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Freitag, 8. Januar 2010

Und trinken auch noch den Kakao, durch den wir gezogen

Die Wahrheit ist auf jeden Fall, wo sie sind - das zu erreichen, waren sie ausgezogen, die 68er-Generation, die Generation der Muttersöhnchen, die zu schwächlich und zu charakterlos waren, um sich gegen die "Lodenträger" durchzusetzen, in der wirklichen Welt zu behaupten. Also entwerteten sie sie, also diffamierten, also verleumdeten sie alles, was ihnen entgegenstand, Denken war längst zu bloßem Agitieren geworden, und - trafen auf Menschen, die noch genug Anstand hatten, sich selbst zu relativieren, die mit solcher Perfidie nicht rechneten und die sich deshalb alles aus den Händen nehmen ließen. Die von Ansätzen ausgingen, die von sich auf andere schlossen und die danebenlagen. Denn mit dieser Charakterlosigkeit, die ihnen fremd war, hatte man niemals gerechnet.

Nun treten sie erneut auf, vollmundig, die damals alles entwerteten, um neue Welten zu entwerfen, dabei aber nur einer fatalen Strategie folgten: mit der sie dem anderen ausredeten, daß das, was er in Händen hielte, Wert hätte, die andere anhielten, denn Recht war, wo sie waren, nur sie hatten Interpretationsrecht auf Wahrheit, es jenen aus Händen zu reißen ... um es selbst dann aufgreifen zu können, feige, hinterrücks, heimtückisch ... - um nun, pensionsberechtigt und satt vom vereinsamten Buffet mit seinen Gänseleberbrötchen und Hummerscherchen, mit hämischem Grinsen, das Fett trieft noch aus den Mundwinkeln - mit den alten Bruchstücken daherkommen und tun, als hätten sie das neu entdeckt, als hätten sie nun erneut Anrecht, ja wären gar die Verteidiger des Guten, Wahren, Schönen, das sie selbst schlecht redeten.  Und dabei nur erbeuten wollten.

Wie Usurpatoren also, wie Diebe, genau so lächeln sie, genau so reden sie. Und bringen den Mythos gleich selber mit, in dem sie sich selbst sahen, auf den sie hinarbeiteten, den sie lange schon in den Requisitenkammern unterm Tuch stehen hatten, erklären gleich, wie sie zu sehen seien - ach wie romantisch kann Eitelkeit doch sein! Wie künstlerisch und wertvoll!

Man MUSZ ihnen doch verzeihen!? Man DARF doch nicht erwarten, daß sie sich nicht nur entschuldigen, sondern vertrollen, in die Bußecke, und Sühne leisten?

Merkt niemand mehr, wie sie nun, in dieser Phase, alle diese, die auszogen, das große, wirkliche Theater zu machen (Gänsefüßchen sind schon müßig, in ihren Reden nämlich Standard), wie diese nun auftreten und große alte weise Herren spielen, und gleich die Gedenktafeln prägen lassen, die sie an den Institutionen, die sie einst angeblich auszogen, um sie zu zerstören, angebracht wissen wollen.

Kam es ihnen doch nur, NUR darauf an, damals, in den wilden Jahren, mein Gott, was waren wir wild ... die Jungen heute sind doch arme Würstchen dagegen.

Und wir nicken, trinken den Kakao, durch den wir jahrzehntelang gezogen wurden, und werden, wo wir alle Institutionen verloren und nur noch aktualistisch erhalten sollten, was jene uns mal gaben und heute geben wollen, - so lesen wir betreten, was sie sagen, was die Presse ehrfürchtig abmalt, um ihren eigenen Mythos endlich, endlich auch noch vernaschen zu können - was wird man im Alter nicht doch weise!?

Aber was war das doch noch? Irgendwas stimmt doch da nicht? Aus aus, mal Pause!


[...]
Suchen Sie in Berlin trotzdem noch verzweifelt nach einem neuen Wunderteam?
Peymann: Wir haben eine regelrechte Dramatikerschwemme, jedes Dorf hat seinen Literaturpreis. Soweit ich es kenne, viel Unterholz und wenig Wipfel. Nach dem Tod von Thomas Brasch, Heiner Müller und George Tabori ist es einsam geworden. Die junge Dramatik ist vor allem privat geprägt, es geht um die Abhängigkeit von Mami und Papi, die Probleme mit dem Pimmel... Das ist angesichts einer Welt in Flammen nur hilflos.

In „Richard II.“ wird raffiniertest das Problem von Macht und Legitimität gezeigt...
Peymann: Dieses Stück wird nicht oft gespielt. Wenn man einen großartigen Schauspieler hat, spielt man lieber gleich den „Hamlet“. „Richard II.“ ist ein überforderter Monarch, wie viele unserer Politiker auch überfordert sind mit ihrer Aufgabe. Die Schuhe sind zu groß. Das führt zu Skrupellosigkeit und Verbrechertum. Aber auch Richards Gegenspieler wird im Kampf um sein Recht zum Populisten und Verbrecher.

Bei Shakespeare wird implizit gefragt, ob man schlechte Herrscher beseitigen darf. Das war damals wahrscheinlich noch skandalöser, als daß Sie für die Zahnbehandlung des RAF-Mitglieds Gudrun Ensslin sammeln ließen. Wie reflektieren Sie Recht und Macht?
Peymann: Das ist eine verwegene Parallele. Aber ich bin kein Geistesmensch, der sich dauernd Gedanken macht. Ich reagiere intuitiv. Was das Theater meiner Generation betrifft: Wir sind aufgestanden gegen die Theaterpatriarchen, die mit Hitler ihr Auskommen gefunden hatten und in den Nachkriegsjahren eine harmlose Biedermeierlichkeit vertraten. Dagegen haben wir geputscht. Wir probten in den Sechzigerjahren die Mitbestimmung, in Berlin, Frankfurt, Zürich. Daß wir am Ende selbst – und ich bin vielleicht das krasseste Beispiel – zu Patriarchen geworden sind, ist der besondere Witz. Manche sehen in mir einen Diktator. Ich gebe zu, ich habe keine Hemmungen, Entscheidungen zu fällen: Zu entscheiden, wer welche Rolle spielt, welches Stück auf den Spielplan kommt, wer welche Gage bekommt. Dennoch sind alle Entscheidungen kollegiale. Das Team! Aber einer muß entscheiden, wie in der Familie. Das Experiment der Mitbestimmung ist leider schiefgegangen. Kunst ist eben sui generis undemokratisch.

Die Sechzigerjahre sollen rebellisch gewesen sein. Sie wurden damals Regisseur. Warum?
Peymann: Zufall! Eitelkeiten und jähe Erfolge! Ich habe im Studententheater eine Inszenierung gemacht, weil ein Regisseur erkrankte. Die hat dann alle Preise gewonnen. Man schrieb Hymnen über mich: Peymann der Shootingstar. Mein Lebenstraum war eigentlich schreiben, Stücke, Romane: Briefe an die Welt, so wie von Hemingway, Thomas Mann oder Proust. Aber dafür bin ich wahrscheinlich zu blöd. Ich habe gern Leute um mich und fürchte die Einsamkeit.

Was sind also Ihre Vorzüge?
Peymann: Meine Lust ist es, Menschen zu verführen. Jeder Schauspieler braucht seinen eigenen Weg: Der eine will an die Hand genommen werden und alles genau wissen, der andere braucht völlige Autonomie. Das ist das Reizvolle an einer Neuinszenierung wie jetzt bei „Richard II.“ – mit einer Vielzahl sehr unterschiedlicher und komplexer Charaktere zusammenzukommen, jeden Einzelnen zu verführen und alle auf eine gemeinsame Idee zu vereinigen. Regisseure sind Verführer und Vergewaltiger.

Sie reden wie ein exzessiver Mensch. Was sind für Sie die orgiastischen Momente am Theater?
Peymann: Beim Liebesakt spielt Perfektionswahn keine Rolle. Man kommt – hoffentlich – gemeinsam zum Genuß. Probenarbeit ist stark von der Angst beeinflusst, das Ziel zu verfehlen. Man hat mich unlängst nach der Aufführung von Bernhards Dramolett „Claus Peymann kauft sich eine Hose“, die umjubelt wurde wie ein Popkonzert, gefragt, ob ich jetzt glücklich wäre. Hab ich gar nicht gemerkt! Ich hatte die Hosen voll auf dieser rasenden Flucht nach vorn. Gut, ich bin Laienspieler. Dieser Kampf gegen den famosen Beil, der meine Sekretärin, meinen Dramaturgen und meinen Lieblingsdramatiker Thomas Bernhard gab, war eine Strapaze! Selbst das Verbeugen vor 500 glücklichen Gesichtern war mehr Wachkoma als Orgasmus.

So reflexiv ist auch König Richard.
Peymann: Richard II. ist ein Spieler, wie Bolingbroke. Auch heute noch folgt das Welttheater der Politik der Dramaturgie des Schauspiels: Wie täusche ich die Öffentlichkeit, wie lüge ich erfolgreich? Als ich hier Direktor war, hat mich der Obmann einer Partei im Nationalrat ernsthaft um Schauspielunterricht gebeten.

Wer ist für Sie politisch durchgeknallt?
Peymann: Da denke ich an unseren Jürgen Möllemann, der sich beim Fallschirmspringen umgebracht hat, oder an Euren Jörg Haider. Das sind die bunten Papageien, aber ansonsten ist die Politikerszene eher farblos.

Sie klingen zuweilen wie ein engagierter junger Idealist. Ist das nicht anstrengend?
Peymann: Ich bin spontan. Das erweckt vielleicht den Eindruck einer etwas vergilbten Jugendlichkeit. In uns Theaterleuten stecken große Kinder. Wenn ich zum Beispiel an den Peter Stein denke, der jetzt bei uns am BE arbeitet, an seinen Größen- und Perfektionswahn, dann frage ich nur, wen Thomas Bernhard mit dem Theatermacher gemeint hat – den Oskar Werner, den Peter Stein oder doch den Claus Peymann? Bei Bernhard wimmelt es nur von Verrückten. Der 90-jährige Tabori, der immer noch behauptete, er verstehe vom Theater nichts, zählt auch dazu. Man möchte das geliebte Kind bleiben. Die Schauspielkönige wie der Hörbiger oder der Minetti waren doch im Grunde nur liebesbedürftige kleine Jungs voller Angst. Vielleicht soll ja auch mein notorisches Herumschimpfen das Licht der Aufklärung nicht erlöschen lassen. Sind meine Kollegen denn anders? Wir tragen gemalte Kindergesichter und wollen immer weiterspielen. Die Hoffnung, daß meine Arbeit die Welt verbessert, selbst in diesem gewaltigen Burgtheaterkasten! Wenn es ein Irrtum ist, ist es ein schöner.

Ihrer Generation reagiert etwas herablassend auf Jüngere. Sind das Verletzungen?
Peymann: Das beruht auf Gegenseitigkeit. Als ich nach Berlin ans BE ging, sagte Thomas Ostermeier, der neue Leiter der Schaubühne: Auf dem Grab von Peymann wollen wir noch tanzen. Das hat mich verletzt. Als wir jung waren, sind wir auch gegen die Theaterpatriarchen angetreten. Aber es gab keinen Zweifel an den alten, großen Regisseuren wie Kortner, Gründgens, Noelte oder Hans Bauer. Heute herrscht das Geschmacksdiktat des Jugendwahns! Warum soll es nicht irgendwo auch einen Platz für die alten Meister geben? – Breth, Bondy, Stein, Wilson und Peymann, bis vor Kurzem auch Zadek, Schleef und Tabori, leider sind die tot. Mehr als fünf oder sechs herausragende Regisseure hat es in keiner Generation gegeben. So ist es charmant, dass Matthias Hartmann noch einmal so einen alten Knacker wie mich herholt. Vielleicht kommt er auf den Geschmack und engagiert bald auch Peter Stein.




*070110*