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Sonntag, 10. Juni 2018

Die Unbekannte ist manchmal die Bessere

Der VdZ gesteht, daß er bei Tschaikowsky nie über die bekanntesten seiner Werke hinausgekommen ist. Klavierkonzert, Violinkonzert, Pathétique, was man halt so hört. So hat er erst in diesen Monaten seine 5. Symphonie entdeckt. Und ist überwältigt, hält sie sogar für schöner als die hochgerühmte 6., die so unglaubliche Pathétique. Zumal die Symphonien für Tschaikowsky sicher eine andere Rolle im Rahmen seines Lebenswerks gespielt haben als bei, sagen wir, Bruckner, Beethoven oder Schubert. In der 5. wollte der Russe möglicherweise nicht so viel persönlich, wie von der darauf folgenden Symphonie. Deshalb ist sie sachlicher, und deshalb kompositorisch interessanter. Die 6. ist dann doch schon zu "perfektgelutscht", weil zu sehr auf eine (äußerst subjektive) Mission hin ausgerichtet. Während die Majestät im 4. Satz der 5. Symphonie wahre Majestät zeigt.

Recht sicher spielten die Symphonien bei Tschaikowsky eine Rolle ähnlich der bei Haydn oder Mozart, denen sie einfach Konkretion, Kristallisationspunkt war, an dem sich immer wieder dasselbe Schöpfungsspiel austanzen konnte. Ohne daß man darin als Kompositor schicksalshaft selbst wird, existentiell eins im anderen, eins fürs andere stehend. Diese existentielle Rolle spielte für Tschaikowsky in seiner Persönlichkeitslandschaft recht sicher seine Ballettmusik, sein Bühnen-, sein Opernschaffen, nicht die anonyme, reduktive Orchestermusik. Er dachte und fühlte bildhafter, fleischlicher.

Auch ein Künstler hat - wie jeder Mensch - Bereiche, an denen er wird, buchstäblich, ja, die er IST, wo dann auch Werk für Leben steht, es sogar ersetzen könnte. Während er mit demselben Vermögen in anderen Bereichen tätig ist, die eher welthafte, mehr oder weniger figurale Aufgaben, sogar durchaus Zwecke haben. Der VdZ fragt sich das manchmal bei Mozart - hatte der einen existentiellen Bereich? Und wo liegt er versteckt?

Der Leser möge sich selbst überzeugen. Erst einmal in dieser Aufführung mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan aus dem Jahre 1971 als Grundlinie. Eine Interpretation, die bestenfalls noch von einem russischen Symphonieorchester überboten werden könnte und in ihrer Nüchternheit (die aber alles andere als Armut heißt) unterstreicht, was der VdZ oben dargestellt hat.






Gleich darauf also vergleiche der Leser mit einer Interpretation des Russischen Staatsorchesters unter Jevegnij Svetlanow. Natürlich, auf eine Weise haben sie, die Russen, den Russen Tschaikowsky "besser verstanden", was hier heißt: sich seiner Intention eingefügt. Sie ist deshalb viel gefühliger, sozusagen, zumindest vordergründiger. Eben - sentimentaler. Karajan "schleift" die Sentimentalität (die in der Musik Tschaikowskys an sich liegt) fast ein wenig "hinterher". Ganz kommt er auch nicht aus, das hat eben mit dem Komponisten zu tun. Vielleicht hat er sich sogar ein wenig ergeben, mag sein. Aber mit der Instrumentierung alleine ist es vermutlich schon entschieden. So wie ein Regisseur die Theaterinszenierung, den Film entscheidet, wenn er die Schauspieler auswählt. Das Kunstwerk entsteht dann aus der Ordnung im geführten Zusammenklang der Wahrheit der einzelnen Instrumente. Selbst der Schnitt wählt dann nur die Momente, wo ein Instrument wahr ist. Und wahr heißt: In Hinordnung auf die Gesamtordnung. Die Komposition. Heißt nicht einfach "virtuos" o.ä.

Oder hat es damit nur mit der Charakteristik eines zweiten Satzes (wo es am deutlichsten wird) zu tun? Sie wissen, da wo sich das Hauptthema verliert, alles sich ins Weltliche herunterspielt, als Gegenpunkt zum Hauptthema sozusagen, Kaleidoskop der Gegenkräfte, von denen sich dann das Reine rein machen und im Finale abklären muß. Dieser Weltlogik - das Wesen der Geschichte - war auch Tschaikowsky verhaftet, keine Frage. Denn das ergibt sich schon aus der Technik. Die Sprache, die Musik als Sprache fordert im Grunde immer die Wahrheit aus ihrem Wesen selbst heraus. Wer schafft muß vor allem hören, gehorsam sein. Das zu durchbrechen haben erst die 12-Ton-Voluntaristen geschafft. Mit welchem Erfolg ... Welcher gesunde Mensch kann das hören?

Ob die Interpretation durch die Russen stärker in der kathartischen Tiefenwirkung ist - dabei ist die 5. sowieso kathartischer als sagen wir die 6., die ja jeder kennt - mag also dahingestellt, ja bezweifelt sein. Der harte musikalische, der sachliche Kern ist in dieser Interpretation eben anders, spielt eine andere, beiläufigere Rolle. Weil er nur "gebraucht" wird. Auf ihn kommt es aber letztlich an. Diesen sachlichen Kern hat Karajan besser herausgeholt. Es genügt, unter uns gesagt, den ersten Satz zu vergleichen, er macht das Gesagte deutlich genug.

Bei aller Eingeschränktheit und Vorbehaltlichkeit, die einer digitalen Wiedergabe beigemessen werden muß. Aber Vinyl-Platten, Riemenplattenspieler und Röhrenverstärker wird der Leser kaum zur Hand haben? Digital ist es halt leider immer schon sehr "eine Kunde von" statt wirkliche Musik.









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