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Sonntag, 19. Juli 2020

Als der Antichrist kam

Es ist grotesk? Es ist tief wahr zu sagen: Wären wir wie Andreas Hofer und die Tiroler in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts in der Lage das System des Napoleonismus des aufgeklärten Europas als System des Antichristen zu erkennen, wäre unsere Kultur noch gesund. Somit ist es ein Symptom, ein ganz bedenkliches Symptom sogar, daß wir heute diese Haltung gar nicht mehr verstehen können, sondern bestenfalls als frömmlerischen Obskurantismus abstempeln.

Oh wie wir uns aber täuschen zu meinen, dies wäre eine Frage der Vernunft, des Verstandes, der Logik, der Ratio. Sie ist etwas ganz anderes. Sie ist irrationales Produkt (also bloß der Entscheidung, dem Urteil folgende Rationalisierung) einer sittlichen Haltung, zu der wir uns entschieden haben. Von der Zeit Hofers trennen uns nicht Verstandeswelten, nicht Zivilisation oder Technik oder Fortschritt, sondern Welten des Sittlichen. Der Kostümwechsel ist nur Klimbim, Täuschung, und der angebliche Fortschritt seit damals nur Ergebnis der Flucht vor der Wahrheit, in der wir uns selbst verdammt haben.

Verstehen, und somit auch in einem Film wahrhaftig darstellen, können wir das, was Hofer und seine Tiroler bewegte, also schon lange nicht mehr. Sodaß man schon froh sein muß, wenn eine Darstellung dieser Epoche nicht allzu schlimm danebengeht, nicht allzu sehr zu interpretieren versucht. Was immer daneben gehen muß. Und heute geht es im Film (wie in der Kunst generell) so gut wie immer daneben.

Denn wir haben das System der Unfreiheit lieben gelernt, es ist vielleicht sogar schon erblicher Faktor einer durch Gewohnheit fleischlich gewordenen und damit vererbbaren Neigung zur Selbstverfehlung und damit zum Tod geworden. Ausgedrückt in Krankheiten, die Generationen und Völker befallen, nicht nur einzelne Personen.

Damit fehlt natürlich den Unsrigen überhaupt jede Möglichkeit, einen guten Film zu machen. Über Hofer, aber auch generell. Von Sünde und Schuld getrieben kann niemals Wahrheit und Wirklichkeit - das Wesen der Kunst - entstehen weil geschaffen werden. Und Geschichte muß jeweils geschaffen werden, sie "ereignet" sich nicht "von selbst".

Aber schon damals war Tirol - in derselben Konstellation wie heute - gespalten. Die Städter, die Profiteure des Napoleonismus, der letztlich gesiegt hat, und in dem wir heute leben, hielten sowohl in Tirol wie in Bayern das Heraufgekommene, die Neue Zeit, für das Wünschenswertere.

Ihre Lebenshaltung ist sie, die unsere, die heutige. Sie ist eine Haltung des Arrangements mit der Unfreiheit, in der wir das Ewige (das es nur existentiell gibt, nicht als Attitüde, nicht als Kirsche auf einem ansonst mechanistischen, auf Effekt abzielenden Lebensablauf) zugunsten des Irdischen aufgegeben haben. Nur in dieser Transzendenzbereitschaft wie -fähigkeit aber liegt die Freiheit.

Den Verlust der Freiheit ertragen wir nicht nur, sondern wir wünschen ihn lange schon herbei. Um unserer Schuld auszuweichen. So wird unser Wollen eine Verwünschung der Welt (des und der anderen), in der wir selbst in quälender Unfreiheit stehen und weder Mut noch Kraft haben, uns zur Freiheit zu erheben. Das ist die Hölle. Unsere Zeit ist deshalb böse geworden, unser Lachen ist heimtückisch, zynisch und falsch. Das Gut, das wir nicht haben, soll auch nicht der andere haben.

Freiheit ist ein actu, ein aktives Existieren als permanentes Offensein gegen die Wahrheit hin. Sie ist kein permanent durch äußere Umstände zu erreichender oder sichernder Zustand. Aber in Ketten liegend, wollen wir sie gar nicht mehr erkennen, weil uns jeder Schmerz zu groß scheint. Als Verdrängungsstrategie, in der der Mensch zu oft glaubt, es sich dauerhaft einrichten zu können, scheint dieser Schmerz noch erträglich. Diese Losung ist ausgegeben, an diese Losung klammern wir uns, und zertreten jeden, der sie anzweifelt.

So wird aus einer Bedrückung eine unvergebbare Sünde wider den Heiligen Geist. Der Antichrist, als den die Tiroler Napoleon begriffen haben, hat gesiegt. Und er zerstört die Geschichte, macht sie zu einem bloßen faktischen Ablauf von toten Ereignissen, in denen sich jeweils nur dasselbe wiederholt und die Oktavenleiter der Weltebenen rauf und runter klettert. Weil Mechanismus das Lebendige verweigert und aus der Welt bannt, sodaß diese sich auf sich selbst geworfen in sich selbst dreht.

Da nimmt es nicht Wunder, wenn aus solcher Kulturstimmung die Anschauung wächst, daß die Welt ein starres Schema ist, das sich in Zyklen wiederholt, aus denen nicht ausgebrochen werden kann.




*120620*