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Sonntag, 16. Oktober 2016

Die Generation der Überzähligen (2)

Teil 2)  Von der Sühne unserer eigenen Taten,
die wir im Leiden an der Gegenwart zu tragen haben 
- Man steht immer in einer Generationenkette





Der VdZ würde das nicht hier darstellen, wenn er es nicht als typisches, ja allzu typisches und so viel erhellendes Schema begriffen hätte. Das erst aus seinen Gesamtverhängungen verstehbar wird, aber nun unsere Gegenwart so prägt. Denn die Geister, die wir damals riefen, wozu auch der VdZ sein Teil beitrug - wir werden sie nicht mehr los. Und sie sitzen uns heute im Genick und plagen uns. Denn alles, wirklich alles, was man im Leben anstrebt, wird eines Tages Wirklichkeit. Nur erkennt man die Zusammenhänge dann oft nicht mehr, weil man eingespannt ins Geflecht des täglichen Treibens, gestützt von der Angst um die Existenz, das Wirkliche nicht sieht, das man in Wahrheit etabliert. Was der VdZ damals getan hat war nur möglich, weil er selbst überzählig war (sogar doppelt - als elftes von zwölf Kindern war er auch in der Familie marginalisiert und ungebraucht.) Damit hatte er keine Bindungen, keine übernommenen Grenzen zu berücksichtigen, sondern im Gegenteil: Er mußte sich überlegen, wie er diese Grenzen überschreiten konnte, um "neue Welten" zu gründen.

Diese Generation der Überzähligen, als Generation der "geburtenstarken Jahrgänge" der späten 1950er, frühen 1960er Jahre, die geprägt ist vom Gefühl nicht gebraucht zu werden, hat ihre Strategien natürlich auch an ihre Kinder weitergegeben. Denn Kinder werden nicht durch irgendwelche Theorien "erzogen" oder geformt, sondern sie übernehmen ganz selbstverständlich und zu allererst einmal die Art, in der die Eltern der Welt begegnen. Und darin ist die Art der Mutter absolut entscheidend. Ja, die Art der Welt zu begegnen, ist die Art der Mutter dem Vater zu begegnen, und geht von dort aus, im Maß der Objektwerdung der Welt (die väterlich, als im Wort ist), in die immer weitere Umgebung hinaus. In dieser vom Einssein mit der Mutter zuerst übernommenen, weil in ihre Identifikation übergegangene Art also, begegnen sie dann der Welt der äußeren Kultur und Gesellschaften, dem Staat alsohin und natürlich auch allem zu Lernenden.

Es hat als Stimmung der Zeit alle erfaßt, so wie immer eine Zeitstimmung alle erfaßt. Denn man muß eine Generation immer als Ganzes - und als Glied in einer Generationenkette - begreifen. Die Generation der Überzähligen hätte in ihren Strategien niemals so leichtes Spiel gehabt, wenn ihr nicht eine Generation vorangegangen wäre, die (nach dem Krieg) auf jeden Fall gebraucht wurde, deren Position gar nie in Frage stand, die also unvorsichtig und unaufmerksam und damit leicht zu überraschen, auf das Neue nicht vorbereitet war. So hat der VdZ auch seine Lehrer erlebt - sie konnten die neuen Fragen nicht beantworten; heute weiß er, warum das gar nicht geht, weil die Art des Neuen eine andere ... inhumane ... Kategorie des Verhaltens ist.

Auch die, die damals "gebraucht" wurden, also etabliert waren, waren und sind ja vom selben geprägt, im Gegenteil: sie sind noch verkrampfter am Erhalten ihrer Position interessiert, denn sie wissen um eine Lawine in ihrem Rücken, die sie zurückzuhalten haben, die ihnen bei jedem Nachgeben, Raummachen sofort den Platz streitig machen könnte.

Worin sich die Vehemenz erklärt, mit der das heutige Establishment jede Opposition existentiell, ja mit direkter Vernichtungsabsicht bekämpft. Das insgesamt ein Establishment der "neuen Welten" ist, weil die Überzähligen, die wie der VdZ keine Grenzen aus dem Herkunftsort kannten, weil kennen durften um zu überleben, ihre Ideen und Lebensweisen über die Veränderung der Grundmotive, der geistigen Inhalte etabliert habe. Der "Marsch durch die Institutionen" hat exakt dieses Gepräge.

Hier wird nicht behauptet, daß der hier angerissene Verweis auf die "Generation der Überzähligen" alles und jedes erklären würde. Es erforderte noch viel zu sagen, was aber die Zusammenhänge im Einzelnen noch weiter aufhellen müßte und könnte. So der Umschlag des Erlebens der Nicht-Gebrauchtheit (als Erleben der Nicht-Gewolltheit) in die Übersteigerung in der Erziehung, die heute jedes Kind zum Gott erheben möchte, der sich doch so direkt begründen läßt - weil er auf dem Erleben des Menschen als nicht gewollt aufruht, das nun kompensiert, in einem Theater "korrigiert" wird. So die Zusammenhänge mit einer Situation unserer Länder (denn kaum wo ist dieses Problem so schlagend wie in den Verliererstaaten von 1914/18 bis 1939/45), in der diese Länder und Völker selbst als ungewollt behandelt wurden (und: werden). So die nur auf den ersten Blick widersprüchliche Art, daß sich Überzähligkeit auf zwei Weisen äußern kann, die scheinbar gegeneinander stehen: In liebdienerischer Unterwürfigkeit und in unversöhnlicher, grundsätzlicher Rebellion.

Aber der Leser möge sich doch mit dem VdZ fragen, ob nicht diese Grundstimmung so vieles zu erhellen hilft, was uns heute scheinbar als solitäre, im Einzelnen jeweils gesetzte, einzeln gewollte Handlung begegnet - die plötzlich als Teil einer Gesamtbewegung gesehen werden kann. Ob nicht dieses Phänomen der Überzähligkeit, das diese Generation so geprägt hat, dann, wenn es begriffen bzw. zugelassen wird, auch das eigene Handeln ein Stück weit zu befreien, weil zu begreifen hilft. Ein Phänomen, das wie jede tiefe Grundkonstellation das Große genauso wie das Kleine, Unscheinbare strukturiert, als wäre es einfach ein ... Fraktale.



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