Zufällig bin ich auf einen nie veröffentlichten Beitrag aus 2015 gestoßen. Der so einige Gedanken enthält, die vielleicht dem einen oder anderen Erhellung bringen. Deshalb setze ich ihn heute aufs Menu. Wohl bekomm's!
Die Agenda Austria, ein sich selbst "neoliberaler thinktank" nennender Verein von Journalisten und als Wirtschaftsfachleute bezeichnenden Mitarbeitern, schlägt nicht zum ersten mal vor, das österreichische Pensionssystem dem der Schweden anzupassen. Dort wird jedes jahr ermittelt, wie sich das durchschnittliche Lebensalter entwickelt (das seit vielen Jahrzehnten - statistisch, wohlgemekrt, statistisch! - steigt). Daraus wird hochgerechnet, wie viele Jahre in Pension verbracht werden. Und danach wird das zukünftige Pensionseintrittsalter neu bemessen. Was auf den ersten Blick "vernünftig" klingt (auch der VdZ dachte das vor einiger Zeit), ist aber bei näherem Hinsehen falsch. Warum?
Freilich, wir haben ein Pensionsproblem. Seit einigen Jahren, und von Jahr zu Jahr steigend, werden die ausbezahlten Pensionen in Österreich nicht mehr durch den Generationanvertrag abgedeckt.In dem die Alten von den Jungen erhalten werden. Vielmehr entsteht ein Loch, das aus dem allgemeinen Steuereinnahmen gefüllt wird. Und weil auch die nicht reichen, entspricht das jährliche Budgetdefizit sogar ziemlich genau diesem zur Pensionsauszahlung notwendigen Bundeszuschuß und wird deshalb mit Neukrediten "gedeckt".
Die natürlich auch irgendwann einmal bezahlt werden müsse, aber darum bekümmert sich die Politik vorerst einmal nicht, es stehen ja aktuellere Probleme an, irgendwann wird das schon einmal jemand lösen - weil lösen müssen. Nicht nur die gängigen heutigen Weltsichten haben also ihre ständig wachsende Zahl von blackboxes (virtuelle Schachteln, in die alles Ungelöste mit dem Vermerk hineinkommt: auch das werden wir eines Tages lösen; mit dem kleinen Schwachpunkt: kaum ein solches Problem wird tatsächlich gelöst; aber man hat ja die Zukunft ... und solange die Hoffnung da ist, ist diese Zukunft auch etwas wert), sondern (und wie sollte es anders sein) auch die Politik.
Doch haben wir es bei diesem Problem wie bei so vielen mit einem Problem zu tun, das nicht für sich zu lösen ist. Wie es der liberale Geist nämlich meint, der mit dem rationalistischen Geist, dem Geist, der alles auf Funktion umbricht, getreu dem zugrundeliegenden mechanistisch-ungeistigen (Geist ist dem Aufklärer gleich Bewußtsein und bewußte Ratio) Menschenbild der Aufklärung, auch alle menschlichen Probleme abstrahiert.
Das Pensionsproblem aber muß, weil es mit dem Menschsein selbst zu tun hat, in andere Zusammenhänge geschoben werden. Und wir können hier beileibe nur einige davon beleuchten, aber wir versuchen es. Denn Pension hat mit den Lebensaltern und -phasen des Menschen zu tun. Diese sind wiederum nicht posthoc (das faktische "Unten" sagt also, was es dann "Oben" sei), sondern präluminativ zu sehen. Das heißt: Menschliches Leben ist nicht in Funktionalitäten umzubrechen, um dann zu sehen, in welcher Lebensphase ein Mensch steht. Sondern die Gestalt geht dem Tun voraus. Diese Gestalt wiederum ist beim Menschen in Sinneinheiten, in Ganzheiten eingebettet. Was überspitzt soviel heißt wie: Nicht der körperliche Zustand eines Menschen sagt, ob er Junior oder Senior ist, sondern ... die Zahl seiner Jahre. Gewiß ist das nur ein gewisser Näherungswert, aber es ist im Großen und Ganzen so zu nehmen.
Konkret an Beispielen: Nicht jeder, der lernt, ist Student. Sehr häufig ist es ein Erwachsener, dem etwas Wesentliches zum Erwachsensein fehlt, und der nun meint, er könne eine Funktion nachholen UM andere Lebensfunktionalitäten zu erfüllen, indem er auch mit 28 oder 30 Jahren noch studiert, oder gar damit beginnt. Schon an diesem Beispiel könnten wir in diesem Text hängenbleiben. Denn an diesen Schluß hängt sich ein ganzer Rattenschwanz, der direkt mit der Pensionsproblematik zu tun hat. Das beginnt mit dem krankhaften Akademisierungswahn, der uns befallen hat, geht über daraus folgende völlig verfehlte weil an (staatlich relevante) Zahlen funktionalisierte Wirtschaftsstrukturen, die sich regelrecht zur unproduktiven Kopfgeburt eines damit überhand nehmenden Tertiärsektors umbaut, und geht nicht zuletzt hinein in den tief persönlichen Lebensvollzug jedes Einzelnen. Der gleichermaßen dazu erzogen wird, sich nicht mehr "in seinen Leib einzuhausen" (reflexiv formuliert, man beachte: SICH - EINHAUSEN), sondern sich in Scheinrationalitäten zu verlagern (die hier so oft thematisierte Pseudologie also). Scheinrationalität, die also nicht mehr von der Wirklichkeit der existentiellen Realität als Mensch ausgeht, sondern von einem Gedankenkonstrukt, das über die Welt gestülpt nunmehr das bestimmt, was man "sieht", also eigentlich "wahrnimmt". Weil dies mit dem eigentlichen Ich kollidiert, also nicht in dessen Takt schwingt, spaltet sich so ein Mensch.
Kürzen wir ab: Wir haben damit erreicht, daß die Lebensphasen der Menschen (scheinbar) ineinander verschwimmen. Die Jugend will nciht mehr in die Welt, sonden sie bleibt verschult, in Lernhaltung (die dem Alter immer schlagender widerspricht, also auch die Formbarkeit und damit das Lernergebnis inhaltlich weil strukturell verändert).
Das Alter will nicht mehr alt sein, sondern ein Leben führen, das wie eine wieder aufgenomene Jugend wirkt, sich also in genau demselben, wenn nicht sogar höherem Anspruchsniveau an die Dinge der Welt bewegt. Wenn es früher (und inmanchen Bevölkerungskreisen nach wie vor) hieß, daß das Alter genügsamer mache, weil es nun um die Auswertung der Lebenserfahrugn, das 'Erringen von Weisheit ginge, um so der Jugend und dem Erwachsenen das notwendige geistige Gerüst zu geben, damit sogar erst (!) eine Kultur weiterzuentwickeln (die vielgerühmte Innovationskraft ist also wesentlich von der Weisheit vorgängiger Generationen abhängig), so heißt es heute: leben, als hätte man zuvor nie gelebt. Die (monetäre) Pension wird damit als Anspruch, als wohlerworbener Anspruch gesehen, die diesen Lebenshunger finanzieren soll und muß.
Nun kommt ein nächstes Problem ins Spiel, das einmal mehr mit dem Sozialstaat sozialistischer Prägung zu tun hat - dem Auseinanderfall der zwischenmenschlichen Gebrauchtheitsverhältnisse. Der Sozialstaat heutiger Prägung hat ja das genaue Gegenteil zum Ziel als den Zusammemnhatl der Menschen. Er soll Menschen AUTONOMER machen. Wo diese Autonomie versagt, soll staatliche Alimentation einspringen, und zwar mit Rechtsanspruch.
Nicht nur umgeht man damit ein wesentliches Naturgesetz weil der Weltordnung, das die katholische Soziallehre "Subsidiarität" nennt, das heißt, daß die jeweils höhere Ebene dort einspringt, wo das untere Gestaltgefüge nicht mehr ausreicht. Das heißt daß, wer ein Lebensproblem hat, sich nicht mehr an sein soziales Umfeld wendet, um mit diesem zuerst einen Weg zu suchen - man geht nicht zur Bank um Geld, das man notwendig bräuchte aber nicht selbst erwerben kann, auch nicht zur Bank, sondern fragt zuerst den Bruder, die Schwester, den Vater oder die Tante, also die nächstliegende soziale Ebene. Damit zerreißen aber die sozialen Einheiten. Die wesentlich deshabl soziale Einheiten sind, weil ihre Mitglieder, ihre Teile, zueinander in Gebrauchtsheitsverhältnissen stehen. Soziale Gefüge kennzeichnen sich nicht durch Mitgliedsetiketten, sondern durch Schuldverhältnisse. Mitgliedsetiketten bedeuten die Zustimmung zu wechselseitiger Schuldverstrickung, im jeweiligen Rahmen halt, und längst nicht nur monetär gedacht.
Genau darauf zielt der Sozialstaat ab. Er will diese Schuldverquickungen lösen, um sie einem anonymen, pseudologische, also auf reiner Ratio, nicht mehr direkt erlebbaren Getriebe zu übergeben. Wer nun Geld braucht, geht nicht mehr zur Tante (und muß sich dafür rechtfertigen, lieb sein, ihr den Kaffee am Wochenende bringen oder den Rasen mähen, wenn sie Kreuzweh hat), sondern zum "Amt", zum "Staat". Der Sozialstaat ist sogar genau so entstanden: Er hat nach und nach sämtliche sozialen Funktionen übernommen und sogar bewußt an sich gerissen. Was ja für diePo9litik so gewisse Vorteil ehat, vor allem ein Volk produziert, das ihr ziemlich dankbar weil abhängig von ihr - nicht von der Tante, nicht vom Vater oder dem Bruder - ist. Das wird allen Ernstes den Menschen als Zugewinn an Freiheit verkauft! Warum? Weil es von den Bürden zwischenmenschlicher Verbindlichkeiten befreit, und somit sogar DIREKT zur Verantwortungslosigkeit erzieht. Denn die Verbindlichkeit dem Staat gegenüber, bei dem es sogar heute heißt, der Sozialnehmer selbst sei sogar der (also sein eigener) Souverän, dessen Wille alleine zähle, diese Verbindlichkeit ist nicht nru nicht erlebbar, sondern auch unverzüglich in RECHT UND ANSPRUCH umzuwandeln.
DAMIT (und natürlich auf vielerlei weiteren Wegen) wurde aus dem in der Zwischenmenschlichkeit verankerten Akt der Generationanfürsorge ein Akt des ANSPRUCHS. Der heutige Mensch lebt mit dem Gedanken, er HABE ANSPRUCH auf eine Pension. Was im moralischen Sinn irgendwie stimmen mag, wenn man es an den richtigen Ort verpflanzt, nämlich: ins Gewissen derjenigen, die diesen ANSPRUCH zu erfüllen hätten, kann aber nicht umgekehrt werden. In ein Recht verwandelt werden, das auch über den Staat einzuklagen wäre, ja das der Staat sogar als Anspruchserfüller übernommen hat, der die Macht hat, jeden zu zwingen, egal wozu.
Jedes Pensionssystem der Welt und der Geschichte - und der Leser würde vielleicth staunen, wie alt diese Idee ist, ja es hat sie offenbar sogar immer gegeben: Pensionskassen gab es schon im alten Ägypten, und auch in unseren Ländern, soweit die Forschung zurückzublicken vermag, als FREIWILLIGE Solidargemeinschaften unter Menschen oder Gruppen, die damit in gewisser Vorausschau künftiger Entwicklungen und Altersphasen in Solidarität untereinander vorbaute.
Es sind - und man sollte das den heutigen Menschen wirklich öfter einmal sagen - sämtliche Sozialstaatssysteme nur Generalisierungen jeweils in mehr oder weniger kleinem, privaten Rahmen entstandener Solidargemeinschaften, die aus wechselseitigen freiwillig oder per Geburt eingegangenen (=angenommenen) Verbindlichkeiten - Schuld - in freiem Impuls entstanden sind. Eine fundierte Rechtsgeschichte (wie etwa die des Emil Werunsky) macht das großartig nachvollziehbar.
Aber nicht einfach der körperliche Zustand war es, der zur Inanspruchnahme solcher Solidarleistung berechtigte, also die Schuldverhältnisse wieder umkehrte - wer vorher Gläubiger wurde, Geber, wurde nun zum Schuldner, zum Nehmer - sondern die Lebensphase. Wer "alt" war bestimmte nicht, ob sein Fuß klump oder nicht war, sondern eine gewisse Lebensphase, in die er gekommen war. Mit Lebensjahren hat man sie ungefähr festgemacht, denn sie entpsrachen auch dem uralten Erfahrungsschatz der Menschheit. Sie liegen in der Abstufung 20 - 40 - 60, also jeweils in 20er Schritten.
Selbst der Soldat - eine Lebensaufgabe, ein Beruf - verpflichtete sich für 25 Jahre, und erhielt als Pension ein Stück Land, genug Weinriede und genug Vieh, um sein Leben gut zu Ende leben zu können. Meist in einem Land, das Rom besetzt hielt, und wo die Römer zudem die oberste Bevölkerungsschichte waren. Die sich - in Sopron ist das bis heute sichtbar, der Südhang des "Löverek" war das Pensionsquartier der römischen Soldaten, und blieb bis ins 20. Jhd. die erste Wohngegend, das Viertel der "Besseren." Noch heute läßt sich das an den (zumindest individualistischeren, auf jeden Fall konservativeren) Charakteren der dortigen Einwohner erkennen, so sehr man den Löverek auch zu proletarisieren versucht hat. Und wer dort hinzieht, wird so, wenn er es nicht war.
Wirklich Alte - im Durchschnitt, also als Belastung für die Allgemeinheit - gab es aber in früheren Zeiten ohnehin wenige. Viele Frauen starben irgendwann im Kindbett, und die Männer taten nicht unbedingt alles, um unter der Küchenschürze jede Gefahr zu vermeiden, und blieben deshalb häufig am Schlachtfeld des Lebens liegen. Das Entscheidende war eben die Lebensaufgabe, die wiederum mit dem Alter angezeigt ist. Auch für die Gesellschaft als solche.
*141215* und *060222*