Nietzsche ("Die Geburt der Tragödie") erklärt aus religiösem, kultischem Enthusiasmus heraus das Enstehen der Tragödie, und Rohde ("Psyche - Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen") - im Verwandeln des eigenen Wesens, das Entstehen des Schauspiels.
Das genügt Alfred Bäumler nicht. Der, wohl richtig, dahin interpretiert, daß die Darstellung ja, aus dem religiösen Verständnis der Griechen heraus (siehe unter anderem Kerényi) dem Toten selbst galt, der immer als vom Jenseits her noch wirksam vorgestellt war, der sich nun daran erfreute - und der, als Schatten, im aktualisierten Mythos, aus dem Grabe heraus (man trug Masken!), zu den Menschen sprach. Fern von plumper Empirik (aber auch von einfach ästhetischem Denken) wurden diese Toten überhöht, der Erde entrückt - wie sonst?
"Jeder Gedanke an die Erscheinungen des täglichen Lebens muß versunken sein, wenn man Agamemnon, Orest, Oedipus, Aisa, Antigone wirklich verstehen will" meint Bäumler.
Als, im Schauspieler, aus dem Grabe beschworene Helden.
Als, im sakramental geweihten Priester, lebendigen Jesus Christus, Gott und Mensch.
Da vertrug es keinen empirischen Menschen des Alltags (als Schauspieler), um die objektivierte, gereinigte Idealität des Helden darzustellen. Dieser Realismus hatte höchstens in der Posse Platz.
In der Tragödie wird die Dichtung in ihrer letzten, und dabei: ersten, tiefsten Möglichkeit genommen: Dichten heißt Tote beschwören. Durch den Schauspieler. Weshalb der Schauspieler ein Beruf mit ungeheurem Ernst war, denn gleich war seine Darbietung Schändung des Toten, statt heiliger Dienst. Lästerung, anstatt Gebet.
Die Darstellung eines Lebenden, einer lebenden Geste des Alltags, erregt zwangsläufig Lächeln, und ist auf eine Weise immer deshalb Nachahmung.
In der Tragödie aber kam es zur Verkörperung, zur Incarnation des Heros.
*270110*