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Dienstag, 14. Juli 2020

Ich habe Herrliches gesehen


Unter den Artikeln älteren Datums erscheint auch die Relektüre dieser Erzählung über den Tod von Edmund Husserl aus den Erinnerungen von Edith Stein lohnenswert. 

Gebracht, weil es ein großes Problem der täglichen Seelenpflege ist, sich das wirkliche Ziel als aktives Element vor Augen zu halten. Das als abstrakter Gedanke erkannt und erfaßt viel Leben und Zeit und Muße des stillen Wachsens braucht, um auch so lebendig und präsent zu werden, daß es das alltägliche Denken und Sorgen durchdringt - und damit das Herandrängende völlig anders bewerten und ordnen läßt, als uns in der Flüchtigkeit und dem Druck des Nutzendenkens meist unterläuft.  

Und dazu braucht es jene Aktivität des Geistigen, die eigentlich falsch als "Erinnerung" bezeichnet wird. Sie ist da, sie ist somit bereits innerlich, wenn sie da ist. Und möge somit gegenwärtig sein - als Gedächtnis, wie es das Wissen Gottes ist: Actu. Eine Erinnerung ist also der Zugriff auf Vorhandenes, nie Weggewesenes. Uns wird sicher zu wenig gewahr, daß unser geistiges Gedächtnis nahezu unendlich, unerschöpflich ist.

Was sehen läßt, wie bedeutend es ist, uns im Lebensalltag von "Denk-Mälern" zu umstellen! Ja man könnte sogar sagen, daß Kultur überhaupt nur ein Aufstellen von Denkmälern ist, in denen sich jenes Ewige präsent hält, das einmal als innere Struktur unserer Welt erkannt worden ist. Der VdZ ist völlig sicher, daß es unsere Gegenwart, die manchem als "reich" erscheint, nur gibt, weil es noch immer genug Mauern, Steine, Bücher, (immer noch) verbale, zwischenmenschliche Erzählungen gibt, die uns buchstäblich in der Welt halten. Womit wir beim wahren Sinn der Kunst angelangt sind.

Das Problem des Lebensweges ist die Verbindung in unsere bewußtes, also vordergründig logisches und rationales Urteilen und Wollen, als Ordnen dessen, was als Inhalt da ist und auf die Zuordnung zu Sinn wartet. So wird deutlich, daß Erinnern ein Akt der Sittlichkeit, der Tugend ist. Es ist eine Leistung, sozusagen, und nicht einfach das Emporfördern von Bildern und Eindrücken. 

Darin irren die allermeisten heutigen psychologischen Ansätze oder gar "Therapien", die Ungeordnetes emporfördern und unbewußt urteilen und ordnen. Und plötzlich ganz neue, oft regelrecht falsche "Erinnerungen" zu Tage bringen, die mehr von momentanen Stimmungen, Urteilen und Gewolltem geprägt sind als von tatsächlichem Geschehen. Das nur aus Sinn (logos) ein Geschehen ist.

Dieser Artikel erschien zu Neujahr 2009 erstmals in diesem Blog. Das Aussagekräftigste ist dabei die Reaktion von Husserl, der das "Gesehene" nun plötzlich in einem Sinnhorizont sieht, der ihm bislang fern war. Wenn der Mensch dem Tode nahe kommt, zeigt es sich in der Regel durch das Zurückziehen des Körperlichen. 

Damit wird der Geist frei, oder freier, und kann mit einem Male auch Sinndeutungen zulassen, gegen die er sich sein übriges Leben lang gewehrt hat. Denn jeder Atheismus, jedes Wehren gegen Gott und die Kirche ist ein Wehren, eine aktive, wenn auch oft unbewußte und verdrängte Ablehnung. Gott ist in der Welt dermaßen evident, daß es enorm viel Kraft braucht, ihn zu verneinen.

Darin liegt der Sinn des Gebets um eine gute Sterbestunde, darin liegt die Erkenntnis, wie eng der Unsinn des oft geäußerten Wunsches nach einem "schnellen oder plötzlichen Tod" mit der Entscheidung für das Sein - oder das Nichtsein - zusammenhängt. Aber in einem guten, bewußten Sterben (womit auch einer überzogenen Palliativmedizin das Urteil gesprochen ist), das ein menschlicher Akt ist und deshalb auch so sein sollte, das künftige Schicksal in der Ewigkeit noch einmal entscheidend verändern.) 

(Jänner 2009) In einem Buch über Edith Stein eine Schilderung des Todes von Edmund Husserl, als dessen Assistentin sie jahrelang gearbeitet hatte, ehe sie vom Judentum zum Katholizismus konvertierte und auch philosophisch, wie sie selbst es bezeichnete, "von vorn beginnen" mußte, und der sich zeitlebens selbst als Ungläubiger bezeichnete:

Gründonnerstag 1938 fragte er die Krankenschwester, die vereint mit seiner Frau und der Geistlichen Schwester A. pflegte:
"Ist es wirklich möglich, gut zu sterben?"
Sie antwortete: "Ja, in tiefem Frieden."
"Aber wie?"
"Durch die Gnade unseres Herrn Jesus Christus!"
Die Schwester begann den 22. Psalm: "Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir mangeln ..." An der Stelle "selbst wenn ich wandle mitten im Todesschatten, will ich nichts fürchten, weil du bei mir bist", unterbrach Husserl sie:
"Ja, so ist es, ich möchte, er wäre bei mir, aber ich fühle seine Nähe nicht." Dann flüsterte er: "Betet für mich!"
Am folgenden Tag sagte seine Frau: "Heute ist Karfreitag."
"Welch schöner Tag", erwiderte er, "Karfreitag! Ja, Christus hat uns alles verziehen."
Am Abend beklagte er sich, daß er immer noch lebe: Schwester A. sprach von dem Sterben Christi am Kreuze, um ihn zu ermutigen.
"Gott ist gut," schloß sie.
"Ja, Gott ist gut", fiel er ein, "aber er ist unbegreiflich, und das ist eine große Prüfung für mich ..." Er konnte den Satz nicht vollenden. Nach einer Weile begann er wieder "das ist wie zwei Kräfte, die sich ständig suchen, sich vereinen und von neuem suchen ..."
Schwester A. suchte seinen Gedankengang aufzunehmen: "Ja, in Jesus vereinen sich Himmel und Erde, in Christus steigt Gott zu den Menschen herab."
"Der Kranke stimmte zu: "Ja, so ist es" ... dann ruhte er ein wenig. Plötzlich machte er heftige Bewegungen, als wollte er erschreckende Bilder verjagen. Gefragt, was er sehe, sagte er: "Licht und Finsternis, große Finsternis und dann wieder Licht."

Er fiel in eine Art Bewußtlosigkeit, die mehrere Tage anhielt. Plötzlich wandte er sich zu seiner Pflegerin und rief: "Ich habe Herrliches gesehen! Schnell! Schreiben Sie!"
Als diese mit ihrem Notizblock herbeieilte, war Husserl tot.


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