Er habe die erstaunliche Entdeckung gemacht, schreibt Alexis de Tocqueville in seinen Betrachtungen über die Demokratie in Amerika, daß die Erwartung der Gleichheit aller Bürger eine Eigenschaft besonders bevorzugt: Den Neid. Wenn viele von Europa sagten (1830 war Europa weitgehend monarchisch-aristokratisch regiert) daß die unteren Klassen die oberen daran hindern wollten, daß diese regierten, so sei das in Amerika nicht anders. Er habe sogar festgestellt, daß sich in den fünf Jahrzehnten, die er das Land beobachte, die Befähigung und Qualität der Regierenden stark gefallen sei.
Denn keineswegs würde das Volk es lieben von außergewöhnlichen und begabten Männern regiert zu werden. Nicht nur, weil es gar nicht in der Lage ist, diese Qualitäten zu beurteilen, bewirkt der formale demokratische Vorgang (der Wahlen) immer, daß die Entscheidungen durch die Bürger zu hastig und zu unüberlegt fallen. Es ist einfach nicht möglich, schreibt der Franzose, daß man die Bildung des Volkes generell auf eine Höhe bringe, die es in die Lage versetze, die Regierungsmaterien rein sachlich zu beurteilen. Keine kostenlose Bildung, keine kostenlosen Universitäten, nichts wäre dazu in der Lage, schon alleine aus Zeitgründen. Aber auch aus persönlichem Interesse. Und, so nebenbei, es gäbe dann ja nicht einmal mehr ein Volk. Aber welches Volk hätte so viel Zeit, sich in die Regierungsmaterien so einzuarbeiten, wie es auch für die besten und geistvollsten Köpfe notwendig ist, die dann dennoch auch einmal irren können?
Dafür werden immer die Männer gewählt, die es am schlauesten anstellten, die Leute von sich zu überzeugen, die am elegantesten lögen, mit einem Wort: Die Scharlatane der allerverschiedensten Sorten seien. Gleichzeitig werden die wirklich vornehmen Männer davon abgehalten, sich überhaupt um Ämter zu bewerben, weil genau die es sind, die sich am wenigsten verbiegen können, ja, deren Vornehmheit und seelischer Rang es ihnen gar verbietet, sich so billig zu machen, wie es für eine Wahl nötig wäre. Damit ist fast sichergestellt, daß NICHT die Fähigsten an die Regierungsämter gelangen.*
Und das interessanteste dabei: Das Volk will es auch gar nicht. Das Volk will gerade die ihm Überlegenen von der Macht fernhalten. Und das ist kein Bildungsproblem, sondern eines der (geheimen) Leidenschaften. Die die Demokratie aber umso mehr weckt, als sie einen Anspruch auf Gleichheit weckt, den sie aber dann doch nie erfüllen kann. Zwar haßt das amerikanische Volk seine großen Männer nicht, aber es tut doch alles, um sie von der Macht fernzuhalten. Es sieht alles, was über ihm steht, als Hindernis, als Konkurrenz. Tocqueville nennt deshalb den Neid eine "demokratische Eigenschaft".
Die allgemein Wahl in einer Demokratie hat zwar andere Vorteile, aber dazu gehört ganz sicher nicht der daß sie garantiert, daß ein Volk von guten Leuten regiert wird.
Ja selbst wenn ein Staat in Gefahr gerät ist es oft pures Glück, wenn sein Volk (unter diesem Druck wenigstens einmal von seinen Leidenschaften Abstand nehmend) jene wählt, die es daraus befreien können.
Die allgemein Wahl in einer Demokratie hat zwar andere Vorteile, aber dazu gehört ganz sicher nicht der daß sie garantiert, daß ein Volk von guten Leuten regiert wird.
Ja selbst wenn ein Staat in Gefahr gerät ist es oft pures Glück, wenn sein Volk (unter diesem Druck wenigstens einmal von seinen Leidenschaften Abstand nehmend) jene wählt, die es daraus befreien können.
*Es ist fast merkwürdig, daß Tocqueville seine scharfsinnigen Beobachtungen nicht auch auf die Parteien ausdehnt. Denn an anderer Stelle sieht er sehr wohl, daß die - an sich einer Demokratie notwendige und in den USA so ausgeprägte - Versammlungsfreiheit, die zu Parteien führt, in dem Moment, wo ihnen jemand beitritt, diesen gewissermaßen unter die Parteidoktrine "versklavt": Mit dem Eintritt in eine solche Vereinigung gibt er Freiheit und eigene Meinung ab.
*120716*