Noch 2010 wäre unvorstellbar gewesen,
was sich in Irland seit 2011 abspielte: Das einstige Flaggschiff des
Katholizismus brach binnen nicht einmal eines Jahrzehnts auseinander,
und wurde zum Schlachtschiff des modernistischen Liberalismus der
westlichen Welt, in dem die Kirche in atemberaubendem Tempo ausgebootet
wurde, daß heute Irland wie zuletzt in den Fragen der Abtreibung oder
der "Ehe für alle" sogar "vorbildhaft" wirkt. Auch im Haß auf die
Kirche.
Wie
konnte das geschehen? Wie war ein solcher Sinneswandel eines ganzen,
durch und durch katholisch gewähnten Volkes in so kurzer Zeit möglich?
E. Michael Jones geht im Gespräch mit dem in Irland sehr bekannten (und
kontroversiellen) Journalisten John Waters dieser Frage nach.
Und
Waters stellt gleich zu Beginn fest, daß der frühere Eindruck eine
Täuschung gewesen ist. Eine Erzählung war lange Zeit aufrecht erhalten
worden, die von der inneren Realität immer weniger bis gar nicht mehr
gedeckt war. Der starke, hohe, weit ausladende Baum inmitten der Wüste
der Neuzeit, als den man Irland wahrnahm, war von innen heraus bereits
durchfault. Als in dem bekannten koordinierten Einwirken von NGOs,
Medien und Ideologien, wie es auf bewährte Weise bereits sämtliche
westliche Völker und Kulturen überwältigt hat, die ersten massiven,
gezielten Axtschläge auf ihn einprasselten, stellte sich blitzschnell
heraus, wie wenig Substanz und damit Widerstand noch vorhanden war, wie
bereitwillig man aber diese Welt einer neuen Moral aufnahm und sogar
herbeisehnte. Die irische Gesellschaft war und wurde in Wahrheit bereits
seit langen Jahrzehnten geistig ausgehöhlt, und damit sturmreif
geschossen für die "Neue Zeit", die "neuen Werte", wie sie den gesamten
Westen bereits erfaßt haben.
Der
legendäre irische Katholizismus war nur Fassade, war nur ein braves
Nachlaufen und Festhalten an Gewohnheiten. Sobald diese - wie in der
ernsten Finanzkrise 2011, in der Irland vor dem Bankrott stand - ihre
Gefügtheit und Sicherheit verloren, brach die "Gesellschaft der
Tradition" zusammen, und nichts blieb mehr übrig. Bislang eher nur unter
der Hand gepflegte Sichtweisen kamen plötzlich nach oben, weil das
Überkommene hinterfragt wurde. Mit einem Mal brach auch ein latenter
Anti-Klerikalismus auf, den sich die irische Kirche (leider) gar nicht
nur zu Unrecht selbst zuzuschreiben hat. Denn auch die hatte es sich
bequem eingerichtet, und schien machen zu können was sie wollte, weil
die Gesellschaft "dicht" hielt. Damit war nun Schluß.
Es
stellte sich heraus, daß die Treue zur Kirche und ihre Stellung in der
Gesellschaft oft einfach Indifferentismus gewesen war. Man nahm es hin,
hinterfragte es kaum, ohne wirklich dahinter zu stehen. Waters meint am
Beispiel seines eigentlich "tieffrommen" Vaters, daß der sein
Gebetsleben pflegte, zur Messe ging, etc. etc., aber von Priestern und
Bischöfen kaum Notiz nahm, ja eher amüsiert von diesen war, aber sie
nicht ernst nahm. Er hatte seinen privaten Weg des Umgangs mit Gott in
der und durch die Kirche. Und das war eine weit verbreitete Haltung in
Irland!
Die
Sichtweise der Kirche durch die Iren war generell sehr simpel. Man sah
sie als regelbasiert, und daran hielt man sich. Eine in dem Sinn
"personalisierte" Entscheidung war nicht nötig und traf auch kaum
jemand. Wirklich tiefe Fragestellungen waren nicht üblich und wo immer
sie auftraten, wurden sie auch vom Klerus abgetan und auf "das Gesetz
Gottes" geschoben, basta. In dem Moment, wo es dazu kam, wo Kirche zu
einer Angelegenheit der Treue durch persönliche Entscheidung wurde, wo
das Individuum gezwungen war, seinen Glauben zu kennen und zu
verteidigen, weil man TROTZ so vielem zu ihm hätte stehen müssen, weil
die Moderne (die in vielem einfach eine Methodik des Zweifels ist) alles
hinterfragte und rationale, geistige Antworten brauchte, kam der
Abfall. Diese Argumente gab es nicht, man war nicht gewöhnt, sich damit
zu befassen.
Dabei
ist ein zweiter Aspekt zu berücksichtigen, der mit dem Genozid (der
heute immer noch weithin fälschlich und in täuscherischer Absicht als
"Hungersnot" bezeichnet wird) der Jahre 1845 bis 1949 zu tun hat und
mit seinen fünf Millionen Toten* die Hälfte der irischen Bevölkerung
auslöschte. Dies hatte beim Klerus eine Haltung bewirkt, in der das
Thema "Sexualität" tabuisiert und auf Nachwuchsfragen konzentriert
wurde, um die Geburtenziffern wieder hoch zu treiben, die
Menschenverluste auszugleichen. Sie konzentrierten sich dabei vor allem
auf die Mütter, die Frauen, und marginalisierten die Väter. So kam es zu
einer symbiotischen Beziehung von Priestern und Müttern, um die Moral
der Familie zu kontrollieren. Der irische Katholizismus wurde "unterwürfig" und weibisch.
Die Männer wurden irrelevant, wurden
regelrecht zu Außenseitern des gesamten irischen moralischen Lebens. Mit Folgen. Denn während es im Zuge der Enzykliken Papst Leo XIII. (ab
1879) über die grundlegende Rolle des Thomismus als bestes
philosophisches System des Katholizismus zu einem Aufblühen der
Philosophie in Europa und Amerika kam, ging dieser intellektuelle Zug
an Irland spurlos vorüber.
Stattdessen wurden Erscheinungen der Muttergottes wie die von Knock
(1879; Knock gilt heute als drittwichtigster Marienwallfahrtsort
Europas von Erscheinungen, nach Lourdes und Fatima) ins Zentrum des
kirchlichen Lebens gestellt, und das blieb auch so bis ins späte 20.
Jahrhundert. Devote Frömmigkeit verhinderte so eine intellektuelle
Auseinandersetzung, schien sie gar nicht notwendig zu machen, und damit
eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Zeit und den geistigen
Strömungen und Irrtümern der Moderne. Man stellte, so nennt es Jones beim Namen, die Mutter über den Vater.
Morgen Teil 2) Man stellte in Irland die Mutter über den Vater
*Diese Zahl ist durch systematische Zählungen aus Massengräbern
belegt, und wird heute von keinem ernsthaften Historiker noch
bestritten. Nur die Engländer, die dafür direkt verantwortlich waren,
weigern sich bis heute, das zuzugeben, und versuchen immer noch, die
offizielle und zynische Version von einer von den Iren selbst
verschuldeten Hungersnot durch "Kartoffelfäule", die eine Lüge ist, in
der Welt aufrecht zu halten.
*061219*
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