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Donnerstag, 14. Januar 2010

Die Bewahrung des Ethischen

"Der Mythus existiert nicht absolut, sondern nur durch die Vorzeichen seiner musischen Prägung. Er ist Kult oder er ist Poesie; unabhängig von beiden "ist" er gar nicht, ist er eine vom einen oder andern her konstruierte theoretische Abstraktion, und im Epos nackter Literaturstoff, religiös und dichterisch und darum auch ethisch indifferent bis zur höchsten Pracht und bis zur furchtbarsten Gefährlichkeit.

Was in den Chor zugelassen die nationale Menschheit vor die nationale Gottheit begleiten soll, muß seine Ehrenprobe bestanden haben. Die Heldensage ist zugleich der Ehrenkodex des althellenischen Edelmannes, an Rechtschaffenheit und Mißschaffenheit, Treue und Frevel gegenwendig entwickelt. Der Preis der Zucht ist keine späte humanisierende Sittigung einer archaischen Fürchterlichkeit, sondern selber ein archaisches, ein urältestes Stammeserbe, erhalten in der Adelsgesinnung, im überlieferten und angeborenen Adelscharakter, und in seinen beiden Bewahrungsformen, Kult und Chor. 

Die blöde Menge hat ihren dumpfen Aberglauben, ihre Fetische, Greuel und Götzen, und und, darüber hingebreitet, die sie unterhaltende und zersetzende Spielmannsmaere, mit dem rasenden Achill und dem schlauen Odysseus: keinen von beiden bringt die Muse von Althellas vor Zeus und die Ahnen."

Rudolf Borchardt, in "Pindarische Gedichte", über das liturgisch-kultische, mythische Wesen der Poesie, als Ort der Kontinuität wie Entwicklung der Kulturhöhe eines Volkes, und insofern ethische Qualität.




*140110*