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Samstag, 23. Juni 2018

Ein liebenswerter Orient

Es ist bereichernd, diesem Mann zuzuhören - der Vorsitzende der Deutsch-Arabischen Gesellschaft Michael Lüders deshalb noch einmal. Diesmal in einem langen Gespräch über den Orient, in dem er einen liebevollen Zugang zu einer Region eröffnet, der über das Gerede von "Naher Osten" und seiner politischen Probleme leicht vergessen läßt, daß wir es hier mit Menschen zu tun haben. Die viel zu verlieren hätten, würden sie einfach verwestlicht.

Es ist tatsächlich begeisternd, die Rolle der Poesie auch im alltäglichen Leben des Orients zu betrachten. Die alte romantische Sehnsucht des 19. Jahrhunderts nach dieser Lebensweise wird verstehbar. Lüders offenbart die Weichteile dieser Kulturen und Völker, und zeigt sie in ihrer Liebenswürdigkeit. In einer Lebensweise und Weltauffassung, die europäischen, westlichen Kriterien nicht immer entsprechen mag, die uns aber in vielem gewiß bereichern kann. Zumal sich unter allen politischen Hartbildern einfach das Menschsein zeigt, das im Alltag durchaus noch dominiert. Samt verblüffenden Schilderungen.

Wußte der Leser etwa, daß Lüders den Iran als das am meisten säkularisierte islamische Land der Welt einschätzt? Daß es dort - anders als sonst überall - nicht einmal den Ruf des Muezzin hört? Daß die Jugend des Iran mit Religion herzlich wenig zu tun haben will? Aber das ist doch die "Islamische Republik per excellence"? Naja ... vor allem ist es wohl ein Land von Menschen. Wir kämpfen halt oft viele Schattenkämpfe, nämlich Kämpfe mit Rahmenbedingungen, nicht mit den Menschen. Wieviel Scheintheater unter alle dem, was uns tagtäglich als angebliches Problem vor Augen getanzt wird. Wie selten merken wir die Heuchelei, die uns täglich wie ein Fluidum umhüllt. Wir sollten nicht so leicht vergessen, daß man WAHRHEIT nur sieht, wenn man das zu Sehende LIEBT. Und das heißt durchaus: Wenn man seinen EROS wahrnimmt.

Es ist hingegen lächerlich und banal, wenn der Westen als großer "Vertreter von Werten" auftritt. Wo doch jeder sofort merkt - auch die Araber - daß es in der Außenpolitik nur um Interessen geht. Auch, ja gerade für den Westen, der sich doch pausenlos als Heuchler entlarvt. "Wir reden von westlichen Werten - und meinen westliche Interessen!" Damit verlieren wir doch nur Glaubwürdigkeit.

Wunderbar also, was Lüders über so manche Begegnung mit arabischen Menschen erzählt. Da wollen wir das eine oder andere seiner Aussagen, über das man bei scharfem Messer stolpern würde, nicht so kritisch balbieren, ausnahmsweise. Der Leser bereite sich also einen Kaffee, oder richte sich ein Gläschen Wein, setze sich bequem, und höre einfach zu. Nach allem "Kritischen", in dem wir uns meist bewegen, tut einfach gut, von den Menschen des Orient so lebensvoll erzählt zu hören. Es ist der notwendige Hintergrund, wenn wir über diese Welt reden. Zu sehen, daß wir alle Menschen sind, so gleich im Grunde, überall auf der Welt, und gleich liebenswert, und gleich lebensdurstig. Kein System kann so straff sein, daß es nicht Wege gäbe, auf denen sich das pure Leben seine Bahn bräche. Ist es nicht das, was wir alle in Wahrheit suchen? Was das Leben so unfaßbar lebenswert, ja zu einem einzigen Glücksrausch macht?

Dieses Wunderbare zu sehen fehlt uns ja gemeiniglich. Aber nicht, weil es nicht da wäre, sondern weil wir es nicht mehr sehen wollen, weil wir vom Wesentlichen so schrecklich abgelenkt sind. Wie anders aber wäre unser Leben, wie erfüllend, wenn wir seine wirkliche Wirklichkeit wieder sähen. In der die Welt zu dem wird, was sie in Wirklichkeit ist: Zum Wunder, zum einzigartigen Wunder.









*290518*