Teil 2) Man stellte in Irland die Mutter über den Vater
Und
das hat in Irland eine lange lange Tradition. Waters verweist auf den
interessanten Umstand, von dem man sich auch bei Besuchen in Irland
überzeugen kann (wie der VdZ es tat, dem fiel es ebenfalls auf), daß das
irische Geschichtsbewußtsein sich seltsam häufig auf frühere legendäre
"Königinnen" beruft. Irland war eben nie (oder ist schon lange nicht
mehr) ein wirkliches Patriarchat! Es war immer bzw. ist seit langer
langer Zeit ein Matriarchat. Die Männer waren dafür da, funktionale
Dinge zu tun. Die ihnen aber die Frauen auftrugen, die die Autorität
auch in moralischen Fragen hatten.
Der
irische Katholizismus hatte damit keine intellektuelle Basis,
sondern war in dieser Mutterbezogenheit lediglich "etabliert", war nur
mit der Mutterverbindung eingesogene Verhaltensprägung, mit allen Folgen
(wie: Angst vor Individualismus und Widerstand gegen Masse und
Mehrheit).
Waters
ist das erst in den 1990ern aufgefallen, als er einerseits mit dem
ehemaligen Sozialismus der Tschechei zu tun bekam, anderseits selbst
Vater wurde. Und mit ungläubigem Staunen feststellte, daß in Irland
Väter keine Rechte hatten, ebenso wenig Kinder in Bezug auf ihre Väter.
Das gesamte Rechtssystem war auf die Frauen und Mütter ausgerichtet, um
deren Rolle und Rechte zu stärken.
Elvis oder Jesus, Intelligenz oder Geist
Der
irische Journalist, der als äußerst frommer Katholik in einer äußerst
frommen katholischen Umgebung aufgewachsen ist, erzählt aus seiner
eigenen Jugend in den 1960ern/1970ern, wie er das Einbrechen der Pop-
und Rockkultur des Westens erlebt hat: Als fundamentalen Konflikt mit
der Welt, in die er hineingeboren worden war. Jesus war, so wie er es
erlebt hatte, ein lieber, netter, weicher, unmännlicher Kerl. Aber diese
neue Welt, die sich in der Rock- und Popmusik, mit neuen (und
rebellischeren, individualistischeren) Vorbildern wie den Beatles oder
dem Fußballer George Best war viel aufregender, interessanter,
attraktiver. Und beides zugleich ging nicht, das fühlte er damals, ohne
das Warum (wie heute) zu kennen. Also entsorgte auch Waters den "süßen
Jesus" und wandte sich von der Kirche ab. Moderne Zeit und alter Glaube
schienen ihm unvereinbar: Vor die Wahl gestellt "Elvis oder Jesus"
wählte er Elvis. Dort schien auch alles viel "gescheiter", intellektuell
überlegen zu sein.
Was
er damals nicht erkannt hatte, war, wie hoch intelligent sein Vater,
seine Vorfahren gewesen sind. Trotz nur geringer Schulausbildung hatten
sie die geistigen Fähigkeiten zu hochwertigster Arbeit und
Weltbewältigung. Die den heutigen Menschen völlig fehlt, die zwar mit
Bergen von Zeugnissen ausgestattet werden, in deren Leben es aber
keinerlei Evidenz für Intelligenz gibt, die mit dem Leben und der Welt
zu tun hat. Der heutige Begriff von Intelligenz richtet sich nur auf
eine institutionalisierte Definition, nicht auf Welt und Leben. Mit dem
kulturellen Bruch seiner Jugend aber wurde auch diese neue Form von
"Intelligenz" allgegenwärtig. Endgültig wurde im letzten Jahrzehnt die
alte Form von Geist erledigt und zum Verschwinden gebracht.
Aber
Waters war nicht zufrieden. Was da vor sich ging in der Welt blieb ihm
ein Rätsel. Also begann er in den 1980ern und 1990ern erneut zu suchen.
Und stieß in Ratzinger und Johannes Paul II. erstmals auf einen anderen,
ihm neuen, vernunftbetonten und vernunftbasierten Katholizismus, der
sich von dem bloß frommen, den er kannte und der ihm in seinem
anti-intellektuellen und die Welt draußen lassenden Affekt nicht gerade
attraktiv erschien, völlig unterschied. Nach und nach entdeckte er
stattdessen, daß der Katholizismus auch diese neue Welt zu begreifen
half. Ja erst in seinem Licht begann er zu verstehen, was er in der Welt
und Irland erlebte.
Früher
hatte er den Katholizismus für ein Gebäude von Regeln und Vorschriften
gehalten, das eine Clique alter Männer über die Menschen verhängt hatte.
Nun begann er ihn als tiefes geistiges, konsistentes, großartiges
Gebäude, der Verfaßtheit der Welt in toto zu begreifen, von dem
ihm nach wie vor viel noch nicht klar ist, auf welche Klärung er aber
mit immer mehr Vertrauen auch warten kann, weil er deren Lösung in der
Kirche ahnt. Denn Zeit spielt im Erkennen eine immense Rolle.
Keinesfalls ist ihm heute die Kirche diese Art von Desaströsität, als
die er sie in seiner Jugend bzw. im Licht der "neuen" Kultur gesehen
hatte. Aber um das zu sehen, hat er lange gebraucht.
Auch
um zu sehen, wie eng linke, liberale Ideen von Gerechtigkeit mit dem
Sozialismus verbunden sind. Dabei war er lange noch ebenso ein
links-liberaler Denker, dem die pro-life-Bewegung etwa suspekt war. Bis
er allmählich sah, daß hinter der Abtreibungsfrage ein völlig anderes
Begreifen von Leben stand. Als er sich damit an seine frühere (linke,
liberale) Kollegenschaft wandte, erlebte er aber eine seltsame Reaktion
der Ablehnung. Mehr und mehr erkannte er sogar, daß dort von Anfang an
eine Zielsetzung am Werk war, die auf eine Neubewertung der
Homosexualität abzielte. Und das ging von der Verantwortung seiner
Tochter gegenüber aus, die er in ihren Schulen und Einrichtungen mit einer
ständigen ideologischen Erziehung konfrontiert sah, die allem
bodenständigen Verstehen widersprach.
Zumal
er selbst mehr und mehr den Wert der Tradition erkannte. Selbst im
Torfstechen, wo er und sein Bruder die alte Methode des Abhebens von
Hand wählten, wofür sie von allen Nachbarn verlacht wurden, die längst
mit riesigen Maschinen die Torflandschaften auszuheben und zu zerstören
begonnen hatten. Aber genau diese neue Art zu denken, alles in abstrakte
Vorgänge umzubrechen, ohne Rücksicht auf irgendetwas, war auch die
Basis des kulturellen Umbruchs. Dort ging alles an Verbundenheit und
Verantwortung, also Verwurzeltheit verloren, und wurde zum bloß
intellektuellen Ding, zu dem man sich persönlich nicht stellen mußte.
Mehr und mehr begann er auch seine Verbundenheit und Liebe zu Irland,
seinen Menschen, dem Boden neu zu erfahren. Aus dem Linksliberalen wurde
ein Traditionalist, der überall den Finger seines Vaters im Rücken
spürte. Und wo immer er Vernunft erlebte, war sie in der Tradition
bereits enthalten.
Morgen Teil 3) Als er zur Kirche zurückkehrte, fand er keine Kirche mehr
*061219*
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