Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 16. Januar 2010

"Mach Platz und laß mich jetzt!"

Das ist der Leitspruch, der die Wahlen in Haiti seit Jahrzehnten bestimmt, schreibt der deutsche Journalist und Haitikenner Hans Holz. "54 Prozent der Haitianer leben heute von weniger als einem Dollar pro Tag." Es gibt seit Jahrzehnten, zumindest, keine funktionierende Regierung mehr, Diktaturen natürlich mitgerechnet. Wer an die Macht kommt rechnet fix damit, den Stuhl bald wieder räumen zu müssen, ins Ausland fliehen, bis dorthin muß er seine Schäflein ins Trockene gebracht haben. Alle Beschreibungen zeigen, daß es um nacktes Überleben, um würdelosestes Elend - nicht um einfach: Armut - geht.

Die Hilfskonvois sind, nach mehrfachen Berichten, kaum in der Lage, rasch zu helfen, sitzen am Flughafen, sitzen an der Grenze fest, wo sie zeitaufwendig und mühsam wegen geforderter Bestechungsgelder verhandeln müssen. Dadurch sterben viele zusätzlich, denn Zeit spielt eine große Rolle: aus kleinen Verletzungen werden große, aus großen tödliche. Es gibt kein Wasser, keine Nahrung, Verschüttete können nicht geborgen werden, kommen um. Tote werden nicht mehr von ihren Angehörigen identifiziert, man spricht bereits von fallweisen Verbrennungen, um den unerträglichen Leichengestank aus den Straßen zu bringen. Wieviele Tote es sind kann niemand derzeit einschätzen. 100.000. 200.000 ... Die Überfüllung der Hauptstadt Port au Prince, bedingt durch den Niedergang der Landwirtschaft, hat die Folgen dieser Katastrophe noch drastisch verschlimmert, zumal in den Hanglagen, wo viele durch Hangrutsche und herabstürzende Gesteinsbrocken ums Leben kamen.

Haiti war bereits bisher der ärmste Staat der westlichen Hemisphäre, ja das ärmste Land der Welt gewesen. Und ein Land ohne Hoffnung. Dabei war es seit seiner Gründung ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit aus Kolonialherrschaft: 1804 war es das erste Land Amerikas, das durch eine Sklavenrevolution unabhängig wurde, und das dann selbst Napoleon militärisch trotzte. Die Haitianer gelten als kraftvoll und voller Überlebensenergie ... "Sie hätten sonst kaum bisher überleben können," meinen langjährige Beobachter, denn auf Haiti überleben zu können sei alleine ein Kunststück.

Die Geschichte Haiti's ist eine einzige Abfolge von Tyrannei, Unterdrückung, und brutaler Bereicherung. Die Regime der letzten Jahre - alleine seit 2004, seit die USA nach dem Sturz des vorherigen Präsidenten "Aristide" den Regierungen "unter die Arme greifen", waren es bereits sechs - sind obligatorisch unfähig und korrupt, dazu stets auch am Gängelband des CIA, auch wenn die UNO-Blauhelme, die seit 2004 im Land sind, allmählich für gewisse Sicherheit im Inneren sorgen.

Durch die politische Unsicherheit fehlte es aber völlig an ausländischen Investoren, zudem fehlt es völlig an notwendigster Infrastruktur. Anders als beim Inselnachbarn Dominikanische Republik, wo wenigstens Tourismus etabliert werden konnte.

Nationale Güterproduktion gab es in den letzten Jahren kaum noch. Die Arbeitslosigkeit ist extrem, die Abhängigkeit von Importen enorm, auch bei Lebensmitteln. Nur noch etwa 1 Prozent der Fläche sind, durch jahrhundertelangen Raubbau, mit Wald bestanden, die landwirtschaftlichen Flächen sind ruiniert, Strukturen nicht mehr vorhanden. Erosion, aber vor allem Monokultur hat die Böden unfruchtbar gemacht, ein Problem das nur langfristig überhaupt zu bewältigen wäre. Mit daran schuld: die USA, die Haiti zur Öffnung des Lebensmittelmarkts zwang, und mit seinen landwirtschaftlichen Überschüssen den lokalen Bauern den Rest gab.

Das war alles aber schon VOR diesem gigantischen Erdbeben bekannt. Erst vor wenigen Jahren hatten schließlich die USA ihre Politik geändert.

Dann kam der Wirbelsturm, der enorme Verwüstungen anrichtete.

Aber tatsächlich: Haiti zeigte trotzdem erste Anzeichen von Besserung, ein zartes Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent war 2009 zu verbuchen.

Da kam nun das Beben.

Erstmals seit Jahrzehnten dürften amerikanische Flugzeuge mit Hilfsgütern kubanisches Territorium überfliegen. Eine Reportage, ebenfalls auf HR2, läßt einen Wissenschaftler zu Wort kommen, der erklärt, daß sich im Laufe der Evolution der vordere Hirnlappen gebildet habe, wodurch sich die Gattung des homo sapiens von anderen Gattungen grundlegend unterscheide - weil seither dort alle moralischen Entscheidungen abliefen, die den Menschen wie auf Leiterbahnen zum Guten - oder, bei Evolutionsstörungen, zum "Schlechten" - brächten. Als ich auf SWR2 schalte, höre ich eine Reportage über Istanbul, in der die nette Frauenstimme, die im Off spricht, alle zwei Minuten bemüht nebenher erzählt, daß Istanbul nicht anders wäre als Paris, London oder Berlin. (Sodaß ich mich wirklich frage, warum man dorthin fahren sollte.) Ich erinnere mich an einen Bericht im Reader's Digest, irgendwo habe ich den wohl noch, aus den späten 1970er Jahren, in dem man über den wahnsinnigen haitianischen Diktator "Baby Doc" groteske, mehr noch: grauenhafte Geschichten berichtet hat.

Die Evolution hat ihn wahrscheinlich weggespült. Wie kann man auch nach Haiti ziehen.

Die Grünen protestieren, daß am Meldeschein nun auch die "eingetragenen Partnerschaften" auftauchen (das sei Diskriminierung - was wollten sie denn?), die deutsche Familienministerin Köhler (CDU) erzählt in allen Medien, daß Homosexuelle nicht nur sehr wertebetont leben könnten, sondern oft sogar sehr konservative Werte hochhielten, während Alfons Haider seit Tagen in jeder Zeitung dasselbe sagt - daß in Österreich, diesem Scheißland, lauter Schweine wohnten (die man am besten was sollte?) die nur darauf lauerten, seine Mutter grün und blau zu schlagen, weil er schwul sei.

Ein weit unterschätztes Problem ist in Österreich: die Langeweile. Darüber werde ich noch schreiben, nehme ich mir vor.

Nach alledem auf Haiti.




*160110*