummachen sofort den Platz streitig machen könnte.
Worin
sich die Vehemenz erklärt, mit der das heutige Establishment jede
Opposition existentiell, ja mit direkter Vernichtungsabsicht bekämpft.
Das insgesamt ein Establishment der "neuen Welten" ist, weil die
Überzähligen, die wie der VdZ keine Grenzen aus dem Herkunftsort kannten,
weil kennen durften um zu überleben, ihre Ideen und Lebensweisen über
die Veränderung der Grundmotive, der geistigen Inhalte etabliert habe.
Der "Marsch durch die Institutionen" hat exakt dieses Gepräge.
Hier
wird nicht behauptet, daß der hier angerissene Verweis auf die
"Generation der Überzähligen" alles und jedes erklären würde. Es
erforderte noch viel zu sagen, was aber die Zusammenhänge im Einzelnen
noch weiter aufhellen müßte und könnte. So der Umschlag des Erlebens der
Nicht-Gebrauchtheit (als Erleben der Nicht-Gewolltheit) in die
Übersteigerung in der Erziehung, die heute jedes Kind zum Gott erheben
möchte, der sich doch so direkt begründen läßt - weil er auf dem Erleben
des Menschen als nicht gewollt aufruht, das nun kompensiert, in einem
Theater "korrigiert" wird. So die Zusammenhänge mit einer Situation
unserer Länder (denn kaum wo ist dieses Problem so schlagend wie in den
Verliererstaaten von 1914/18 bis 1939/45), in der diese Länder und Völker
selbst als ungewollt behandelt wurden (und: werden). So die nur auf den
ersten Blick widersprüchliche Art, daß sich Überzähligkeit auf zwei
Weisen äußern kann, die scheinbar gegeneinander stehen: In
liebdienerischer Unterwürfigkeit und in unversöhnlicher, grundsätzlicher
Rebellion.
Aber
der Leser möge sich doch mit dem VdZ fragen, ob nicht diese
Grundstimmung so vieles zu erhellen hilft, was uns heute scheinbar als
solitäre, im Einzelnen jeweils gesetzte, einzeln gewollte Handlung
begegnet - die plötzlich als Teil einer Gesamtbewegung gesehen werden
kann. Ob nicht dieses Phänomen der Überzähligkeit, das diese Generation
so geprägt hat, dann, wenn es begriffen bzw. zugelassen wird, auch das
eigene Handeln ein Stück weit zu befreien, weil zu begreifen hilft. Ein
Phänomen, das wie jede tiefe Grundkonstellation das Große genauso wie
das Kleine, Unscheinbare strukturiert, als wäre es einfach ein ...
Fraktale.
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