Teil 2) Wie aus einem Menschen plötzlich ein Heiliger wird
Und darauf weist auch Kardinal Newman hin. Der sogar darauf hinweist, daß eine explizite Formulierung ungenügend sein kann, und durchaus historisch wandelbaren Interpretationen unterliegt. Er zeigt es an zwei Beispielen. Etwa dem Zinsverbot, das nämlich ursprünglich dogmatisiert war. Um im 19. Jahrhundert eine bemerkenswerte Änderung zu erfahren: Wer es nämlich NICHT als unsittlich, sondern als gerechtfertigt sehe, Zinsen einzuheben, das sehr wohl dürfe.
Ähnlich
verhält es sich mit dem Satz "extra ecclesiam nulla salus" - außerhalb
der Kirche kein Heil. Er zeigt eine andere historische Wandelbarkeit
eines Dogmas, die von der Herangehensweise abhängt, in der sie gesehen
wird. Dieser Satz wurde ursprünglich nämlich streng positivistisch
gedeutet. Das heißt daß man damit ausdrückte, daß es UNBEDINGT notwendig
sei, Mitglieder Kirche, also getauft zu sein, um in den Himmel zu
kommen, um das Heil zu erlangen. Das hat selbst Zwangstaufen
gerechtfertigt, wenn man deren Geschichte nachgeht. Denn sie waren ganz
reale Instrumente der heilsvermittlung, wie auch immer die Reige der
Ahnungslosen und Strohköpfe der Gegenwart sie sonst deuten möge, die
sich guten Willen in seiner Abhängigkeit von Erkenntnis (die IMMER ein
historisches Gesicht hat) eben gar nicht vorstellen können.
Diese
Interpretation ist einem anderen Aspekt gewichen, bzw. wurde
aufgeweicht. Ja, es stimmt, etwas anderes kann die Kirche nicht sagen
als das, daß es außerhalb kein Heil gebe. Sie könne, sie dürfe, ja sie
müsse aber vermuten, daß Gottes Wege der Barmherzigkeit von uns Menschen
nicht erschöpfbar sind. Die Kirche MÜSSE zwar so sagen, und zar nicht
aus Pragmatismus, sondern weil sie nichts anderes sagen KÖNNE, denn nur
diesen Weg zum Heil kennt sie überhaupt, aber dennoch ist nicht
ausschließbar, daß Gott auch Heiden sein Heil schenkt. Wie immer dies
passieren möge. Dies freilich so zu deuten, daß deshalb auch Heiden
jederzeit das Heil hätten, wenn sie es nur wollten, würde aber schon
wieder falsch sein!
Wer
fassen kann, der fasse. An diesem Beispiel illustriert sich das Wesen
des depositum fidei, das weit weit tiefer ist als alle menschlichen
Worte es je zu fassen vermögen, und doch, und doch absoluter und
konkretes Urteil möglich macht, und genauso eine positive Formulierung,
ein absolutes Urteil NOTWENDIG macht, sonst kann sich erst gar kein
Urteil bilden. Wer fassen kann, der fasse.
Im
Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich dies etwa im Dekret "Nostra Aetate"
zum Ausdruck gebracht. Das wie sämtliche Konzilsdokumente "nur für sich"
keine Wahrheit ergeben. Sondern, wie in der Präambel zum Konzil
festgehalten, nur ... aus dem depositum fidei heraus interpretier- und
verstehbar ist. Wo sich also Einzelne auf Wortlaute kaprizieren, wollen
sie in Wahrheit eine ihnen genehme Interpretation. Kein Text ist "aus
sich heraus" verstehbar, kein menschliches Wort der Erkenntnis ist
absolut, also auch sein Geist, sein Vollzug. Es hat nur Analogie zum
Logos.
Ausschweifung?
Notwendige Ergänzung des Farbenrings, um das Ganze zu sehen? Der Leser
möge es selbst beurteilen. Fahren wir also fort.
Denn
was Newman ganz sicher gesehen hätte, wäre die Auswirkung, die die
Entwicklung der medialen Welt auf das Papstamt - unter dem Dogma der
Unfehlbarkeit - ganz real hat. Vergessen wir nicht: Bis noch vor 50
Jahren war das einzige, was der durchschnittliche Gläubige vom Papst
mitbekam, und zwar in seinem ganzen Leben, das eine oder andere
Predigtwort durch den Pfarrer, wenn überhaupt, oder das eine oder andere
blaßkolorierte Bildchen, das jemand von einem Rombesuch mitbrachte. Und
schon nur noch wer sich wirklich und mit Eigeninitiative interessierte -
das eine oder andere Buch mit Papstaussagen. Welcher Gläubige aber las
Enzykliken? Die hatten doch mit ihm sowieso nichts zu tun, denn er
glaubte ja. Und da sind wir wieder exakt bei Newman.
Führen
wir also nur die beiden Aspekte zusammen - die "Sanktifizierung",
"Dogmatisierung" von allem und jedem, was der Papst macht oder sagt, und
das Schaufenster, in dem seit Jahrzehnten, und mittlerweile in kaum
noch vorstellbar überbietbarer Weise jeder Papst steht, so erhellt sich
sehr vieles, was in den letzten Jahren immer konzentrierter zu
beobachten ist. Denn unter dem nunmehr explizit gemachten, und nicht
zufällig immer wieder und noch mehr explizit gemachten Licht einer
Unfehlbarkeit der Gestalten, der Personen, die Papst sind, wird der
Gedanke fast unausbleiblich, daß auch jeder dieser Päpste HEILIG ist,
und jeder dieser Päpste - weil Heiligkeit Vollkommenheit bedeutet,
zumindest hochgradige - auch in allem was er tut und sagt UNFEHLBAR ist.
UND DAS IST EINE HÄRESIE.
Morgen Teil 3) Wie eine unfehlbare Wahrheit zur Häresie wird
*160115*