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Sonntag, 4. September 2016

Als Welt und Natur eins war

Der VdZ war einigermaßen überrascht, als er von Polen kommend in Usti nad Orlici den Anschlußzug nach Ceska Trebova suchte, und vom Schaffner (einer überaus charmanten, blonden Tschechin) auf ein Gleis hingewiesen wurde, wo eine ... schmauchende Dampflok samt angehängten alten Waggons stand. Offenbar als kleines Wochenendzuckerl, hatte die tschechische Bahn diese 8 oder 10 Kilometer auf ganz andere Art zurückzulegen "geschenkt", denn was oft viel Geld kostet, war hier kostenlos und einfach eine nette Überraschung. Denn bei dieser kurzen Strecke war auch der allfällige Zeitverlust für den Anschlußzug in Ceska Trobova kein Problem, der VdZ konnte sich also ganz dem Erlebnis dieser Art der Beförderung hingeben. Was ihm ja noch in der Kindheit in den 1960ern in Österreich recht normales Geschehen war, er erinnert sich gerne an die male, wo mit Plateauwaggons und Damplok die Kaiser Elisabeth-Bahn Richtung Selzthal dampfte, ja einmal weiß er sogar noch von einer Damplokfahrt nach St. Pölten, obwohl die Westbahn damals schon elektrifiziert war. 

Zwei Dinge aber sind ihm aufgefallen, und zwar wirklich auf- weil zu-gefallen, er hat sie an der Wirkung stark und überraschend erlebt. Das eine war, daß die Fahrt mit dieser Dampfbahn so ruhig und beherrscht (dabei gar nicht so viel langsamer) vor sich ging, daß er in Ceska Trebova fast entspannt aus dem Zug stieg, trotz der schwierigen Handhabung der Koffer, denn diese alten Waggons der Marke "Holzklasse" sind doch deutlich enger als heutiger Standard es kennt. Man reiste wohl früher nicht mit so monströsen Koffern wie man es heute tut, oder man hatte Gepäckträger (auch an die kann sich der VdZ noch erinnern), die die Koffer bis ins Abteil trugen (und holten) und solches Umsteigen für den Fahrgast selbst weitgehend streßfrei hielten. Das war auch nicht das Gefühl, etwas "besonderes" zu erleben, es hatte einfach mit der direkt erlebbaren Beförderung zu tun. Dem Beschleunigen, dem Bremsen, irgendetwas ließ einen nie den Kontakt mit dem Boden, dem Raum verlieren. Und das macht sehr sehr ruhig. 

Gleich anschließend im hochmodernen, ja hypermodernen RailJet, der mit 160 Stundenkilometern fast "schwebt", erlebte er den Unterschied: in diesen klimaanlagengeregelten, hydraulische-Türen-hermetisierten Zellen war er wie in einer "Blase", und sie war keineswegs "angenehm", sie war als hätte man mit der Welt nichts zu tun. So ungefähr muß das alles zusammenhängen, den der VdZ achtete nicht darauf, was er "erleben würde", dazu war er viel zu sehr mit den Anschlußterminen und Zeitkalkulationen beschäftigt, sondern das Erleben war so deutlich, daß es von selbst ins Bewußtsein stieg. 

Aber noch etwas erlebte er, genauso beeindruckend, genauso ungesucht: Die Fenster der Waggons waren offen, denn es war ein heißer, ja drückend schwüler Sommertag gewesen, und die Fahrgäste waren meist hinausgelehnt, auch um in Kurven einen Blick von der Dampflok zu erhaschen. Deshalb aber drang auch immer wieder der Rauch aus den Kesselfeuern ins Wageninnere. Und da war der VdZ überrascht. Nicht nur, daß er sich an diesen Rauch so gut erinnerte, der im Winter auch über der Siedlung hing, in der er aufwuchs - Rauch aus Kohlefeuern. Er war überraschte, weil dieser Rauch fast ... angenehm roch. Er war wie ein klar definiertes und definierbares Gegenüber, ein Ding, das man meiden oder suchen konnte. Der Geruch, die Art damit umzugehen, alles an diesem Verbrennungsprodukt war natürlich, normal, und man konnte es fast lieben. Nichts daran war aggressiv oder unsympathisch. Alles war Natur, natürlich, und Teil der Natur. Der VdZ, die Dampflok, der Rauch aus den Kesselfeuern, die Art der Bewegung.*

Und das, dachte er, soll also das sein, was die Welt zerstört? Nein, niemals konnte er das je glauben, und noch weniger nach diesem Samstag in der Tschechei, im Dampfzug von Usti nad Orlici nach Ceska Trebova, welches Fahrerlebnis die tschechische Bahn spendiert hatte. Aber um das zu begreifen muß man wohl noch so handfest und vernunftbereit wie die Tschechen sein, die noch wissen, was schön ist. Und die noch viel besser als wir wissen, daß schön auch gut ist. Und die wissen, wie es sich herstellen läßt, das Schöne. Natur, Welt, Kultur, Mensch, Technik - Welt, Natur, Kultur, Mensch Technik, es war eins an diesem Tag, und es war wohl immer so gemeint.

Tomas Halik mag schon recht haben, wenn er schreibt, daß der offiziell extrem weit verbreitete Atheismus der Tschechen in Wahrheit gar kein Atheismus ist. Er ist vielmehr die aus großer Ernüchterung erwachsene Skepsis als Suche nach dem Vernunftgrund der Welt, und dies ist der eigentliche Boden, auf dem auch Gott wandelt und west. Das ist auch der Grund, und es scheint sehr plausibel, daß Halik nicht glaubt, daß die Tschechei in ihrem Wesengrund atheistisch geworden ist - die Tschechen suchen nur Gott auf eine wahrere, richtigere, wahrhaftigere Art als der Westen, der mitten in Illusionen steckt und fatalerweise meint, er habe ihn bereits gefunden, wenn nicht mehr: er sei Gott.

Das ist auch der Grund, warum die Tschechen (ja, mehr oder weniger der gesamte ehemalige "Ostblock") den Weltrettungswahn des Westens viel weniger mitmachen, warum es dort gar nicht wenige so klare, vernünftige Stimmen gibt, auch aus dem Lager der "Atheisten".  Die Menschen im ehemaligen kommunistischen Osten sind gebrannt von Utopien, sie sind oft sehr sehr realistisch, und das heißt eben wirklich "vernunftbereit". Auch in Schlesien hat der VdZ das wieder erfahren, bei allen Einschränkungen, die nicht unbedingt für Polen sprechen.

Aber auf der ganzen Strecke von Österreich nach Polen (und auch dort im ganzen Südteil) war kein einziges Windrad, keine der unsäglich vertrottelten Solarpaneele zu sehen, nichts. Außer viele hunderte Kilometer unsäglich schöner, kleinstrukturierter Kulturlandschaft zwischen tiefen und üppigsten Wäldern, Feldern, Wegen und schmaler, baumgesäumter Straßen, Seen und Flüssen in Mähren und dann Schlesien. Erst, wenn man diese Landschaften verläßt, und dabei einen regelrechten Kulturbruch - als Sprung in eine rein technische Nicht-Kultur nämlich, eine Lebensweise bloßer Technik und Geschwindigkeit und Gelacktheit - tauchen diese Probleme wieder auf, die uns angeblich so bestimmen müssen weil sie angeblich die Welt bestimmen. Nein. Kaum wo hat der VdZ noch so gute Luft erlebt wie in Schlesiens Städten, mitten in Glatz, Luft von einer Schwere und einem Aroma, wie er es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Obwohl die Menschen dort nach wie vor mit Kohle heizen und Fleisch essen bis zum Abwinken und käsegefüllte, süß-milde Teigtaschen in Butter schwenken, daß es von der Gabel tropft, und dazu Wodka Wyborowa trinken. 

Wer in diese Landschaften fährt erfährt buchstäblich, daß das nicht so ist, wie man hier sagt. Daß die Welt anders ist, wirklich anders. Und daß nicht wir sie haben. Sie ist auch WO-ANDERS. Daß in diesem Perspektivewechsel unsere sogenannten Probleme als widerliche und affektierte, ja anstößige, obszöne Plastikgirlanden erkennbar werden, denen alles Wahre, Natürliche und Vernünftige fehlt.

Während an das zu glauben, als im Westen verbreitet wird, schon eine gehörige Portion des wirklichen Atheismus braucht. Jener Haltung, die meint, es gäbe Heil auch durchaus mal ohne Vernunft, und der sich verlogen hinter oft so vielen frommgeschwungelten Unerträglichkeiten versteckt.

Oh ja, das Anfahren und Bremsen der neuen Railjets erlebt man kaum noch, alles geht in einem unterschiedslosen Gleiten unter. Aber wenn man dann, nach acht Stunden Zugfahrt, zuhause aussteigt, ist man ein oder zwei Tage wie in Watte gepackt, und alles dreht sich einem. Weil man erst wieder jenen Boden finden muß, den man gemeiniglich "Leben" nennt. Und auf einmal gefällt einem die gelackte, hygienisch penibelst saubere Stadtlandschaft gar nicht mehr, die man zuvor als normal erlebte, und die von Windrädern am Horizont endgültig zur eigenartigen Kunstlandschaft degradiert wird. Und man sehnt sich nach dem Geruch des Kohlefeuers, das aus dem Schlot der Dampflokomotiven und Häuser stieg. Damals, als man noch Kind war. Damals, als alles noch so normal war.

Der moderne Mensch muß das ja hassen. Denn es ist Ort und Natur und Leben.



*Ach, man komme dem VdZ nun nicht damit, daß man CO2 nicht riechen oder schmecken könne. Das Wesen eines Dings erschließt sich in der Begegnung als überkomplexer Gesamteindruck. Deshalb darf einem solcherart sehr gesamthaften, persönlichen Eindruck sehr wohl getraut werden. Man muß nicht auf die chemische Analyse eines Heidelbeerpuddings aus Omas Geheimküche warten, um zu urteilen, daß er einem hervorragend bekommt. Nicht das Subjektive ist das Problem, sondern der Freiheitsgrad des Menschen als Widerspiegelungsfähigkeit der Wahrheit. Es braucht eine völlig veränderte und materialistische Metaphysik und Anthropologie, um zu heutigen Ansichten zu kommen, die objektive Prozesse von menschlich-ganzheitlichem Urteilen abkoppeln und die Urteilsbasis gewissermaßen "mitwandern" lassen, sodaß nur "alles anders", aber eben nicht anders geworden sein soll. Würde man Menschen aus den unterschiedlichsten Epochen und Regionen der Erde aber nebeneinander stellen würde man staunen, wie gleichlautend die allermeisten Urteile über Eigenschaften von Weltdingen sind. Und - anders wäre auch Wissenschaft gar nicht möglich, die nämlich auch von subjektivem Urteil ausgeht, um überhaupt zu wissen, wonach sie forscht. Womit wir auch hier wieder bei der Wahrheits- und Freiheitsfrage sind.





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