Weil er zuletzt immer wieder in der Zugriffsstatistik aufgetaucht ist, habe ich den Artikel vom 29. Juni 2014 nun doch wieder vor die Augen genommen, und ihn überarbeitet. Erst wollte ich nur die Tippfehler korrigieren. Aber dann habe ich gesehen, daß da mehr zu tun, die Mosaiksteinchen neu zu arrangieren wären. Weil ich nach sieben Jahren Denkarbeit und Leben maches klarer auf einen Punkt bringen kann, was ich damals zu Alexander Dugin gesagt habe. So ist ein weitgehend neuer Artikel entstanden, den ich Ihnen nun zur Wiedervorlage präsentiere.
Sein Name taucht in letzter Zeit (2014, Anm.) immer wieder in unseren Medien auf - Alexander Dugin. Dessen Buch "Die vierte politische Theorie" bei amazon.de sogar einen vorderen Verkaufsrang in der Liste der politischen Sachbücher einnimmt. Man ist offenbar neugierig auf russisches Denken. Und auf Putin. Denn angeblich sei Dugin ein Putin-Vertrauter.
Wobei: Wenn man rechnete, von wem aller behauptet wird daß er das sei, müßte man vermuten, daß Putin parallel zu seinen Amtsgeschäften, einem obligatorischen Angelausflug am Wochenende, bei dem er, nachdem er einen weithin duftenden zwei Meter Huchen aus dem Jenissej geholt hat, mit bloßen Händen einem dummerweise die Falle mit dem röchelnden Fisch nicht ahnenden Kolabären dessen eigene Zunge in den A... steckt, einen weiteren 48-Stunden-Tag nur mit Beratern verbringt.
Das Buch ist, es sei offen gesagt, über weite Strecken mühsam weil wenig stringent. Dugin bemüht sich auch kaum, die Lücken in seiner Argumentation zu kaschieren. Auch analysiert er teilweise irritierend falsch. Seine Ausagen über die Natur des Nationalsozialismus sind sogar regelrecht Unsinn, und nur verständlich, wenn man sie aus der Sicht eines emotional betroffenen Russen (gibt es andere?) denkt.
Die politisch grotesk falsche Ausrottungspolitik der Nazis in der damaligen Sowjetunion ist aber noch längst kein Beweis auf eine stringent durchgestaltete rassistische Ideologie, auf die man den Nazismus gerne reduziert. Auch Dugin interpretiert also in den Nazismus posthoc eine Stringenz hinein. Genau so, wie man das bei Dugin selbst machen muß.
Obwohl man - bei so viel Prominenz, bei so viel Mediengeraschel! - am Anfang davon ausgeht, daß bei so mancher Übereinstimmung in der Einzelbeobachtung, vor allem im Unbehagen an der Gegenwartskultur, auch seine Bücher auf intellektuelle Geschlossenheit und Logik zurückzuführen sein müssen.
Aber man sucht vergebens, Dugin und der Faschismus haben sie nicht, und das macht ein bißchen ärgerlich. Man fühlt sich gefrotzelt. Also beginnt man sich bei so Kleinigkeiten aufzuhängen wie der, daß der russische Denker (dessen Denkschule im Hafen des Kommunismus steht, und Dugin macht keinen Hehl daraus) Nazismus mit Faschismus einfach gleichsetzt.
Um freilich auch das zum Schluß des Buches hin wieder aufzuweichen. Wer nicht stringent ist, baut eben gerne einen Kreis, in dessen zweiter Hälfte er die erste entkräftet, weil er die nicht auf die Reihe bekam.
Sieht man von dem lesenswerten Kapitel über die Zeit ab (eben, er hat Heidegger gelesen, der sich, wenn man ihn schon nicht versteht, doch recht gut verwenden läßt. Wobei es tatsächlich Leute mit beachtlicher akademischer und literarischer Laufbahn gibt die meinen, das wäre gar nicht möglich, weil Heideggers Denken gar nicht verstehbar sei), wird das Buch erst zum Schluß interessant. Wo es zum Thesenpapier wird.
In dem aus heiterem Himmel, weil zuvor argumentativ nicht vorbereitet und also erwartet, die eigentlichen Thesen serviert werden. In denen Dugin endlich faßbar wird, und sich als Vertreter der kulturhistorischen Linie des russischen Denkens entpuppt. Das die Legitimationsapparat dafür ist, daß sich jeder Russe als leidenschaftlicher, messianisch unterlegter, anarchischer Botschafter versteht, der seine Legitimität aus dem Prophetentum bezieht. Auf alle Logik sei geschübelt.
Sodaß auch Dugin letztlich gar kein Denker ist, sondern ein Messias. Der den Anspruch, nicht irrational zu sein, gar nicht erst stellt. Also - am Schluß gesagt. Wenn er die begonnenen Fäden definitiv und offensichtlich nicht mehr zusammenkriegt und nun also sagt, daß er das doch nie gewollt habe. Denn die Richtigkeit seiner Aussagen "fühlt" man. Oder nicht. Russe ist Russe. Nur Russen können einander verstehen. Es gibt keine rationale Berufung zum Propheten, Wie sonst sollte sich deshalb Dugins Vorschlag, wie der Postmoderne zu widerstehen und wie diese zu überwinden sei, somit anders darstellen - als -"durch Chaos"?
Das hätte er gleich am Anfang sagen können, als Präambel gewissermaßen. Daß er den Abschied vom Logos vorschlägt, an dem das Abendland doch erstickt sei. Und darin hat er erstaunlicherweise doch auch wieder ein wenig recht, zieht man den Hegelianisch-Spenglerianischen Gedanken ab, daß das "notwendig" so gewesen sei.
Denn das Abendland hat seit bestimmten philosophisch-metaphysischen Vorentscheidungen im 5. vorchristlichen Jahrhundert seinen Untergang bereits vorprogrammiert. Dem ist unbedingt zuzustimmen! Das Übel begann bei Parmenides, um es salopp zu formulieren, seit dem (und durch den) sich das Sein zum Bild verkrustet hat. Geplante Obsoleszenz nennt man das in der Wirtschaft.
Oh, wie wünschte man Dugin bei so feinsinniger, gefühlter Übereinstimmung denkerischen Zugang zur Trinität als Grundarchetyp ... Hat er Ortega Y Gasset denn nicht gelesen? Obwohl offenbar so viele sonst, vor allem Heidegger, den er durchaus interessant interpretiert. Aber die Orthodoxie kann das eben nicht leisten. Und Dugins These weist dem russischen Denken eben auch seine Religion zu. Jedem Volk seine EIGENE Religion. Das ist Dugin.
Und was meint er in diesem Zusammenhang mit Postmoderne? Nun, sie sei anders noch als die Moderne nicht mehr die Verfallenheit, Vollintegration einer Kultur in eine kulturelle Strömung, sondern die Antiströmung selbst.
Ah, da haben wir endgültig den Kommunismus, als den bekannten Trick mit dem Hegelianismus. Der aus seinem Rebellentum schließt, daß er eine Grundbestimmung des Seins erfahre, sich selbst zu widersprechen. These - Antithese ... Versöhnung und Verschmelzung.
Mit dieser Definition kann man dann leben, auch wenn sie nur hübsch ist. Nichts mehr gilt, nichts mehr ist vorhanden, der Einzelne ist auf sich geworfen und halt- und traditionslos, und damit: völlig orientierungslos und weil formlos kulturlos zum Untergang, zur Nichtung verurteilt. Was bleibt ist recht banaler Relativismus, mit liberalem Zuckerstreusel auf sandigem Tortenboden, damit einem niemand den Freßnapf wieder wegzieht, den man endlich erobert hat.
Dugin kommt nicht zufällig aus Rußland. Denn auch der Verfasser dieser Zeilen hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß er Rußland für ein Land hält, das Zukunft hat, wenn es überhaupt für das abendländische Europa eine Zukunft gibt. Weil dieses Land das Chaos - sehr im Sinne der Intentionen Dugins - bereits erfahren hat und erfährt. Aber auch das sind nur Gefühle.
Die Denker wird Rußland, wie es aussieht, weiterhin importieren müssen, will es seine Irrtümer ernsthaft überwinden. In denen es wie sein großer Gegenspieler, der angloamerikanische Raum, meint, das Neue Israel verbreiten zu müssen, weil es das dritte Rom sei. Dem nun - wie sonst? - eine vierte politische Erlösungstheorie folge.
*060222*