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Freitag, 15. Januar 2010

Nur freie Menschen wirtschaften



Sergej Petrow, der Gründer der mittlerweile größten russischen Autohandelskette "Rolf", nennt im Interview mit der Presse das wahrscheinlich prägnanteste Argument in einer pragmatischen Diskussion um Kommunismus/Marxismus und Fortschritt: "Ich glaube nicht an das chinesische Modell, das hat noch nie funktioniert." Früher oder später werde man auch dort die Marktwirtschaft wieder beschränken. "Man kann zwar imitieren. Aber nur freie Menschen bauen einen Mercedes." Und er gibt interessante generelle Einschätzungen zur Lage in Rußland. Petrow gab vor zwei Jahren die Aktien an seinem Unternehmen ab, und sitzt seither als Abgeordneter der Partei "Gerechtes Rußland" in der DUMA, dem russischen Parlament.

Der ehemalige Mitarbeiter des vormaligen KGB (ehem. sowjetischer Geheimdienst; Anm.) - mit dem er aber in Konflikt geriet - beweist, aufbauend auf dem so typisch russischen, fast schon zu trocken-nüchternen Realitätssinn, auch sonst bemerkenswerten Reflexionsstand, wie u. a. auf dieser Seite erfahrbar ist. "Menschen in einem Unternehmen müssen wissen, daß sie und ihr Unternehmen eine Sendung haben. Nur die allerwenigsten Menschen arbeiten primär wegen des Geldes."

„Die Presse“: In zwei Jahrzehnten freier Marktwirtschaft in Russland wurden Unternehmer erst von der Mafia behindert, ab dem Jahr 2000 von milliardenschweren Geheimdienstaufsteigern unter den Beamten. Wann war der Widerstand stärker?

Sergej Petrow: Viele Unternehmer behaupten seit 2000. Die Mafiosi hielten zumindest ihr Wort.

„Die Presse“: Sie schossen aber auch.

Petrow: Ich teile ja die Einschätzung meiner Kollegen nicht. Heute kann man immerhin Beschwerde einlegen. Aber in den Neunzigern wurde die Grundlage für jene marktwirtschaftlich orientierten Firmen geschaffen, die nun 30 Prozent der Wirtschaft ausmachen. Jetzt fahren sie ihre Aktivität zurück. Damals gab es noch Aussicht auf Verbesserung.

„Die Presse“: Fehlt diese Perspektive heute?

Petrow: Die staatlichen Institutionen werden wieder schlechter. Die Gerichte waren in den Neunzigern zwar auch nicht frei, aber es besserte sich. Bis Putin die Gerichte den neuen Machthabern unterwarf. Wenn Menschen mit solchen Vollmachten beginnen, Richter zu lenken, was dann?

„Die Presse“: Was wiegt schwerer? Dass Öffnung und Demokratie von oben behindert werden oder dass die Nachfrage danach von unten fehlt?

Petrow: Freilich Letzteres. Im Übrigen heißt es, dass der Staatsmann, der nur den Willen des Volkes ausführt, kein Staatsmann ist. Er sollte dem Volk voraus sein und es ziehen. Putin aber fühlt vor allem den Zeitgeist und will ihn anführen.

„Die Presse“: Wundert Sie das, wo er doch beliebter ist als der junge Kremlchef Dmitrij Medwedjew, der zu Modernisierung und Liberalisierung aufgerufen hat?

Petrow: Das Volk will keinen Liberalismus. Putin ist noch der Liberalste unter den Geheimdienstlern. Gleichzeitig schart er Leute um sich, die täglich Entscheidungen gegen Liberalisierung treffen.

„Die Presse“: Die Wirtschaftskrise zeigt wohl auch Hardlinern Grenzen auf. Führt sie nicht zwangsweise zu Reformen?

Petrow: Es wird nicht zu Reformen kommen. Solange der Ölpreis erlaubt, Probleme zu vertuschen, bleibt Putin populär. Auf Medwedjews Aufruf zu Reformen reagiert außer einigen Liberalen niemand.

„Die Presse“: Sind die Unternehmer unsicher, auf wen sie setzen sollen?

Petrow: In Russland gibt es zwei Arten von Business: Jenes der Nomenklatur, das Putin unterstützt, und das der marktwirtschaftlich orientierten Unternehmer, die Stabilität suchen. Weil das Beamtentum immer stärker wird, nehmen Hass und Gereiztheit unter den Unternehmern zu. Nicht der Unternehmer ist bei uns König, der Beamte ist der King.

„Die Presse“: Sie sagten einmal, dass die russische Autoproduktion eigentlich nur noch eine soziale Funktion ausübe. Ist mit der Krise der Todesstoß gekommen?

Petrow: Pragmatische Leute denken so. Unsere Automanager wurden aber nicht zur Konkurrenz erzogen, vertrauen auf den Staat und werden fett. Die Betriebe werden von der Konkurrenz abgeschottet. Die Zwischenstellung zwischen Europa und Asien zwingt uns offenbar zu denken, dass wir es wieder auf die alte Weise probieren müssen.

„Die Presse“:
Mit dem Kauf von Opel wollte man doch einen neuen Weg gehen.

Petrow: Den sehe ich nicht. Know-how zu kaufen könnte prinzipiell funktionieren, aber nur, wenn etwa Opel der Käufer wäre. Die Frage ist, wie sich Know-How auf niedrigem Niveau implementieren lässt. Ein Beispiel: Bei uns erhält ein Mechaniker seinen Lohn prozentuell von der Rechnung, die er ausstellt. Er will daher logischerweise mehr reparieren als nötig. Um das zu ändern, stellt der Betrieb jemanden ein, der den Mechaniker kontrolliert und dazu anhält, nur nötige Reparaturen durchzuführen. Das Systemproblem bleibt ungelöst.

„Die Presse“:
Ist die Übernahme durch ausländische Autobauer die einzige Lösung?

Petrow:
Das ist eine Chance, reicht aber nicht. Wenn etwa Renault Avtovaz übernähme (hält heute 25 Prozent der Anteile, Anm.), dann stünden die Franzosen einer Gewerkschaft gegenüber, die dem Staat unterworfen ist. Und die so mächtig ist, dass sie den ganzen Betrieb zusammenhaut.

„Die Presse“: Ökonomen diskutieren die Möglichkeit eines chinesischen Weges für Russland. Politisch autoritär, aber dahinter eine blühende Ökonomie. Kann das gelingen?

Petrow: Nirgends ist das gelungen. Die chinesische Form ist nicht interessant; auch dort wird die autoritäre Regierung früher oder später den marktwirtschaftlichen Prozess bremsen. Man kann zwar imitieren. Ein Mercedes kann aber nur von freien Menschen gebaut werden.

„Die Presse“: Viele Unternehmer sitzen im russischen Parlament, wohl um Lobbying zu betreiben. Warum sind Sie Politiker geworden?

Petrow: Um etwas am Businessklima im Land zu verbessern. Sie glauben nicht, was man in der Duma erleben kann! Beamte erklären mir, dass die Unternehmer Feinde des Volkes sind und bestohlen werden müssen. Uns gelingt es immerhin, kleine Korrekturen bei Gesetzesanträgen anzubringen.

„Die Presse“: In Russland gilt es als offenes Geheimnis, dass Plätze in der Duma für Millionen Dollar gekauft werden. Wollte man auch von Ihnen Geld?

Petrow: Ja. Man ist davon ausgegangen, dass ich der Partei eine gewisse Hilfe leiste. Aber das ist kein Aufnahmeticket in die Duma. Es waren freiwillige Hilfen, etwa für eine Region, in der das Geld fehlte.




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