[...] Wollte noch etwas zu einer Deiner Bemerkungen (Auswandern ...)
sagen: Ich höre gerade eine Fernsehdiskussion über Abtreibung in
Österreich. Das Auffälligste: Es ist mittlerweile unmöglich, so einen
Diskurs zu führen. Und man macht immer wieder den Fehler. Erstens gibt
es ohnehin kaum noch jemanden, der eine vernünftige (wahre) Position
vertreten kann, weil er sie offenbar überhaupt kennt. Der Sprachraum ist,
sagt Hofmannsthal einmal, der geistige Raum eines Volkes. Unser
Sprachraum ist in dieser öffentlichen Form nicht mehr reformierbar, im
Gegenteil, er dient der weiteren Verwirrung. Und Verwirrung - lauter
Nebelbegriffe, lauter undefinierte, weil nicht mehr reflektierte Worte (das ist ja dann die Philosophie!), alles wird zum diffusen
Gequatsche, niemand kann also noch denken, alle Sätze sind nur noch
Zusammenstellungen von gefühlsunterlegten Etiketten - überall, gerade bei den sogenannten
Wortführern. Auch ein eklatanter Bildungsverfall spielt mit. Die Leute
wissen (kennen) rein gar nichts mehr. Man merkt, daß sie nur noch Medien konsumieren. Ihre Medien. Erschütternd.
Aber
es gibt auch niemanden mehr, oder fast niemanden, der das alles so
durchgedacht hat, der vor allem ausreichend Erfahrung hat, um sich dem
wirklich entgegenzustellen. Noch mehr aber fällt auf, daß die
eigentlichen "Argumente" von den Menschen als Angriffe erfahren werden.
Denn es würde ihr ganzes Leben in Frage stellen. Heutiger Disput wäre somit weit mehr ständige Zurechtweisungspflicht als einer Katharsis dienenden Gegenüberstellung von Rationalem - die Worte sind keine Bilder mehr bzw. die Bilder transportieren keine Wirklichkeit.
Und
das ist das Auffälligste, daß der heutige Mensch nur noch damit
beschäftigt ist, sich zu bestätigen, daß er "gut" ist. Denn das liegt
überall zugrunde: Sie halten sich alle für die tollen, guten Menschen.
Damit hat das Sachliche keinerlei Raum mehr. [...]
*170518*