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Mittwoch, 27. Juni 2018

Brief an einen Sohn (2)

Teil 2




Mein lieber ***, wenn ich so umständlich den Brief an Dich begonnen habe, dann deshalb, weil ich Dir so kurz wie es mir möglich war, anreißen wollte, daß ich mich über Deine geschilderten Entwicklungen zur Physik sehr freue! Sie bestätigt mir, was ich in Graz vor nun schon fast zwei Jahren mit großer Freude festgestellt habe: Daß Du wirklich nach Wahrheit suchst. Und das führt zwangsläufig von der Chemie zur Physik (denn Chemie löst sich letztlich ja in Physik auf), und ich hoffe sehr, daß diese Dich noch weiterführen wird. 

Ich selber lese gerne und viel Bücher mit physikalischen Themen. Der Grund ist einfach: Physik muß streng am Ursache-Wirkungs-Prinzip kleben bleiben. Sie muß (oder müßte; leider ist vieles heute in der Physik auch nur noch mehr oder weniger phantasievolle Mythologie geworden) also streng logisch bleiben. Und sie geht noch deutlich erkennbarer als so manche andere Wissenschaft (die deshalb oft gar keine mehr ist, sondern zur "Erzählung phantasievoller Geschichten" wurde) von Grundprinzipien der Welt aus. Diese sind Erkennbarkeit, diese sind Ursache-Wirkung, und diese sind Fragen des Sinns, die damit untrennbar verbunden sind. 

Somit zeigt sich mir, daß Du wirklich nach Wahrheit suchst, und nicht wie so viele meinst, ein Studium wäre das Lernen der Anwendung, des Nutzens, der Mechanik der Schreibmaschine, um zum ersten Bild zurückzukommen. Ich habe schon in Graz mit Freude festgestellt, daß es das sein könnte, was uns beide sehr stark verbindet, worin wir uns beide also am meisten ähneln. 

Zumal sich ja in den Kindern immer bestimmte Teilaspekte des Vaters ausdrücken, die in der nächsten Generation noch spezifischer ans Licht kommen und Welt werden (weil seiend konstituieren) sollen. Deshalb hängt subjektive Entwicklung immer mit dem Frieden mit dem Vater zusammen. Denn wer sich gegen diesen wendet oder seinen Segen ablehnt, wendet sich gegen sich selbst. Die Mutter ist das Nicht-Individuierte, mit dem man schon rein körperlich in eins fällt. Das Personale wird aber erst im Vater (dem Geist-Prinzip) zum Individuum. Gaben und Talente sind nie rein technische Fertigkeiten, darin irrt man heute gewaltig, wie in so vielem. Sie sind immer auf den Ursprung bezogen, sind also Fertigkeiten, die die Beziehung zum Ursprung brauchen, weil sie erst daraus Sinn beziehen und damit von bloßer Schreibmaschinenmechanik zu "Fertigkeit" werden. Beuge Deinen Arm auf und nieder - ist das eine Fertigkeit? Setze diese Bewegung aber in einer Weltmeisterschaft im Sumi-Ringen ein - plötzlich wird sie zur Fertigkeit! 

Denn letztlich ist Welt Beziehung weil Ort, und daraus Raum - aus der Zeitlosigkeit in die Zeit. (Also auch das sogar sehr physikalische Fragen, die aber nur in der Philosophie begreifbar werden.) 

Und auch diesen Weg suchst Du, wie mir Dein liebes, vertrauensvolles Schreiben, für das ich Dir sehr danke, belegt. Ich traue Dir selbstverständlich alles zu, auch einen Nobelpreis ;-) ! 

Denn Du scheinst mir den richtigen Weg zu gehen. Ein Studium ist nämlich nie eine "Ausbildung", das ist ein katastrophales Mißverständnis, das heute so viele haben. Es ist ein Weg, der zum selbständigen Denken führen muß. Oder: sollte. Auch wenn das nur wenige wahrnehmen und glauben, mit einem in Gold gefaßten Wandbild-Zertifikat wäre ihnen ein Freibrief für "richtiges Denken" zugesprochen. 

Deine Schilderungen zeigen mir aber, daß das bei Dir nicht der Fall ist. Dazu gratuliere ich Dir. (Übrigens: Auch ich habe eine Fundamentalidee zur Welt, die sich bis heute nicht falsifiziert hat. Vielleicht kommen wir einmal so weit, daß ich sie Dir auseinandersetze. Soweit ich das überblicke (und meine Bibliothek als "geistige Spur" umfaßt mittlerweile immerhin achttausend Bücher, darunter auch eine nicht unbeträchtliche Abteilung Physik, vor allem aber Metaphysik) ist sie wirklich erstmals von mir entwickelt worden, auch da haben wir vielleicht etwas gemeinsam ;-) Nur mit einem Nobelpreis rechne ich nicht ;-/ Dennoch würde sie praktisch "alles" erklären und ist noch nie so ausgedrückt und damit gefaßt worden. 

Denn Denken ist ja vor allem einmal Sprache. Form. Wirkmächtige Form. Dazu später mehr. Aber nie "erfinden" wir in Wahrheit etwas, sondern immer wenden wir die Wahrheit einem neuen Tag zu, heben sie neu ans Licht. Es ist immer dieselbe Wahrheit, unsere Aufgabe ist lediglich, sie täglich neu zu entdecken. 

Dabei versuche ich mich immer ehrlich zu prüfen. Denn Denken hat viel, ja hat zu allererst mit Sittlichkeit zu tun. Ach wie viele suchen im Denken nur einen Weg, um ihr Sosein zu rechtfertigen, oder sich eine Schlagwaffe im Umgang mit anderen anzufertigen, also sophistisch zu sein. Ich spreche zwar bewußt nicht von Moral im Sinne eines Moralismus. Aber ein wenig hat es denn doch mit Moral zu tun, ich hoffe, Du verstehst mich. Aber was hat es für einen Sinn, bitte schön, sich selbst möglichst elegant zu bescheißen? Und man bescheißt sich verdammt leicht und gerne. Deshalb muß man sich täglich, stündlich, sekündlich prüfen. Und doch fällt man immer wieder auf sich herein, und folgt einer Versuchung.


Morgen Teil 3)





*090618*