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Dienstag, 20. Januar 2015

Der Staat ist kein Lotteriespiel, mit Gewinnern und Verlierern

In seinen Erinnerungen erzählt Jakob von Uexküll von seinem Vater Alexander, der ein ausgemachter Feind der sogenannten Nationalökonomie war. Eines Tages war ein Nationalökonom zu Besuch in Reval, und es entspann sich nach Tisch ein Disput mit dem Vater. In dessen Verlauf der junge Gelehrte die Meinung äußerte, daß man aus gewissen nationalökonomischen Vorteilen den Zwischenhandel ausschalten müsse. 

Der Vater widersprach heftig: "Was heißt Zwischenhandel? Es gibt nur Zwischenhändler, das heißt kleine menschliche Existenzen, die auch ein Recht auf Leben haben."

"Wo gehobelt wird, fliegen Späne," sagte mit überlegener Miene der Nationalökonom.

"Ein Staat, in dem Mitbürger als Hobelspäne gewertet werden, ist selbst nur noch totes Holz," war die eindrucksvolle Antwort des Vaters.

"Aber Sie werden doch zugeben," ereiferte sich nun der junge Mann, "daß es die Aufgabe des Staates ist, selbst auf Kosten einer Minderheit die große Mehrheit seiner Bürger glücklich zu machen?"

"Der Staat ist kein Lotteriespiel," kam nun die zornige Antwort, "mit möglichst wenig Nieten, sondern ein Zusammenhang lebender Menschen, die alle das gleiche Recht - nicht auf Glück, denn Glück ist Privatsache - aber auf eine Existenzmöglichkeit haben. Daß das Wohl des einzelnen vom Wohl des Ganzen abhängt, ist eine Binsenwahrheit. Aber daß das Wohl des Ganzen vom Wohl des einzelnen abhängt - das vergessen die Nationalökonomen."




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