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Mittwoch, 7. September 2016

Sich in den Sack lügen

Lassen wir einmal die Frage beiseite, ob es überhaupt einen Sinn hat von "Effizienzsteigerung" zu sprechen, meint man sie absolut. Denn wie hier schon dargelegt, handelt es sich hier immer nur um ausschnitthafte, reduzierte Betrachtungsweise eines geringeren Energieverbrauchs für (reduziert definierte) "gleiche" Arbeit. Gesamtprozesse werden also lediglich in kleine Abschnitte zerteilt, ohne das Insgesamt zu betrachten  (oder auch oft betrachten zu KÖNNEN.) Ein anderes Thema. 

Aber Peter Heller macht auf Science Sceptical auf einen Zusammenhang aufmerksam, der auch eine solcherart reduzierte Betrachtungsweise in ihrer Sinnhaftigkeit hinterfrägt. Indem Heller auf den "Rebound-"Effekt hinweist. Der besagt, daß eine Steigerung der Effizienz bei einzelnen Vorgängen eine Steigerung der Nachfrage danach (also der Menge) bewirkt, sodaß der Gesamtenergieverbrauch nicht nur nicht fällt, sondern sogar steigt. Dieser Rebound-Effekt ist aber nicht etwas, das man unterdrücken oder verhindern muß oder kann, sondern er ist sogar Bedingung jeder Effizienzsteigerung.

Und für diesen Rebound-Effekt gibt es eine Erklärung, die freilich weit weg von Psychologismen liegt: Der Mensch handelt nach Topoi, nach Grundschemata gewissermaßen. Sie sind Handlungsmotiv, sie sind Handlungsinhalt, sie sind Kriterium, auch für Rechtfertigung. 

Aber langsam und konkret: Während man bei Flugzeugen den Spritverbrauch pro Passagier um jährlich 1,5 % zu senken vermochte, stieg im selben Zeitraum die Anzahl der Flüge um 4 %. Das heißt, daß der Effekt der höheren Effizienz im Ganzen betrachtet durch die höhere Zahl der Flüge nicht nur vernichtet, sondern der Gesamtverbrauch an Sprit deutlich gestiegen ist. Es gibt diesen Rebound ja aus Untersuchungen in entzückenden Fallbeispielen: Der Umstieg von Käufern auf Jutesäcke bewirkt, daß sie in anderen Gebieten deutlich freizügiger mit Energieverbrauch umgehen, weil sie durch den Jutesack (der im übrigen überhaupt nicht weniger Energieverbrauch bedeutet wie ein Plastiksack, das nur nebenbei) "ein gutes Gewissen haben". Oder: Wer seine alten Glühbirnen, die durchaus Heizstrahlerqualität haben, durch moderne LED-Lampen ersetzt, baut nunmehr so viele LED-Funzeln ein oder schaltet öfter das Licht ein, sodaß sein Gesamtstromverbrauch unter Umständen sogar steigt. Oder er verbraucht an anderer Stelle umso gewissenserleichterter mehr Energie.

Dazu muß man aber auch gar keine hohe Psychologie einsetzen. Sondern in vielen Fällen tritt der Fall ein, daß eine neue (effizientere) Einzelsituation eine unabsehbare Kette von Folgeüberlegungen auslöst und Vernunftgänge verändert. Beispiel: Eine neu errichtete Donaubrücke samt neuem Anbindenetz in der Herkunftsregion des VdZ, die für ehedem täglich 20.000 passierende Fahrzeuge Einsparungen bringen sollte, hat binnen eines Jahres bewirkt, daß Verkehrsströme weit größeren Umfangs umgelenkt wurden. Der Gesamtenergieverbrauch stieg, weil die bessere Teil-Anbindung bis in 100 km Umkreis anziehend wirkte und Teilroutenziele, Reisewege, Transportrouten sich veränderten. Salopp: Man fährt lieber 30 km Umweg, denn nun fährt man vermeintlich konfliktfreier. Wirkungen wurden verändert und verlagert, eine neue Situation geschaffen, aber nichts wurde gespart.

Diesen Effekt meint nun die deutsche Regierung durch Steuererhöhungen auf Strom selbst abschöpfen und steuern (also: vermindern) zu können. Sodaß als Nebeneffekt trotz gesteigerter Energieeffizienz der Haushaltsgeräte die GesamtKOSTEN des Stromverbrauchs natürlich kontinuierlich und sogar stark steigen. Darin drückt sich das Gesagte auf jeden Fall schon einmal aus.

Aber es ist sinnlos, schreibt Heller, zu meinen, man könnte diesen Rebound-Effekt bekämpfen! Indem man ihn gezielt zu unterdrücken versucht. Also - weniger Flüge, weniger LED-Lampen, weniger Jutesäcke, etc. etc. Denn der Grund, warum es solche (wie gesagt: nur bei Nutzenreduktion als solche auftretende) Effizienzsteigerungen in den Produkten gibt, ist nicht, daß Hersteller aus Altruismus Produkte zu entwickeln suchen, die "weniger Strom" verbrauchen sollen,  sondern weil sie sich davon insgesamt höhere Absätze versprechen. 

Es ist eine Frage der Unternehmenskalkulation, auf Menge oder auf Qualität zu setzen, so könnte man es ausdrücken. Hier hat sich die Kostenrechnung als großartiges Steuerungsinstrument entwickelt, denn sie hilft Unternehmen mit "Mischkalkulation" zu arbeiten. Der Unternehmer muß eben in jedem Fall seine Kosten hereinspielen. Und er tut es in der Regel durch einen Mix an geringeren Margen bei höheren Stückzahlen, denen höhere Margen bei geringeren Stückzahlen ergänzend gegenüberstehen. 

Wenn die Umsätze eines Flugunternehmens sinken, weil der Spritverbrauch sinkt, sinken aber nicht nur die Kosten, sondern der Unternehmer muß den Verlust an Marge (den geringere Kosten und Verkaufspreise bedeuten) durch höhere Mengen wettmachen. Im Klartext: Er bietet billiger Flüge an, muß davon aber nun mehr Flüge verkaufen. Erst so stimmt seine Kalkulation wieder, denn die Boeing, die er in Dienst hat, kostet ihn an Fixkosten fast immer gleich viel, ob er damit 4.000 oder 400.000 Fluggäste transportiert. Auch den Betrieb gibt es, und er hat unerläßliche Sockelkosten, die sich zudem sprunghaft verhalten. (Beispiel: 400.000 Fluggäste benötigen ganz andere Investitionen und Betriebsbedingungen, also Betriebsgrößen und -umfänge, um bewältigt zu werden, als 4.000. Und selbst wer schnieke Gießkannen mit neuerfundenem Gumpelschnabel herstellen will muß eine Maschine dafür haben, die erst bei sagen wir 40.000 Stück per anno rentabel wird.) Und diese Betriebsbereitstellungskosten müssen einmal mit 4.000, ein andermal mit 400.000 Fluggästen hereingespielt werden. Sie fordern also bestimmte Mengen.

Die Steigerung der Energieeffizienz bei Flugzeugen ist nicht in der "Weltrettung" motiviert, sondern sie ist darin begründet, daß die Flugunternehmen Marktvorteile dadurch erringen konnte, daß sie durch verringerte Einzelstückkosten einen niedrigeren Gesamtpreis anbieten konnten. So hat man bewirkt, daß heute jeder Heinzelbürstler aus dem Dunkelwald regelmäßig mit einem Flugzeug unterwegs sein kann, um seinen Urlaub in Mallorca (und nicht am Kaufsteinersee in Gaukelwiesen an der Luppnach) zu verbringen. Während dieses Vergnügen auch der VdZ noch vor 40 Jahren als Veranstaltung ausnehmenden Luxusgebahrens ansah, weil es so selten und teuer war. Erst diese Mengensteigerung* hat das Fliegen zum Alltäglichsten gemacht, über das kaum noch jemand spricht.

Sinkt der Mengendurchsatz, steigt proportional oder oft sogar sprungprogressiv der Anteil an Betriebs-Bereitsstellungskosten. Beispiel: Ein Buchhalter mit 40.000 Euro Jahreslohn wird bei 5.000 Fluggästen einen winzigen Anteil der Kosten pro Ticket bedeuten. Bei 50 schaut das ganz anders aus. Kosten verhalten sich eben nicht oder nur in mehr oder weniger kleinem Anteil linear, wie das in alltäglichen und zwischenmenschlichen Lebensvorgängen (die sich ja nicht einfach in Kalkulationen abstrahieren müssen oder sogar sollen) oft zur Gänze der Fall ist. Schon gar nicht tun sie das auf Marktpreise bezogen, die meist schon Mengennotwendigkeiten implizieren. (Ein Schnickschnackhandy mit allem was es gibt, zu einem Marktpreis von 79,00 Euro, können Sie nicht mehr in einer zugigen Lagerhalle am Ortsarsch mit fünf Kumpels aus dem Sauflokal herstellen, zumindest nicht auf Dauer.) Ein Unternehmen ist (auch) eine Maschine, und eine Maschine fordert, sonst zerfällt sie. Sie ist entropisch. Ähnliches gilt es von Einkaufspreisen als Kalkulationsfaktoren zu sagen. Auch hier greift das (progressive) Mengengesetz, und das tut es auch bei Rohstofflieferanten. Auch bei Spritproduzenten etwa greifen ähnliche Notwendigkeiten und Wechselwirkungen.**

Es ist also bestenfalls entzückend naiv (um es nicht anders zu bezeichnen), sich darüber zu freuen, daß der Verbrauch von Sprit pro Fluggast und -meile ein Beitrag zur "Klimarettung" wäre. Im Ganzen ist das ganz gewiß nicht der Fall, sondern diese vorgebliche Einzeleffizienz ist nur durch einen insgesamt höheren Spritverbrauch durch höhere Menge an Transportierten überhaupt möglich. Das ist des Pudels Kern.

Deshalb kann das Konzept, Effizienz bei den Produkten hier, zugleich Reduktion der Rebound-Effekte dort zu erzielen, wie das die deutsche Politik (auch hier wie so oft schon: so seltsam widersprüchlich, ja direkt unüberlegt) propagiert, überhaupt nie aufgehen. Denn werden mit den geringeren Einzelstückkosten auch die Mengen reduziert, würde die Kalkulation des Produkts nicht mehr aufgehen - es würde unweigerlich wieder teurer werden müssen, und die Ziele der unternehmerisch-produktiven Entwicklung auch bei Produkten würden sich augenblicklich verlagern.  
Ein Einsparen "durch gesteigerte Energieeffizienz" auf gleichbleibendem oder gar fallendem Konsumniveau ist also gesamtwirtschaftlich gesehen gar nicht möglich. Es würde nur das Niveau des allgemeinen Konsums und Wohlstands fallen, das ist alles. Aber die Kosten für die Produkte würden wieder deutlich steigen, und so mancher "Effizienzgewinn" würde sich plötzlich schon gar nicht mehr lohnen. Wozu also daran weiter entwickeln?



*Zugleich fand innerhalb der Kaufkraftströme der Volkswirtschaften eine Umschichtung statt. Solche Preissenkungen sind also immer und tatsächlich relativ weil reduktiv. Simples Beispiel: Während früher die Milch beim Greißler um die Ecke das Doppelte kostete, als die später einsetzenden Supermärkte sie anbieten konnten, erfordert die Einrichtung eines Supermarkts einen ganzen Rattenschwanz an weiteren Dingen, sonst wäre diese Kauflösung gar nicht möglich: Auto, Kommunikationsmittel, Baugrund und Bauleistung, Infrastruktur, Müllentsorgung, etc. etc. - mit dem lustigen Nebeneffekt, daß DARAN dann der Wohlstand eines Volkes gemessen und als "gestiegen" betrachtet wird. Würde man die Einzelkosten für Milch allumfassend berechnen, würde herauskommen, daß sie TEURER geworden ist. Alles hat also mit der Lebensweise zu tun und vor allem damit, diese Kosten umzuverteilen, umzubenennen, umzudeuten, gewissermaßen "unter den Teppich" zu kehren. Noch Fragen dazu, warum die Staats- und Privatschulden weltweit explodiert sind?

**Es ist kein Wunder, daß in einer Zeit der Entstaltung - die eine Zeit des Dingverlusts, der Impotenz bedeutet - kein Gefühl mehr dafür existiert, daß alle Dinge einem (ja, man kann es so nennen: gewalthaften) Initialakt entspringen, also in "plötzlichen Momenten" eine Weltveränderung bedeuten. Sie lassen sich nicht wie bei einem Schieberegler vor- und zurückfahren. Die ganze Welt, bis ins Atomhafte, ist eine "Welt der plötzlichen Sprünge". Ist einmal etwas aber da, ist es Auftrag und Forderung und "Teil für die Welt als Welt". Das Großartige am Unternehmertum (bzw. jedem schöpferischen Vorgang) ist ja genau das: Jemand entwirft und fundiert einen Organismus, ein Ding, das es zuvor nicht gab, und das er nun oft über lange Zeit mit viel Kraft und persönlichem Risiko nach oben stemmen, "behaupten" muß. Und erst dann (!) beginnt es Teil des Weltmosaiks zu sein und "zu laufen" (oder nicht).




*270716*