Was wohl die Geschichtsbücher einmal darüber sagen werden? Es gilt doch als eine der großen Errungenschaften der "leistungsbezogenen" Volksorganisation, die auf wundersame Weise auch die Besten "nach oben" bringt, das alte und ungerechte System der Hierarchie kraft Geburtsrechten abgelöst hat.
Früher galt, daß jemand dies oder das werden konnte oder wurde, WEIL er in diese oder jene Familie, als dieser oder jener Sohn bzw. Nachfahre geboren wurde. Und man empfand das als gerecht.
Heute? Heute wird man dies oder das ... WEIL er mit keinem Eigentum geboren wurde (=Erbe) und deshalb auch heute geringeres Eigentum hat. Anrecht auf höheres Einkommen hat, WEIL er kraft Geburt nicht in einen Stand geboren wurde, der sich durch höheres Einkommen auszeichnet. Der Anrecht auf Einkommen hat WEIL er in soziale Verhältnisse hineingeboren worden ist, die erfahrungsgemäß Menschen mit niedrigerem Einkommen hervorbringt?
WEIL er nicht so begabt ist wie die Vielbegabten, die deshalb ihre Begabungen beschränken müssen, während die Kriterien soweit abgesenkt werden, damit auch Minderbegabte sie erfüllen, begleitet von einem Nachweis, daß diese Minderbegabugn kraft Geburt herrscht. Während Vielbegabte ausgeschlossen werden (Allesamt Vorgänge, über die Vielbegabte seit Jahrzehnten ein leidvoll Lied sinden können. Denn das Bessere ist der Feind des Schlechten.)
Ja generell gilt, daß jeder die Vorzüge, die er kraft Geburt hat, reduzieren oder gar ausschlagen muß, WEIL sie von hoher Stellung ausschließen.
WEIL man Frau ist. WEIL man in dieser oder jener Rasse hinein geboren ist. WEIL man (meist von Geburt an) behindert ist. WEIL man der unteren Klasse zugehört. WEIL man überhaupt diese oder jene Eigenschaft kraft Geburt hat, die als Kriterium für die Erlangung einer Stellung in der Gesellschaft gilt, und die zu bevorzugen man als gerecht empfindet.
Gibt es also überhaupt kein gerechtes Gesellschaftssystem, OHNE daß der Ausweis für eine Stellung durch die Geburt erfolgt (ist)? Kann eine Gesellschaft Autorität nur zuweisen, wenn sie sich an die Qualitäten hält, die den Menschen kraft Geburt zueignet? Unterscheidet sich die Gegenwart von der Vergangenheit somit nur dadurch, daß die Kriterien um 180 Grad gewendet wurden, und frühere Exzellenz durch Inferiorität ersetzt wurde, jeweils als Aussage über Legitimität von Autorität? Sodaß der Streit seit je nur darum geht, WELCHE Geburt zu Autorität legitimiert.
Immerhin ist doch gleichfalls auffällig, in welchem Ausmaß auch heute und ungebrochen in allen Völkern die Exzellenz nach Geburt verteilt wird. Geburt gilt nach wie vor als das hervorragendste Merkmal der Identität!
Was nicht nur am hohen Anteil von Adeligen unter den Fülhrungskräften und Reichen, sondern grundsätzhlich an der Art ablesbar ist, wie Geburtskriterien der Exzellenz begegnet wird - sowohl Adel, ja überhaupt Familie, als auch Talent.
Dann ließe sich allerdings sehr wohl sagen, daß die Neuschaffung von Autoritäts- und Stellungskriterien aus dem Grundsatz geboren wurde, die bestehenden Kriterien zu eliminieren. Während das einerseits aber so überhaupt nicht gelungen ist (weil gar nicht gelingen kann?), hat es die Biographien der Menschen mit neuen Pflichten beladen. Die darin bestehen, sich einen Platz "an der Sonne", also mit möglichst hoher Autorität, selbst erarbeiten und sichern zu müssen.
Sehen wollen, was ist, ist die Voraussetzung um zu sehen, was ist. Um zu sehen, was ist, müssen wir aber erkennen wollen, wo hinein etwas geboren ist, um zu sehen, wofür es da ist.
Etwas, das dazu geführt haben könnte, daß über jedes normale Erweiterungsstreben des Menschen hinaus (das das Grundstreben aller Dinge, Grundeigenschaft allen Seienden ist, das sie in der Darstellung und mit allem ihren Existieren erfüllen möchten: sich so weit wie möglich auszudehnen) auch noch ein zusätzlicher (sogenannter) Ehrgeiz eine große Rolle spielt, der aus der Unzufriedenheit mit jener Stelle in der gesellschaftlichen Hierarchie stammt, der einem kraft Geburt zugewiesen wäre - was notwendig die Menschen in fast unlösbare Konflikte mit sich selbst bringt.
Nicht weniger als das jedem Menschen von Kindheit an "pädagogisch" injizierte Aufgabe, sich eine Identität selbst suchen zu können. Nicht nur im Geschlecht, sondern auch in der gesellschaftlichen Stellung durch den eigenen Lebensvollzug, die angeblich von jedem selbst abhängt. Eine Aufgabe, an der aber so viele Menschen scheitern (und jeder sollte nur sein nächstes Umfeld nach dieser Art von Tragödie durchleuchten), daß man eigentlich sagen müßte, daß zumindest aus pragmatischen Gründen der Rückgriff auf die Stellung kraft Geburt nur zu empfehlen sein sollte.
Denn die Instabilität heutiger Identitäten, unter der vor allem die Betroffenen selbst leiden, die alle paar Jahre ihre Identität neu definieren wollen weil vermeint sollen, wäre doch als Indiz zu werten, daß diese Form der Suche nach sich selbst schlichtweg nicht "funktioniert". Auch hier nämlich ließe sich enorm viel Leid nur dadurch vermeiden, daß hier wie anderswo jene heute so verbreitete Art nicht durchbrochen werden "darf", die Augen vor den Realitäten zu schließen. Somit wäre also aufzuhören, im Urteil über die Welt von dem auszugehen, was sein sollte, als dem Urteil dafür, WAS IST ausreichend Raum zu geben, und es als Ausgangspunkt für jeden Lebensvollzug zu erkennen.
Für unsere europäischen Gesellschaften stellt sich soziologisch eine überall gleiche Situation dar: Daß ein immens hoher Prozentsatz des sogenannten "bürgerlichen Menschen" erst ein oder zwei Generationen dem Bauernstand entwachsen ist. Wobei das Wort "entwachsen" so tut, als gäbe es aus diesem sogenannten "dritten Stand" überhaupt ein "Entfliehen". Wenn keine Adoption* erfolgt, die den Lebenssinn eines Menschen grundlegend ändert und sämtliche seiner Talente (egal, wie ausgeprägt die sein mögen) erst zu einer (neuen) konkreten Gestalt führt, ist aber die Gesellschaft IMMER eine Gesellschaft von Bauern.
Wenn heute so viele Bauern durch Zusprechung von Autorität (die nach neuen, willkürlichen Kriterien erfolgt) als Kraftwerksingenieure oder Rechtsanwälte oder Genderwissenschaftler ihr Leben fristen und das als Stellung in einer Gesellschaft definieren, woraus sie automatisch und folgerichtig aus dieser Zusprechung von Autorität auch ihre Ansprüche auf Anerkennung ableiten, so darf uns diese kaum zu bewältigende Problemlage - Einerseits: Was tun mit so vielen Ansprüchen auf Anerkennung? Anderseits: Was tun mit dem tiefen Gewissensbrunnen des Betroffenen, der die Exzellenz als Diebstahl von Ehren weiß? Auch von dieser Warte aus also ist die Schuld schlagendstes Phänomen der Gegenwart erkennbar - nicht darin verwirren, in den meisten Menschen eben diesen Bauern zu erkennen.
Den Bauern, der zwar nicht mehr die Tiere im Stall pflegt, oder Käse zubereitet, sondern der nun ein Kraftwerk steuert, Gerichtsprozesse führt und Diskussionen abhält. Die aber fast verräterisch exakt die Charakteristik der Tätigkeit eines Bauern haben. Von der typischen Bauernschläue angefangen, die das vielleicht hervorstechendste Merkmal des Kapitalismus ist (und somit auch über diesen viel aussagt), bis zur der mangelnden Tugend zuzuschreibenden Neigung, das eigene Tun auf den reinen Zweck abzustimmen, der alle Mittel heiligt.
Dann muß es anderseits uns eine Aufgabe sein (vor allem dabei jedem für sich, denn die Umwelt hat meist ein viel genaueres Identitätsbild von einem, weil sie nämlich ... von den Eigenschaften kraft Geburt ausgeht, so wenig sie das zugeben möchte; und sei es daß man die Menschen nach ihrer Physiognomie beurteilt), sehr genau sehen zu lernen, wie und woran sich die Herkunft aller Menschen erkennbar macht, um zu erkennen, was sie wirklch sind und sein wollen weil meinen kraft Geburt zu sein. Weil wir nur so jenes Maß erkennen können, das uns zugemessen ist. Der Boom der Ahnenforschung, deren ungebrochene Faszination für die Menschen, ist nur eines der Indizien, daß darin für jeden ein großes Fünkchen zu sich selbst befreiender Wahrheit liegen könnte.
*Nur die Adoption ist ein taugliches Mittel, allfällige einengende, die Möglichkeiten qualitativ beschränkende (nicht entfaltende) Stand- und Herkunftszwänge (Vorsicht, Talent hat damit meist nichts zu tun) zu durchbrechen. Sogar unsere Erlösung durch Jesus Christus ist nichts anderes als ein Adoptionsvorgang, der uns zu Söhnen Gottes macht.
Und das Lebensziel jedes Einzelnen somit das Erlernen und Erkennen jener zu ergreifenden Lebensdinge DES SEINS, also der Identität, die diese Adoption realisieren iund ZUR IDENTITÄT MACHEN. Kann es eine bessere Definition von Heiligkeit als Identitätsvorgang geben, der uns zu Söhnen des Vaters macht? Ist leichter zu erkennen, welche (meist völlig überschätzte) Rolle das rein funktionale Tun und Handeln des Menschen darin spielt? Ist nicht das Streben nach Heiligkeit generell ein Streben, Kinder unseres Vaters zu werden - die wir kraft Geburt und kraft Adoption als Quasi-Geburt sind?
*020222*