Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 9. Januar 2010

Eine etwas andere Art

Als ein an Höflichkeiten kaum zu überbietender "Krieg", der eben erst gar kein Krieg sein sollte und schon gar keiner zwischen England und Frankreich, begann 1627 zwischen englischen (die Hugenotten unterstützen wollenden) angelandeten Truppen unter dem Großadmiral und Herzog von Buckingham, sowie königlich-französischen Truppen unter Herzog Toiras, auf der "Isle de Re" der Kampf um das hugenottische La Rochelle. Um das herum Truppen des Königs "friedlich" lagerten. Der dann noch so furchtbar enden sollte.

Als die englischen Truppen das Hauptfort der Insel, St. Martin (Bild: der heutige Ort), belagern, den Rest der Isle de Re einstweilen links liegen lassen, bitten die Belagerten, drei verwundeten Edelleuten freies Geleit zu gewähren, damit sich diese auf ihren Schlössern kurieren können. Buckingham gewährt nicht nur die Bitte, sondern die drei Franzosen werden in einer mit Purpur ausgeschlagenen Schaluppe mitten durch die englische Flotte geführt, Musikanten an Bord spielen heitere Sarabanden. Ein Trompeter und ein Mann bringen hieraus zwei englische Geiseln in des Herzogs Lager; Buckingham schenkt den beiden Franzosen 50 Pistolen in Gold. Toiras läßt sofort vier englische Gefangene frei und schenkt jedem von ihnen sechs Pistolen.

Buckingham (im Portrait von Rubens) läßt nun durch einen Parlamentär die Übergabe der Festung verlangen. Toiras schickt ihn mit stolz abschlägiger Antwort und mit Geschenken beladen zurück. Im Gespräch hat er den Engländer gefragt, ob es noch Melonen auf der Insel gebe. Nach einer Stunde bringt eine Ordonnanz des Herzogs dem Kommandanten der Festung ein Dutzend dieser Früchte, er geht nicht mit leeren Händen weg - zwanzig Goldstücke hat er von Toiras erhalten, und am nächsten Tag treffen bei Buckingham, vom späteren Marschall Ludwigs XII. gesandt, sechs Flaschen Orangenblütenwasser und zwölf Dosen mit Puder von Cypern ein.

Aber nicht daß der Kampf aufgehört hatte; man wußte zu sterben. Besonders die französischen Adeligen taten sich dabei hervor - das letzte Refugium der Ehre und Sinnerfüllung, das ihnen im verlorenen Kampf gegen den Zentralismus blieb: die ars moriendi, die Kunst zu sterben. Und über fortlaufenden Beschuß hinaus, beginnen die Belagerer ihre Maßnahmen zu verschärfen.

Schließlich hat die Höflichkeit scheinbar doch ein Ende: Die Engländer sammeln die Bevölkerung der Ortschaft St. Martin und treiben sie vor die Tore der Festung; wer umkehrt, wird erschossen. Toiras und seine Soldaten haben Mitleid, man läßt sie ein. Ein paar hundert Hungrige mehr befinden sich nun in der Festung. Das Wasser beginnt knapp zu werden. Die Ziehbrunnen sind bewacht.

Am 30. August 1627 übersendet Buckingham ein Ultimatum: "Da ich Sie nicht größeren Unannehmlichkeiten aussetzen möcht, biete ich Ihnen und der Garnison ehrenvollen Abzug ..." Er setzt fort: "Ich würde es überaus bedauern zu den äußersten Mitteln greifen zu müssen, die ich in Händen habe." Und er zeichnet als Toiras' untertänigster und gehorsamster Diener.

Dieser antwortet: "Euer Durchlaucht Courtoisien sind der ganzen Welt bekannt, und da sie von so viel klarem Urteil begleitet sind, so müssen vor allem diejenigen auf Sie rechnen, die rechtschaffene Taten vollbringen; nun kenne ich keine besser als die in seines Königs Dienst sein Leben zu lassen ..."

Buckingham aber hat keine wirklichen Mittel, und er muß vor dem Winter die Belagerung abschließen, um La Rochelle zu entlasten, für das die Lebensmittelsituation nun allmählich knapp wird. Auch wenn immer noch kein Krieg erklärt war - und Richelieu vor allem auf die Karte der inneren Spannungen bei den Hugenotten setzte, sowie auf jene der Vermeidung der Feindschaft mit Spanien (und dadurch dessen Allianz mit England), wozu er gegen England "leidend", nicht "macht-aggressiv" bleiben mußte.

Buckingham verständigt sich mit Toiras, und sie beraten sich - und senden gemeinsam (und geheim) jeweilige Unterhändler zum König, der nur den Franzosen zu sich vorläßt. Aber unter dem Einfluß von Richelieu schlägt er jede Verhandlung ab. Zurück auf der Insel, läßt Buckingham den Offizier - den er in Besitz geheimer Unterweisungen des Königs für die Belagerten wähnt - nicht mehr in die belagerte Festung. Er wird offiziell gefangen genommen, aber aufs höflichste behandelt, und speist täglich an der Tafel Buckinghams. Die von La Rochelle zunehmend unterhalten wird - die Stadt versorgt die Engländer, und fürchtet zunehmend, bald selbst Not zu leiden. Richelieu läßt nun sogar einen gewaltigen Damm ins Mees aufschütten, der jede Versorgung von See her unmöglich machen soll.

In der Festung St. Martin nimmt freilich ebenfalls der Hunger zu. Seuchen brechen aus, und Toiras kann knapp eine Revolte, die aufzugeben verlangt, niederschlagen. Er hat nun nur noch ein Drittel der ursprünglichen Mannschaft, aber die ist zu allem bereit: selbst Todkranke schleppen sich noch an die Mauern, geben drei, vier Schuß ab, um dann zu sterben ... während die Engländer Angriff um Angriff führen.

Es gelingt schließlich Toiras, einen (von drei) schwimmenden Boten (einer ertrinkt, einer wird gefangen) mit einer in einer Bleikugel eingeschmolzenen Botschaft an Richelieu (die bei Gefahr nur losgelassen werden muß, um unwiederbringlich zu versinken) durchzubringen: es geht um Tage, dann muß man St. Martin aufgeben. Toiras gibt nun auch wirklich vor, am 8. Oktober 1627 die Festung zu übergeben, am Vortag wird mit Buckingham alles bereits ausverhandelt.

Der Kardinal reagiert richtig und energisch, und in der Nacht vor der "Übergabe" werden 46 Schiffe, zum Teil mit eilig eingeschulten Landsoldaten bemannt, weil hugenottische Matrosen den Dienst gegen ihre Glaubensgenossen verweigern, losgeschickt. 17 gehen in Ablenkungsabsicht "absichtlich" den (nachlässigen, weil siegesgewissen) Engländern in die Sperre, die sie mit ihrer Flotte (und Seilen) gezogen haben - aber 29 kommen durch, versorgen die Festung mit Nahrung und Munition. Als die Engländer morgens zur Festung ziehen, um die Übergabe vorzunehmen, winken ihnen die Franzosen mit Truthähnen und Hühnern auf ihren Lanzen und Degen von den Festungsmauern.

Die Engländer stürmen entnervt, aber die Franzosen verteidigen sich so geschickt, daß es ein Gemetzel unter Buckinghams Soldaten gibt, die sich zurückziehen und die Festung weiterhin nur belagern. Zwischenzeitlich erfährt Buckingham, daß gegen ihn - der sich unsterblich in die französische Königin, die Habsburgerin Anna von Österreich, verliebt und ihr in den Jahren zuvor auf kaum faßbare und offene Weise den Hof gemacht hat - längst in London intrigiert wird.

Die Nerven reißen nun im bislang aufreizend "unkriegerisch" belagerten La Rochelle: man eröffnet das Feuer, und während man an dem englischen König wieder um Hilfe schreibt, schwört man im selben Brief die Treue zum französischen König, der ... mit seinen Truppen vor den Toren der äußerst stark befestigten Stadt liegt.

Weil die Engländer aber - es ist bereits November 1627 - offenbar keine Unterstützung von England aus zu erwarten haben, La Rochelle ihnen nichts mehr liefern kann, sie sich völlig isoliert wähnen, keine weitere Initiative setzen die Insel vollständig in ihre Gewalt zu bekommen, ja Anzeichen zeigen abzuziehen - sie schütten die Belagerungsgräben mit ihren Leichen zu, die sie nicht einmal mehr begraben -  beschließen Franzosen unter Leitung des deutschen Marschalls Schomberg heimlich überzusetzen, und bei gleichzeitigem Ausfall des Forts, greifen sie die Engländer an. Es gibt eine vernichtende Niederlage für Buckingham, die Blüte des englischen Hochadels ist unter den 1800 an einem Tag gefallenen Briten, deren Flotte - zu der Zeit die mächtigste der Welt - voll mit Verwundeten zurückkehrt und ... unterwegs dem Hilfsheer begegnet. Aber es ist zu spät: man hätte nicht einmal genug Proviant, um zurück in den Kampf zu ziehen.

Toiras wird hoch dekoriert, leidet aber unter Neid und Eifersucht. Als er für einige seiner Offiziere, die sich im Abwehrkampf verdient gemacht haben, Beförderungen verlangt, antwortet ihm der königliche Groß-Siegelbewahrer: "Sie haben sich großartig geschlagen, aber es gibt in Frankreich 500 Edelleute, die in der selben Lage sich nicht anders benommen hätten."

Toiras antwortet darauf: "Frankreich wäre sehr zu bedauern, wenn es nicht 2000 Männer aufbringen könnte, die fähig wären das zu leisten, was ich vollbracht habe. Aber wissen Sie ihm Königreich nicht 4000 Männer, die das Amt des Siegelbewahrers ebenso gut verwalten würden wie Sie?"

Das erschütternde Drama um La Rochelle freilich dauerte noch ein weiteres Jahr.  Wo eine eigene Pioniereinheit der Franzosen Wochen brauchte, um die Toten zu bestatten.




*090110*