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Mittwoch, 26. Oktober 2016

Wenn ein Staat seine Bürger verdirbt

Die Gleichheit der Bedingungen kann nur in dem Maß wachsen, als die soziale Geastalt in den Menschen gewissesrmaßen Fleisch angenommen hat. Deshalb ist grundsätzlich die Demokratie nicht dort abzulehnen, wo sie sich auf menschliche und einheitliche Lebensräume erstreckt. Dort, im Horizont des alltäglichen Lebens, ist sie sogar dem Gemeinschaftsgefühl förderlich. Hier erfordert es viel Klugheit und Einsicht, die Freiheit in Balance zur sozialen Tugend der Menschen zu halten, die keineswegs überall und bei allen Menschen gleich und gleich entwickelt ist.

Verderblich aber ist es, wenn der Staat (oder die höherrangige Institution, die schon Repräsentativcharakter hat) beginnt die sozialen Funktionen der bürgerlichen Gesellschaften zu ersetzen. Wobei er sich dabei meist der Schwächen dieser als Verweis bedient. Oder wenn der Staat sich anmaßt, soziale Funktionen zu etablieren, die nicht im Leben der Menschen gründen und ihnen natürlich erscheinen, also das Sozialleben der Menschen prinzipiell zu ändern.* Dies wird zu einem selbst fortzeugenden Prozeß, zu einer "Entsittlichungsmaschinerie", sobald diese Funktionen auch noch institutionalisiert sind.

Tocqueville illustriert diese Gedanken an einem Beispiel: Er habe in Amerika oft beobachtet, wie viele Agenden von je lokalen Vereinigungen aufgegriffen und erledigt werden. In Frankreich (im 19. Jhd., Anm.) wäre derselbe Problemkreis Anlaß für viele Bürger gewesen, an ihre Regierung heranzutreten, um das Problem zu lösen.

Aber so beginnt ein Volk in Trägheit zu versinken. Sein sozialen Tugenden, seine Ausgerichtetheiten auf den Mitmenschen, die nur gedeihen können, wenn die Menschen begreifen, daß sie immer und in vielfältiger Weise voneinander abhängen, erlöschen oder werden gar nicht erst gebildet. Im Gegenzug wird der Mangel an diesen Tugenden maskiert, verborgen und heuchlerisch umgedeutet.

Es ist deshalb nicht uninteressant, daß sich die sozialistischen, etatistischen Ideen des 19. Jhds. zu einem Zeitpunkt entwickelt haben, als die hierarchischen Gliederungen der Staaten auseinanderzufallen begannen. Denn das erste, was unter der unweigerlichen Folge sozialer Isolierung der Menschen zu leiden begann, waren die natürlichen sozialen Tugenden, die nun durch zentralistische, vor allem positivistische Ideen zu ersetzen versucht wurden.²

Wo vorher der alltägliche Lebenslauf noch Gemeinschaft und Gemeinschaften entstehen ließ, über die man kaum nachzudenken hatte, wurden nun Ideen an ihre Stelle gesetzt, die solche Gemeinschaften durch willentliche, rationale Vereinigung nachbilden sollten. Daß der Staat damals mit einem male als "Vertrag von Bürgern" definiert wurde ist also nur noch logisch.

Wobei Tocqueville die Ursache dafür - Frankreich war dafür Vorreiter für Europa - schon in den zentralistischen, absolutistischen Despotien sah.** Denn sie waren es, die in Wahrheit durch die Alleinstellung des Königs die Gleichheit der Bürger herstellte. Die Zentralmacht stand einer nicht mehr weiter abgestuften Volksmasse gegenüber, in der soziale Zwischenstufen als organische Zueinadnerordnungen von Menschen und Klassen immer weiter an Bedeutung verloren.





*Der Sozialstaat der Prägung der letzten 40 Jahre ist deshalb nicht eine Idee, die da und dort korrekturbedürfitig wäre, sondern eine Idee, die an sich ein Volk verdirbt und mit den Ansätzen einer christlich-sozialen Politik gewissen punktuellen und vor allem temporären Ausgleichs nichts zu tun hat. Er hat die (scheinbar sogar: freiwillig eingegangene, in Wirklichkeit aus Tugendverzicht und dann -verlust entstandene) Knechtschaft der Menschen zur direkten Folge, weil er Vorgänge, die nie anders als von den Menschen selbst bewältigt werden müssen, sollen und dürfen, vorgeblich um sie im Ablauf zu "verbessern", an sich zieht.

²Welche groteske Verzerrung und Verfehlung der Wirklichkeit (und damit Wertlosigkeit der "guten Tat", das so nebenbei) aber diese Generierung "sozialer Ideen" aus dem Willen hervorrufen kann hat die "Refugees Welcome"-Bewegung des Herbstes 2015 gezeigt. Unvergeßlich - und in Wahrheit von jener Komik, die der Tragik entsteigt - die Situation etwa am Wiener Westbahnhof, als zahlreiche "sozial Bewegte" mit Teddybären und Wasserflaschen die Bahnsteige säumten, in die aber Züge mit Menschen einrollten, die in eine völlig andere Kategorie gehörten, als die Vorstellung von "Hilfe in der Not" den Helfern imaginiert hatte. Und wie deren weiteres Verhalten dann ja ausreichend belegt hat. Es weist auf ein erlittenes Trauma hin (aus der Uneinordenbarkeit der Realität mit den dogmatisiert-unverrückbaren Vorstellungsbildern dessen, was "gutes Handeln" ist), daß viele dieser "Hilfsbereiten" bis heute Schwierigkeiten haben, die Realitäten dieser Zuwanderungswellen zur Kenntnis zu nehmen. Die "Frauenbewegungen" etwa, die exakt in die beschriebene Kategorie positivistischer Rekonstruktion "sozial guten Handelns" fallen, sind bis heute in unlösbaren Widersprüchen erstarrt. Denn im Rahmen ihrer "guten Taten" haben sie genau das verstärkt, wogegen anzutreten ihr Gründungsimpuls war. Es gibt Fälle, wo weibliche Helfer, die zuvor jeden Busengrapscher als sexuelle Belästigung in alle Zeitungen getragen haben, von ihren "armen Flüchtlingen" im Rudel vergewaltigt wurden, aber diese Taten nicht einmal zur Anzeige gebracht hätten, wären sie nicht aus andern Gründen ans Tageslicht gekommen.

**Es ist eine sehr zu bedauernde historische Fehlentwicklung, daß der Begriff der Monarchie in den letzten 200 Jahren mit dem der absolutistischen Despotie gleichgesetzt wurde. Der aber bereits eine Fehlentwicklung der Monarchie war die gar nicht anders enden konnte als in deren Ende, weil er in Wahrheit das organische Gefüge eines Volkes auflöst und jene Gleichheit vorbereitet, die dann eine republikanische Demokratie als "logischen Schritt" erscheinen läßt. Wo immer Monarchie gedeihlich verlieft, war sie ein Zueinander des Ewigkeitsprinzips - im König - und der (im modernen Begriff:) Selbstverwaltung der Menschen in ihren alltäglichsten Lebensvollzügen. Der normale Bürger der ersten tausend Jahre Europas hat seinen König so gut wie überhaupt nicht auch nur zu Gesicht bekommen, hatte mit der Zentralmacht so gut wie nie etwas zu tun.  Er wußte nur, daß es sie als alle einendes Prinzip gibt, und als solche war sie auch Garant für einen zivilen Frieden. Deren Macht war aber äußerst eingeschränkt, sodaß sie sich bei direkter Intervention auch sehr konzentrieren mußte. Das begann sich erst mit der Renaissance und deren Ideen nachhaltig zu ändern.





*010916*