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Sonntag, 10. Januar 2010

Die lauten Ruf erklimpern

Künstlertum ist ein Lebensprogramm, und nur höchst sekundär eine Angelegenheit des Talents, wenn auch ohne Begabung undenkbar. Wer aber diesen Weg des "Mönchtums" (Zit. Doderer) nicht zu gehen bereit ist ... Hugo v. Hofmannsthal ließ sich nicht zufällig im Franziskaner-Habit begraben. (Er war Zeit seines Lebens Mitglied deren Dritten Ordens.) Wer nicht das Leben wirklich erforscht und durchlitten und überwunden hat, alles in den Dienst seiner Berufung gestellt hat, allem gestorben ist, um so alles wahrhaftig zu gestalten, wird (und wie erst sein "Werk") vom Wind verweht.

Sei mittelmäßig als Minister,
Als General, als Arzt, als Priester,
So bist du - was die mehrsten sind.
Sei mittelmäßig als ein Dichter,
So ist (die Nachwelt noch wird Richter!)
Dein Ruhm, dein Einz'ges - Spreu im Wind!
Und diesen Ruhm dir zu erstreben,
Mußt du von deinem kurzen Leben
Den schönsten Teil Gesängen [dem Eigenlob, der PR; Anm.] weihn.

Und bist du endlich durchgedrungen,
Hast deinen Namen [selbst! Anm.] groß gesungen
Und deine Pfleg' im Alter klein,
Was wird dir Ruhm und Nachruhm sein?
Glaubst du, der Dichter wird geboren?
Nein, Freund, der erste Funke nur,
Und, o wie leicht geht der verloren.

Ja hätte dir auch die Natur
Zu Iliaden Geist gegeben,
Du stirbst, ohn' Iliaden, hin,
Wenn du nicht durch das ganze Leben,
So wie Homer, mit offnem Sinn,
Die weite Welt und ihre Bürger,
Vom Grashalm bis zum Cederbaum,
Vom Hirten bis zum Völkerwürger,
Erforscht im Wachen und im Traum.

Wo nicht: Singst du vielleicht dem Ohr
Der Damen an den Toiletten
Von Grazien und Amoretten,
Von Venus und von Cypripor,
in feinen, reinen, kleinen, netten
Gesängen braven Schnickschnack vor.

Du kannst, gehüllt in blauen Dunst,
Dir freilich lauten Ruf erklimpern.
Denn, wie du siehst, ist manchen Stümpern
Dies eine federleichte Kunst.
Doch, nach Jahrtausenden, noch allen,
Wie Flaccus und Homer, gefallen,
Das hängt nicht ab von Mädchengunst. 

(L. F. G. Göckingk; 1748-1828) 




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