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Samstag, 25. Juli 2020

Ersatzformen der Freiheit

Dieser Beitrag baut auf einem Artikel aus dem Jahre 2013 auf - wie die Zeit vergeht! Als wäre es erst gestern! Auch inhaltlich sind die sieben inzwischen vergangenen Jahre ohne Belang. Nichts an der Aussage ist weniger frisch, und das heißt: weniger notwendiger Faktor in jenem Sprachraum, der sich "öffentlicher Diskurs" nennt. Und an dem jeder teilhat, jeder. Ob er nun Medien konsumiert oder nicht. Denn keiner ist alleine, jeder ist im Rahmen eines sozialen Raumes zu sehen.

Was die Brutalität und Unmenschlichkeit des Lockdowns, den wir erfahren haben, erst so richtig deutlich macht. Nur wer fern der Vernunft ist, kann so etwas überhaupt ersinnen und verhängen.

Ein Problem das vor allem dadurch entsteht, daß, wie Étienne de la Boétie in dem kleinen Büchlein "Von der freiwilligen Knechtschaft" (engl. "Politics of Obedience") etwa im Jahre 1550 sagt, die Führungsschichte eines Landes immer klein ist und in sozialen Sonderbedingungen lebt, die sich von denen der von ihnen Beherrschten grundlegend unterscheidet. Wollte das Volk nicht, wäre kein Herr stark genug, um es zu beherrschen. Aber ... das Volk kuscht, denn der Normalbürger ist feige. Seit je. Aber ist es nur Feigheit? Nein. Es ist schlicht Desinteresse, Indifferenz, die der eigenen Freiheit entgegengebracht wird.

In seiner entschiedenen Gegnerschaft zu Machiavellis Staatsschriften, in denen erstmals der Staat als Maschine betrachtet wurde, als Apparatur, die zu bedienen und zu beherrschen ist, stellt sich deshalb de la Boétie, der ein enger Freund von Michel de Montaigne war, vehement gegen diese menschenverachtende Auffassung. Die die endgültige Trennung des einst (wie immer und überall!) familialen Zusammenhangs von Herrschaft und Volk in dieser Zeit endgültig und völlig auseinanderreißt.

So sehr auseinanderreißt, daß anarchische Grundstimmungen wie die von de la Boétie entstehen. (Heute nennt man das "zivilen Ungehorsam".)

Eine allgemeine Haltung und Stimmung der Unterwerfung entstand, die er hellsichtig als die kommende Weise sieht, in der Politik gehandhabt und betrachtet werden wird. Und er hatte völlig recht. Das Zeitalter des Absolutismus ist dabei nur scheinbar in eines der aufgeklärten "Volksgesellschaften und -staaten" übergegangen - beides sind nur andere Formen ein- und derselben unmenschlichen Art der Staats- und Volksbetrachtung. Diese zerstört die Essenz des Menschseins, die Freiheit, in ihrer Wurzel, und muß umso mehr von ihr und der Vernunft, ihrem Medium, sprechen, und wird weil muß Täuschungs- und Ersatzformen anbieten.

Giorgio Agamben vergleicht diese Haltung als die des bloßen Bewahrens des "nackten Leibes". Menschsein wird nur noch damit verknüpft. Alles andere ist disponibel und dem Bürger abzusprechen. Dem es damit wie dem KZ-Insassen geht. Auch der hat schließlich seinen Lebensanspruch auf das nackte Überleben reduziert weil reduzieren müssen, und das hat ihn dem KZ-Personal gegenüber sogar weitgehend unangreifbar gemacht. Was hätte man ihm noch nehmen können, außer das nackte Leben? War der nicht schon glücklich, wenn man ihm das blanke Brot gab?

Was bleibt uns bei einem Lockdown, wie wir ihn erlebt haben und mit dem die Politik genau das macht: Uns aufs blanke Überleben reduzieren. Oder damit auf eine Weise droht, die nicht nur unverschämt, sondern die einfach nur noch empörend ist. Sebastian Kurz wagte es erst dieser Tage tatsächlich, bei der neuerlich auferlegten, umfassenden Maskenpflicht von einem pädagogischen Sinn zu sprechen: Die Maske würde die Aufmerksamkeit der Menschen wieder mehr fokussieren! Das läßt sich ein Volk von einem Rotzbuben (und seine Kollegen sind vom selben Kaliber) gefallen, ja begrüßt das auch noch!

Dabei ist die Maske selbst unter strengsten medizinischen Aspekten dermaßen fragwürdig, daß sie sogar von vielen Medizinern als kontraproduktiv eingestuft wird. Und die per Strafe verhängten Anwendungsregeln sind dermaßen a-vernünftig und willkürlich, daß einzig Verwirrung (als "allgemeine Aufmerksamkeitshaltung", die aber von niemandem wirklich in richtiges Verhalten umsetzbar ist, weil es keine vernünftigen Kriterien GIBT) die Folge ist. Das ist wohl gewollt.

Anstatt über Menschenwürde und Freiheit zu diskutieren, diskutieren wir (beziehungsweise die meisten) jedoch weiter täglich über "Fallzahlen", "Infektionsraten", als ergäbe sich das eine notwendig aus dem anderen, als hätte das eine mit dem anderen zu tun. Wechselweise. Die von (unseren) Steuergeldern gekauften Medien sorgen schon dafür, daß das auch so bleibt.

Aufklärung tut not

Aufklärung kann heute nicht mehr heißen, „Befreiung der Vernunft aus ihren Täuschungen, sondern Befreiung von der Täuschung, welche die Vernunft selbst ist."
Und Vernunft als solche wäre dann Täuschung, wenn sie nur vorgeben könnte, aus sich auf ein Ganzes von Einsicht orientiert zu sein und dann auch durch sich aus dem Inbegriff von Täuschung befreit sein zu können."
(Dieter Henrich)

 


Es gibt sie nicht, die weltimmanente "objektive" Vernunft. Sie ist aus dem Ganzen eines Menschen, aus seiner Subjektivität, aus dem Antwortsein auf die Begegnung mit der Welt, nicht herauszulösen. Und sie ist damit nicht von der Grundhaltung eines Menschen zu trennen. Es gibt also keine Vernunft außerhalb der Wahrheit, die selbst personal ist. Entscheidung zur Vernunft kann also nur eine personale Entscheidung sein. Nicht das ist gefährlich, sondern gefährlich ist zu meinen, es gäbe eine nicht-personale Wahrheit einer technischen, maschinellen Objektivität, die vom Personalen zu trennen sein könnte, die keine personale Qualität hat. Es gäbe Information, die nicht eingeordnet wäre in eine Gesamtsicht und -haltung zu Welt und Wirklichkeit. Die nicht auf philosophischen und noch zuvor religiösen Vorentscheidungen beruhte. Solche Informationsverarbeitung wäre leeres, sinnloses Formalspiel, wäre es überhaupt möglich. Denn schon die Entscheidung, was überhaupt Information IST, ist nur von einer Gesamtsicht her möglich.

"Vernunft ist nur Werkzeug, sie bedarf eines vorgängigen „Ganzen“, auf das sie sich richtet, mehr noch: von dem und an dem sie selbst ausgerichtet wird. Der biblische Gott wird so zum befruchtenden Wider-Stand der Vernunft.

Christentum wird als Unruhe in der diesseitigen, immer gleichförmiger, immer antwortloser werdenden Kultur verstanden. Denn die Vertröstung auf das Diesseits wirkt nicht mehr; seine Schalheit ist zu offenkundig. Die allenthalben wuchernde Religiosität, [...] und die neuerdings dagegen auftretende, sich „naturwissenschaftlich“ gebende Religionskritik greifen ineinander wie Räder eines leerlaufenden Zahnrads. Daß es eine 3.500 Jahre erprobte Überlieferung gibt (Altes und Neues Testament zusammen gesehen), die gegen die Götzen (der Selbstanbetung, der Dämonie im Menschlichen, der „Naturmächte“) einen wirklichen und wirksamen Gott stellt, scheint heute eine neue Botschaft zu werden."

 (Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz)


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